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Wirtschaft: Helmut Klaue

(Geb. 1933)||Jahre der Keuschheit. Wilde Jahre. Jahre der Einsamkeit.

Von David Ensikat

Jahre der Keuschheit. Wilde Jahre. Jahre der Einsamkeit. Seine schönste Zeit verdankte er den Bomben auf Berlin. Die Eltern hatten ihn aufs Land geschickt, weil er im Luftschutzkeller nur geschrien hatte. Ein unschuldiges Leben fern vom strengen Vater und der hilflosen Mutter. Ein schönes Leben mitten im Krieg.

Es folgte der Frieden, es folgte die Zeit, in der er wieder bei den Eltern lebte – und sie enttäuschte. Vor allem den Vater, der einen ganzen Kerl als Sohn haben wollte. Und es kamen die sündigen Gedanken. Ein Bild, das der Vater auf der Akademie gemalt hatte, hing im Flur, ein nackter Mann darauf. Helmut fiel auf, dass der nicht nur nackt war, sondern auch schön. Ein Gedanke, so deutlich, dass er unrein war, dass er sich nicht gehörte.

Der Vater war einmal Kommunist und wurde nach dem Krieg Zeuge Jehovas. Die Sicherheit, auf der einzig richtigen Seite zu stehen, die blieb. Dort sollte der Sohn auch stehen, und er war gehorsam. Mit 16 schloss er sich den Bibeltreuen an, und bemühte sich um ein gottgefälliges Leben. Dazu gehörte nach Meinung des Vaters auch die Konsequenz, sich zum Missionar ausbilden zu lassen. Dieser Weisung folgte Helmut nicht – und flog zu Hause raus.

Die Vorgaben der Zeugen Jehovas befolgte er dennoch weiter bis in die Selbstaufgabe. Das heißt, er gab die Hoffnung auf, seinen geheimen Wünschen je folgen zu dürfen. Die waren ja noch da und wurden immer stärker. Sie ließen sich nicht wegglauben. Nach der Lehre der Zeugen Jehovas ist Homosexualität ein widernatürlicher Irrtum, dem sich der Mensch zu widersetzen habe.

So näherte sich Helmut Klaue bis in sein 28. Lebensjahr keinem Menschen. Da alle Gebete nicht halfen, begann er, seine Sehnsucht im Alkohol zu ertränken. Da auch das nicht weiterhalf, entfernte er sich schließlich von seinem Gott und verlebte nun zwei Jahre, die man wild nennen mag. Sie waren armselig. Öffentliche Toiletten, Parks, der immer schnelle Sex und niemals Liebe. Wenn Helmut Klaue mal versuchte mit einem seiner Sexpartner über das Leben als Schwuler zu sprechen, über die Angst, entdeckt zu werden, die Einsamkeit, dann bekam er keine Antwort. Da gab es nur Verlegenheit und Ärger. Es waren die sechziger Jahre, der Paragraph 175 galt noch in derselben Form wie in der Nazizeit.

Helmut Klaue zog sich aus der Szene wieder zurück, blieb einsam, trank weiter. Seine Mutter war immer noch der Mensch, dem er sich am nächsten fühlte. Doch wenn sie mal fragte, wie es um die Liebe stünde, sagte er: „Ich hab noch nicht die Richtige gefunden.“

Die Verhältnisse lösten sich in den siebziger Jahren, es gab Schwulengruppen, in denen er sprechen konnte. Er kam von der Trinkerei los. Und irgendwann getraute sich Helmut Klaue sogar dies: Er stellte sich vor seine Kollegen in der Senatsverwaltung für Justiz, dort arbeitete er als Übersetzer, und er sagte laut, vielleicht etwas zu laut: „Ich bin schwul!“ Da schwiegen die Kollegen erst einmal. Warum platzt einer denn damit so raus?

Als die Aids-Angst aufkam, befürchtete eine Kollegin, dass sie gegenüber Helmut Klaue vorsichtiger sein müsse. Er klärte sie auf: „So lange du mich nicht durch den Fleischwolf drehst und als Gehacktes isst, dürfte dir eigentlich nichts passieren.“

Die alten Beklemmungen waren weg, doch eine gute, länger währende Beziehung brachte Helmut Klaue nie zustande. Waren die Männer, in die er sich verliebte, zu schwierig? War er es? Fest steht, dass er schwierig war. Er hatte Humor, war gebildet, konnte sehr umgänglich sein, doch irgendwie kam er doch nach seinem Vater. Der hatte auch immer Recht gehabt.

Es war nicht leicht, mit Helmut Klaue umzugehen. Aber schließlich hatte er großes Glück: Die Frau, die ihm den Haushalt machte, wurde zur guten Freundin. Wenn er mal wieder meinte, dass alle Welt blöd und bescheuert sei, und er dementsprechend schlechter Laune war, sagte sie: „Weißt du was? Ich mach’ uns erst mal einen Tee, dann reden wir weiter.“ Es war gut, dass es sie gab. Dennoch sagte Helmut Klaue, als es zu Ende ging: „Eigentlich habe ich nie richtig gelebt.“

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