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Prost! Petra Waldherr-Merk stellt den Kräuterlikör Hirschkuss (oben) her. Es ähnelt dem Likör von Dirk Verpoorten, dem Hirschrudel (links).

© IMAGO

Hirschkuss gegen Hirschrudel: Der Likör des Anstoßes

Original oder Fälschung? Eine Unternehmerin aus Bayern wirft Dirk Verpoorten vor, ihren Kräuterlikör nachgemacht zu haben.

Von Carla Neuhaus

Ein Likör ist niemals nur einfach ein Likör. Er ist ein Genussmittel mit Tradition. Er wird meist nach einem Familienrezept hergestellt. Je abwegiger die Legende ist, die sich um ihn rankt, desto besser verkauft er sich. Doch wo hört die Wahrheit auf und wo fängt die Geschichte an? Und was passiert, wenn eine Geschichte der anderen zu sehr gleicht?

Auf der einen Seite geht es hier um den Enkel einer Frau namens Elly Verpoorten. Als Kind beobachtet sie in einem Waldgebiet in Brandenburg ein Rudel Hirsche, die Kräuter fressen. Sie sammelt die Kräuter und presst sie in einem Poesiealbum. Jahre später, der Krieg ist vorbei, setzt sie daraus für ein Familienfest einen Likör an.

Nach ihrem Tod landen Rezept und Poesiealbum in einem Überseekoffer und werden vergessen – bis ihr Enkel sie findet. Dirk Verpoorten. Im Konzern seiner Familie, dem Marktführer für Eierlikör („Ei, Ei, Ei Verpoorten“), ist er zu dem Zeitpunkt nur noch Gesellschafter. Sonst macht er sein eigenes Ding. Seine Firma, Seven Spirits, vermarktet Spirituosen aus aller Welt. Dirk Verpoorten findet den Koffer seiner Großmutter. Er probiert das Rezept aus und bringt seinen eigenen Kräuterlikör auf den Markt – „als Hommage an Oma Elly“. Er nennt ihn Hirschrudel.

Hier könnte die Geschichte enden. Tut sie aber nicht. Denn auf der anderen Seite geht es um eine Frau aus Oberbayern. Sie hat ein Rezept für Kräuterlikör von ihrer Großtante geerbt: Lena. Bevor die gestorben ist, hat sie Petra Waldherr-Merk eingeweiht und ihr beigebracht, wie man ihren Likör aus selbst gepflückten Kräutern herstellt. Waldherr-Merk führt zu dem Zeitpunkt einen kleinen Geschenkeladen im Kurort Lenggries. Dort bietet sie ihren Kunden den selbst angesetzten Likör an – der zum Verkaufsschlager wird. Weil Lenggries einen Hirsch im Wappen hat, gibt sie ihrem Kräuterlikör den Namen: Hirschkuss.

Zwei Liköre, zwei Geschichten, zwei Namen. Und zu viele Ähnlichkeiten.

Kopie? Verpoorten vermarktet seinen Kräuterlikör als "Hommage an Oma Elly".
Kopie? Verpoorten vermarktet seinen Kräuterlikör als "Hommage an Oma Elly".

© promo

Im Herbst vergangenen Jahres bekommt Waldherr-Merk einen Anruf. Am Telefon ist ein Tester, der für Restaurants Spirituosen verkostet. Er kennt den Hirschkuss, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als fünf Jahren auf dem Markt ist. Als man ihm einen neuen Kräuterlikör serviert, meint er: Das ist doch der Hirschkuss. Ist es aber nicht. Es ist der Hirschrudel. Man habe ihren Likör kopiert, sagt er am Telefon.

Waldherr-Merk will das erst nicht so recht glauben. Schließlich hat sie gerade erst einen Streit mit dem Größten der Branche hinter sich: Jägermeister. Das Unternehmen hatte sie angegangen, weil ihr Likör wie Jägermeister einen Hirsch im Logo trägt. Nach mehr als drei Jahren ist der Streit endlich beigelegt. Waldherr-Merk kann sich wieder auf das Geschäft konzentrieren. Und dann kommt die Sache mit dem Hirschrudel.

