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Schlechte Zahlen. Seit März gab es Monat für Monat einen dreistelligen Millionenverlust.

© imago images/Jan Huebner

Historischer Verlust für die Bahn: Von Corona ausgebremst

Die Deutsche Bahn macht einen Rekordverlust. Vorstandschef Richard Lutz sieht das Unternehmen dennoch auf Kurs.

Als Chef von 320 000 Mitarbeitern ist der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bahn AG schon qua Amt zu Optimismus verpflichtet. Trotzdem überrascht das Selbstbewusstsein von Richard Lutz. Die Zahlen sind so schlecht wie noch nie, ob sie nun das aktuelle Geschäft abbilden oder den Schuldenstand. Bei der Auslandstochter Arriva werden Milliarden verbrannt, und wie das mit Corona weitergeht, weiß kein Mensch. Erst 2022 erwartet Lutz einen vom Virus unbelasteten Verkehr. Und trotz alledem: „Wir halten Kurs auf Zukunft“, sagte Lutz am Donnerstag bei der Vorlage der historisch schlechten Halbjahreszahlen des Staatskonzerns. Im normalen Geschäft fuhr die Bahn einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro ein. Und auf die Auslandstochter Arriva mussten 1,4 Milliarden Euro abgeschrieben werden, weil die vor allem in den Coronaländern Großbritannien, Spanien und Italien tätig sei. „Sehr schmerzlich“ ist das für Lutz, der für das Gesamtjahr einen operativen Verlust „bis zu 3,5 Milliarden Euro“ plus 1,5 Milliarden Euro für Arriva ankündigte.

90 Prozent weniger im Fernverkehr

Das Jahr hatte gut begonnen mit Fahrgastrekorden im Januar und Februar. Dann kam Corona und die „schlimmste finanzielle Krise“ der Bahn in ihrer wechselhaften Geschichte. Seit März gab es Monat für Monat einen dreistelligen Millionenverlust. Ganz schlimm war der April, als es 90 Prozent weniger Bahnfahrer im Fernverkehr gab. Mit dem Mai begann eine kleine Erholung, etwa die Hälfte der Fahrgäste sei zurück. Und da die Logistiktochter Schenker das operative Ergebnis im Halbjahr um knapp 17 Prozent auf 278 Millionen Euro steigern konnte, „gibt es Anlass für vorsichtigen Optimismus“, meinte Lutz.

"Sympathischer Gastgeber"

Der Bahn-Chef sieht sich – und die Verkehrspolitik – durch Corona bestätigt: Die systemrelevante Bahn habe die Menschen sicher zu ihren Arbeitsplätzen gebracht und mit ihren Logistikleistungen für gefüllte Supermärkte gesorgt. „Wir haben Sicherheit in die Unsicherheit gebracht“, sagte Lutz und nannte als Beleg dafür die Pünktlichkeitsquote von zuletzt 83,5 Prozent im Fernverkehr. Dazu habe beigetragen, dass es „weniger Verkehr auf der knappen Infrastruktur“ gab und ein verbessertes Baustellenmanagement. Die Kunden seien zufrieden, „weil auf uns Verlass ist“. Die Bahn wolle ein guter Arbeitgeber „und ein sympathischer Gastgeber“ sein für die Millionen, die jeden Tag auf der Schiene unterwegs sind. Im ersten Halbjahr wurden indes 37 Prozent weniger Passagiere befördert als im Vorjahreszeitraum.

Keine Beförderung ohne Maske

„Ganz, ganz überwiegend“ seien die Bahnfahrer diszipliniert und reisten mit Maske, betonte Lutz. Der Konzern habe gleichwohl eine Absprache mit der Bundespolizei getroffen, wonach „im Extremfall auch ein Beförderungsausschluss“ verhängt werde. Wer sich weigert, eine Maske zu tragen, riskiert also den Rausschmiss, sofern Polizisten da sind.

Die im Zusammenhang mit Corona in diesem und in den kommenden Jahren anfallenden Kosten bezifferte Lutz mit acht bis zehn Milliarden Euro. Die Hälfte davon übernehme der Eigentümer, also der Bund und damit die Gemeinschaft der Steuerzahler, die andere Hälfte wolle die Bahn selbst mit Einsparungen bei Personal- und Sachkosten erreichen. Lutz bedankte sich für die „enorme Unterstützung des Bundes für den Verkehrsträger des 21. Jahrhunderts“ und bekräftigte die hohe Investitionsbereitschaft. Allein in diesem Jahr fließen nach Angaben des Bahn-Chefs rund zwölf Milliarden Euro in die Infrastruktur.

27 Milliarden Euro Schulden

Trotz Investitionsoffensive und Virus bleibe der Schuldenstand stabil bei 27 Milliarden Euro, was sich indes auch den zusätzlichen Milliarden des Bundes für das Bahn-Eigenkapital verdankt. Der Haushaltsausschuss hatte der Bahn eine Obergrenze bei 30 Milliarden Euro gezogen. Das „Bündnis Bahn für alle“ sprach von einem „Schuldenexzess“, weil das Eigenkapital ein Jahrzehnt lang um jährlich eine Milliarde erhöht werde. Die Halbjahresbilanz sei „ein Desaster“. Einen vergleichbaren Verlust habe die Bahn auch „in den schlechtesten Jahren ihrer Existenz nicht eingefahren“.

Arriva soll verkauft werden

Die Oppositionsparteien nutzen die Bahn-Zahlen ebenfalls zur Generalkritik an der Verkehrspolitik. „Die Bundesregierung hat mit den intransparenten Eigenkapitalerhöhungen das dringend notwendige Handeln in vielen Geschäftsfeldern verschleppt, anstatt in einer Phase des wirtschaftlichen Booms das bundeseigene Unternehmen von unnötigen Geschäftsaktivitäten zu befreien“, meinte der Grünen-Abgeordnete Matthias Gastel. Von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forderte er „bessere Rahmenbedingungen im Wettbewerb gegenüber dem Straßen- und Luftverkehr“. Dazu gehöre die Abschaffung des Dieselprivilegs und die Ausweitung der Lkw- Maut. „Wenn Scheuer jetzt nicht handelt, dann wird die Bahn auf Dauer zum Klotz am Bein des Bundeshaushaltes.“ Der FDP-Abgeordnete Torsten Herbst reklamierte eine „rigorose Verschlankung des schwerfälligen Konzerns mit seinen ausufernden Hierarchieebenen und Hunderten Unternehmenstöchtern“. Die Bahn sollte sich auf das Inlandsgeschäft konzentrieren, „statt sich in Auslandsaktivitäten zu verzetteln“. Das findet die aktuelle Bahn-Spitze auch: Lutz bekräftigte die Absicht, Arriva verkaufen zu wollen.

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