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Wirtschaft: Heinz Beer

(Geb. 1930)||Nur ungern verließ er die Wirkungsstätte seines Genies.

Nur ungern verließ er die Wirkungsstätte seines Genies. Schnell sein, hieß die Lektion seiner Kindheitsjahre, denn Heinz Beer war der jüngste von drei Brüdern. Schnell weg, wenn er im Fußball mal wieder ein Eigentor geschossen hatte. Schnell die Spielzeugbahn einpacken, wenn der große Bruder mit seinem Luftdruckgewehr auf die Waggons zielte. Schnell wieder hoch- kommen, wenn er sich zur Mutprobe in die Strudel der Oder fallen ließ.

Das harte Training zahlte sich aus. Russische Soldaten hatten ihn schon mehrere hundert Kilometer weit verschleppt, als Heinz sich losriss. Er hörte erst auf zu rennen, als er wieder daheim in Breslau war, wo die Familie gerade ihre Koffer packte. Auf dem Bahnhof wurden sie irgendeinem Zug zugeteilt, der sie in Wattenscheid, einem Vorort von Bochum, wieder ausspuckte.

Mit skeptischem Blick und verschränkten Armen, jener Haltung, mit der er sich auch gerne auf größeren Gesellschaften präsentierte, betrachtete Heinz all die Kühe und Kirchen. Und dann ließen sie ihn auch noch alle allein in dieser Provinz! Sein Vater starb 1947, sein ältester Bruder war nicht zurückgekehrt aus Stalingrad, und der andere verkaufte in Brasilien Kältemaschinen.

Doch nicht nur seine Beine, auch sein Mundwerk war gut geölt. Das redete so lange auf die junge Margrit ein, bis sie versprach, an Heinzens Seite zu bleiben.

Und Verstärkung brauchte er in diesem Wattenscheid, das ihm Menschen wie seine Vermieterin entgegenstellte. Die ging zwar ständig in die Kirche, um sich vom lieben Gott auf die Schulter klopfen zu lassen, doch kaum zu Hause, schikanierte sie ihren Untermieter. Heinz, inzwischen ausgebildet zum Werkzeugmacher, klärte sie auf: Sie sei eine Schreckschraube. Die Wattenscheiderin rief die Polizei. Sehe ich aus wie eine Schreckschraube? Der Herr Wachtmeister schaute verlegen: Nun, was soll ich sagen? Und Heinz Beer verließ das Szenario mit dem ihm eigenen, sehr kleinen, sehr amüsierten Lächeln.

So ging das in einem fort in Wattenscheid, und das Paar war froh, als Heinz ein Angebot aus Berlin bekam. Er hatte nämlich die Maschinenbauschule besucht und durfte sich jetzt Ingenieur nennen, wie sein Bruder spezialisiert auf Kältetechnik.

Doch auch Berlin brachte merkwürdige Menschen hervor. Etwa die Chefs seiner Firma, die eines Tages beschlossen, die Abteilung Kältetechnik samt ihres Leiters Heinz Beer nicht weiter zu beschäftigen. Neun Mal klingelte das Telefon. Neun Mal sagte Heinz Beer, der noch an seinem alten Schreibtisch saß: Wir produzieren keine Kühlanlagen mehr. Beim zehnten Klingeln sagte er: Ich kenne eine kleine Firma, die ihren Auftrag exzellent ausführen wird. Sie müssen sich nur ein wenig gedulden.

Die eigene Firma bescherte ihm glückliche Jahre. Endlich war es außen herum ruhig, und er konnte sich allein der Dynamik seines Denkens hingeben. Er kombinierte, optimierte, phantasierte und konstruierte oft bis tief in die Nacht und länger. In der Branche wurde er bekannt als ein begnadeter Tüftler, als Meister für Spezialanfertigungen. Nur ungern verließ er die Wirkungsstätte seines Genies.

Dass er zu Hause war, erkannten Margrit und die drei Kinder meist an einer Zeitung, die breit auseinandergefaltet auf der Küchenbank saß und Zigarettenrauch aufsteigen ließ. Manchmal sagte die Zeitung auch ein paar mufflige Sätze. Doch wer geduldig wartete, erlebte, wie das Papier sich langsam senkte. Zum Vorschein kam ein intelligenter Mann, der sein kleines Lächeln zu solchen Lachsalven steigern konnte, dass es im Sommer vom oberen Balkon neidisch herunterbrüllte: „Ey! Welchet Programm guckt ihr?“

Dass mit der Welt da draußen ein neuer Überlebenskampf anstand, wollte er lange nicht wahrhaben. Japanische Firmen drängten mit billigen Serienprodukten auf den Markt. Wer bestehen wollte, musste Dienstleistungen anbieten, etwa die Wartung von Kühlanlagen in Supermärkten. Heinz Beer wollte davon nichts wissen. Er lieferte Qualität, darauf kam es an, das konnte er beweisen! Den Käufern seiner Geräte legte er Zettel bei, auf denen er den Herstellungsprozess akribisch dokumentiert hatte. Dass er damit seine eigenen Patente verschenkte, interessierte ihn nicht. Er war kein Geldhai, sondern ein Kältemaschinen-Künstler. Nicht der Verkauf interessierte ihn, sondern die Produktion.

Geschäftsmänner, die seine Firma kaufen wollten, wimmelte er ab, bis Ende der neunziger Jahre überhaupt nichts mehr ging. In dem Gefühl, dass nach diesem keiner mehr kommen würde, sendete er einem Übernahme-Interessenten positive Signale. Als der dann überraschend starb, brach wenige Wochen später auch Heinz Beer zusammen. Er fiel in ein Koma, aus dem er ein halbes Jahr später halbseitig gelähmt erwachte. Vermutlich ein Schlaganfall. Vielleicht aber auch eine Vergiftung, zugezogen durch einen Hundebiss. Ratlos fuhr er in seinem Rollstuhl von einer Ecke der Wohnung in die andere, als könnte er dort finden, was er verloren hatte: Seine Lust am Lachen, am Schimpfen, am Rauchen, am Denken.

Er starb an Herzversagen.

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