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Torsten Schmidt (l-r), Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen, Oliver Holtemöller, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Ferdinand Fichtner, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Berlin, und der Sprecher des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen, Roland Döhrn, präsentieren das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Sie erwarten in diesem und im nächsten Jahr insgesamt 1,5 Millionen Asylsuchende in Deutschland.

© dpa

Herbstgutachten zur Konjunktur in Deutschland: Experten fordern bessere Qualifizierung von Flüchtlingen

Drei Baustellen für die Bundesregierung: Die führenden Wirtschaftsinstitute haben ihr Konjunkturgutachten vorgelegt. Ihr Fazit: Die Wirtschaft wächst, aber es bleibt viel zu tun.

Trotz schwächelnder Weltkonjunktur erwarten die führenden Forschungsinstitute eine robuste Wirtschaft in Deutschland. Für dieses und nächstes Jahr sagen die Ökonomen ein Wachstum von jeweils 1,8 Prozent voraus. Für das laufende Jahr bedeutet diese Prognose allerdings eine leichte Wachstumsdelle – im Frühjahr waren die Forscher noch von 2,1 Prozent Wachstum ausgegangen.

Weitere Impulse erwarten die Ökonomen in ihrem am Donnerstag vorgestellten Herbstgutachten durch die Ankunft hunderttausender Flüchtlinge. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem verhaltenen Aufschwung, der vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen wird“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Die Ratschläge der Experten vom Münchner Ifo-Institut, dem Berliner DIW, dem Essener RWI und dem IWH aus Halle im Überblick.

FLÜCHTLINGSKRISE

Für das laufende Jahr rechnen die Forscher mit 900.000, für das kommende Jahr mit 600.000 Asylsuchenden – und fordern dementsprechend nachdrücklich politische Anstrengungen, die Herausforderungen anzugehen. „Ob die mit der Flüchtlingsmigration in der langen Frist verbundenen Chancen für die deutsche Wirtschaft genutzt werden, hängt von wirtschaftspolitischen Weichenstellungen ab, die jetzt vorzunehmen sind und nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen“, mahnen die Institute. Sprachkurse allein reichten zur Integration nicht aus. „Bei Personen mit einer Berufsausbildung wird vielfach trotz gegebener fachlicher Fähigkeiten eine Anpassungsqualifizierung erforderlich sein.“

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird der Prognose zufolge im nächsten Jahr um 0,6 Prozent oder 256.000 Menschen steigen - ähnlich stark wie dieses Jahr. Die Arbeitslosigkeit wird demnach aber nicht weiter sinken. Weil immer mehr Asylbewerber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, werde die Arbeitslosenquote voraussichtlich von 6,4 Prozent in diesem Jahr auf 6,5 Prozent im nächsten Jahr steigen. Etwa 90.000 Asylbewerber werden dem Arbeitsmarkt schon in diesem Jahr zur Verfügung stehen, rund 300.000 im nächsten Jahr. Die staatlichen Mehraufwendungen für Unterbringung, Versorgung und Integration beziffern die Institute auf vier Milliarden Euro im laufenden und elf Milliarden Euro im folgenden Jahr.

ÖFFENTLICHE KASSEN

Auch in der Fiskalpolitik sehen die Forscher Nachholbedarf. Für das Jahr 2015 erwarten die Institute zwar einen weiteren Anstieg des Haushaltsüberschusses auf 23 Milliarden Euro. Gleichzeitig drängen die Wirtschaftsexperten auf Reformen. So seien etwa die Lohnnebenkosten in Deutschland höher als im Schnitt der Industriestaaten, was die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dämpft.

Um Sozialabgaben senken zu können, schlagen sie vor, versicherungsfremde Leistungen – zu denen etwa die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung zählt – aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Zugleich wollen die Institute die kalte Progression – automatische Steuererhöhungen bei Lohnzuwächsen – stärker abbauen. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung seien „keinesfalls weitgehend genug und sollten ferner in Zukunft regelmäßig und in angemessenem Umfang erfolgen.“

BILDUNG UND FORSCHUNG

Kritisch sehen die Institute die vergleichsweise geringen Ausgaben, die in Deutschland in die Ausbildung der jüngeren Generationen investiert wird. Die liege statistisch zwar über dem Durchschnitt der OECD-Länder, bleibe aber dennoch weit hinter der Spitzengruppe zurück. Dementsprechend deutlich werden die Wirtschaftswissenschaftler in ihrem Rat an die Bundesregierung: „Für die wirtschaftlichen Perspektiven Deutschlands ist es von großer Bedeutung, die Priorität bei den öffentlichen Ausgaben auf den Bildungsbereich zu verlagern, also den Ausgabenzuwachs in anderen Bereichen zugunsten des Bildungssektors zu reduzieren.“

Konkret wird vorgeschlagen, nicht nur die Zahl der Kitaplätze zu erhöhen, sondern auch die Qualität der Betreuung zu erhöhen – vor allem für sozial benachteiligte Kinder. Auch die finanzielle Ausstattung der Universitäten müsse verbessert werden, fordern die Forscher der Institute.

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