Sie recherchiert im Netz, stößt auf die Geschichte von Dirk Verpoorten und seinem neuen Likör und meint: Das kommt mir zu bekannt vor. Hier eine Oma, da eine Tante. Hier ein Poesiealbum, da ein Rezeptbuch. Hier ein Rudel, da ein Kuss. Zufälle gibt es. Aber gleich so viele?

Das Labor ermittelt Gemeinsamkeiten

Waldherr-Merk schickt deshalb je eine Flasche Hirschkuss und Hirschrudel an ein Labor in Berlin. Die Antwort ist ernüchternd. „Das Aromaprofil ist bei beiden Produkten nahezu identisch“, schreibt der Gutachter. Beide Liköre riechen „leicht nach Vanille und Rum“. Dabei ist die Rumnote für einen Kräuterlikör eher ungewöhnlich: eine „Besonderheit“, schreibt der Gutachter.

Zwar unterscheiden sich die beiden Liköre beim Alkoholgehalt: Hirschrudel kommt auf 35 Prozent, Hirschkuss auf 38 Prozent Alkohol. Ausgeglichen wird das allerdings durch die Süße: Weil dem Hirschrudel weniger Zucker zugesetzt wurde, schmeckt man den Alkohol stärker heraus – was die geringere Prozentzahl ausgleicht. Noch so ein Zufall.

Je mehr Petra Waldherr-Merk über Dirk Verpoorten und seinen Likör erfährt, desto größer wird ihre Empörung. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Fass. In verschiedenen Medienberichten steht, Waldherr-Merk würde ihren Kräuterextrakt für sechs Monate in einem Eichenfass ziehen lassen. Und was macht Verpoorten? Lässt seine Kräuter einwirken. Für sechs Monate.

Oder die seltsame Geschichte mit der Abfüllung. Waldherr-Merk füllt ihren Hirschkuss einzeln per Hand in Flaschen ab. Selbst die Etiketten klebt sie mit der Hand auf. Und, Überraschung: Verpoorten wirbt – zumindest anfangs – ebenfalls damit, den Likör „von Hand abgefüllt“ auf den Markt gebracht zu haben. Wo und wie sein Likör heute in die Flasche kommt, will er dagegen nicht verraten. „Über unseren Abfüllort geben wir keinerlei Auskünfte“, antwortet er auf eine Tagesspiegel-Anfrage.

Waldherr-Merk hat derweil im Netz Hinweise darauf gefunden, dass Verpoorten seinen Kräuterlikör bei Condor hat abfüllen lassen – einem Industrieabfüller. Tatsächlich war Condor eine Zeit lang in verschiedenen Onlineshops als Abfüller von Hirschrudel angegeben. Doch auch dafür hat Verpoorten eine Erklärung. „Vermutlich hat jemand im Netz eine derartige Information kopiert und fälschlicherweise anschließend so weitergetragen“, schreibt er. „Es stimmt nicht, dass Hirschrudel in der Vergangenheit bei Condor abgefüllt wurde.“

Es bleiben viele Fragezeichen.

Jetzt streiten sich die Anwälte

Doch Waldherr-Merk will Klarheit. Sie hat einen Anwalt beauftragt und einen Löschantrag für Hirschrudel beim Patentamt gestellt. Verpoorten wehrt sich, hat ebenfalls seinen Anwalt eingeschaltet. „Natürlich haben wir Hirschkuss nicht kopiert“, schreibt Verpoorten. „Geschmacksähnlichkeiten können bei gleichartigen Produkten immer vorkommen.“

Er argumentiert, dass sein Hirschrudel schließlich im Premiumsegment angesiedelt sei. Und tatsächlich kostet der Hirschkuss im halben Liter 11,80 Euro – der Hirschrudel in der gleichen Größe bis zu 25 Euro. Waldherr-Merk bereitet das Sorgen. Denn normalerweise sind die Nachahmer-Produkte günstiger als das Original. „Hier ist es umgekehrt“, sagt sie. „Am Ende könnte der Kunde noch unseren Hirschkuss für das Plagiat halten.“

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