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Im Jahr lassen sich 80.000 Menschen vom Beruf freistellen, um Angehörige zu pflegen.

© picture alliance / dpa

Hilfe für Pflegende: Fast keiner nutzt das Pflegedarlehen

Das Pflegedarlehen soll helfen, Pflege und Beruf zu vereinbaren. Doch es wird kaum beantragt. Die Bundesregierung sieht dennoch keinen Handlungsbedarf.

Wenn Eltern die Pflege ihrer Kinder benötigen, fehlt meistens die Zeit dafür. Deswegen haben Familienmitglieder seit vier Jahren nicht nur einen Anspruch auf bis zu zehn Tage Auszeit vom Job, samt Pflegeunterstützungsgeld. Sie können ihrem Arbeitsplatz auch länger fern bleiben oder ihre Wochenstunden für eine Weile verringern. Damit sie sich das leisten können, leiht der Staat ihnen Geld, und zwar zinsfrei. Der Betrag soll die Hälfte des Nettogehalts abdecken, das durch die Arbeitsreduzierung und das geringere Gehalt fehlt. „Pflege-Darlehen“ heißt dieses Mittel.

Das Problem ist nur: Kaum jemand scheint das Darlehen zu nutzen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Nicole Bauer und Nicole Westig. Seit 2015 haben demnach erst 921 Personen ein solches Darlehen beantragt; 562 Frauen und 359 Männer. 2018 waren es 208 gewesen, 2019 bislang 87. Die Nutzung sei deutlich hinter den Annahmen zurückgeblieben, schreibt Stefan Zierke, Parlamententarischer Staatssekretär von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in seiner Antwort an die FDP-Politikerinnen. In der Tat lässt sich im Gesetzentwurf nachlesen, dass die Regierung von 2015 bis 2018 mit gut 9700 Anträgen gerechnet hatte. Das sind zehn Mal so viele, wie es in Wirklichkeit geworden sind.

Die genaue Zahl aller Arbeitnehmer, die sich wegen eines Pflegefalls haben freistellen lassen, ist nicht bekannt. Die Inanspruchnahme ist nicht meldepflichtig. Dass sie aber deutlich höher sein muss als die Zahl jener, die ein Darlehen zur Überbrückung ihrer Auszeit nutzen, ist sehr wahrscheinlich. Eine repräsentative Befragung vor drei Jahren ergab, dass sich seit Einführung des Gesetzes mindestens 70.000 pflegende Angehörige haben freistellen lassen. Für 2017 gibt es eine Schätzung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes, die von 82.000 ausgeht. Viele Menschen nehmen sich hierzulande also eine Auszeit – aber ohne finanzielle Unterstützung des Staates. Trotz der dürftigen Bilanz will die Regierung daran nichts ändern.

Die Bundesregierung will an dem Gesetz nichts ändern

Die Gründe für die Nichtinanspruchnahme könnten vielschichtig sein und beispielsweise davon abhängen, ob der Lohnausfall auch in anderer Form abgefedert werden könne, heißt es in der Antwort. „Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit keine Gesetzesänderung.“ Auftrieb könnte das Thema allerdings durch den ersten Bericht des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bekommen, den Franziska Giffey Ende Juni erhalten hat. Der Bericht wird derzeit geprüft. Ihr Ministerium meint zudem, dass Neuregelungen erfahrungsgemäß eine Weile brauchen würden, bis sie ihre „volle Wirksamkeit“ entfalten.

Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, stellt dem bisherigen Gesetz schon jetzt ein schlechtes Zeugnis aus. Es verfehle sein Ziel, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“, die zuerst über das Thema berichtet hatte. „Die Gelder kommen nicht bei denjenigen an, für die sie gedacht sind.“ Die geringe Inanspruchnahme der Darlehen sei zwar bekannt, trotzdem ziehe die Regierung keine Konsequenzen. „Das Gesetz geht offensichtlich an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.“

Die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Westig, fordert neue Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Angehöriger – wie etwa mehr Angebote zur Kurzzeitpflege und die Nutzung digitaler Möglichkeiten zur Pflege daheim. Derzeit sind in Deutschland rund 3,1 Millionen Menschen pflegebedürftig. Ein großer Teil von ihnen wird in den eigenen vier Wänden von Angehörigen gepflegt. Nach Prognosen wird ihre Zahl bis 2030 auf 3,9 Millionen und bis 2050 auf fünf Millionen steigen.

Mitarbeiter kleiner Betriebe sind ausgeschlossen

Woran es noch liegen könnte, dass das Darlehen der Regierung so selten eingefordert wird? Auf sechs Monate Pflegezeit oder eine Reduzierung der Arbeitsstunden haben Angehörige nur dann einen Anspruch, wenn der Betrieb mehr als 15 Mitarbeiter hat. Die Menschen, die in kleinen Betrieben arbeiten, haben von dem Gesetz also wenig. Außerdem darf die Gesamtpflegezeit nicht mehr als 24 Monate dauern – wenn jemand länger Hilfe braucht, hat man keinen Anspruch mehr auf die Mittel. Das Darlehen ist demnach auf den vorübergehenden Ausfall ausgerichtet. Vier von zehn Angehörigen pflegen jedoch länger als zwei Jahre, wie Statistiken zeigen. Die Angehörigen müssen das Geld zudem recht zügig zurückzahlen. Letztlich ist auch fraglich, ob die Menschen über die Möglichkeit ausreichend informiert sind.

Seit Anfang des Jahres gibt es auch einen Rechtsanspruch auf Brückenteilzeit. In Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern kann man die Arbeitsstunden reduzieren – ohne besondere Gründe dafür nennen zu müssen. Sie kann zwischen einem und fünf Jahren dauern, muss aber vorher genau festgelegt werden. Oft entscheiden sich Frauen aus familiären Gründen dazu. Ob Arbeitnehmer dies nutzen, um bei der Pflege eines anderen entlastet zu sein? Es sei vorgesehen, dass „die Wirkung des Gesetzes im Jahr 2024“ evaluiert wird, teilte das Arbeitsministerium auf Anfrage mit.

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