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Wirtschaft: Hitzige Debatte um die Honorare

Seit Juli erhalten Anwälte höhere Gebühren. Doch viele Rechtsschutzversicherer wollen sie nicht zahlen – ein Streit eskaliert

Anders als es so mancher Werbeslogan glauben macht, sind die etwa 130 000 Anwälte hierzulande derzeit gar nicht gut auf die rund 50 deutschen Rechtsschutzversicherungen zu sprechen. Die Versicherer wollen die seit Anfang Juli geltende 14-prozentige Erhöhung der Anwaltsgebühren im neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz durch individuelle Honorarvereinbarungen mit einzelnen Anwälten wieder rückgängig machen. Die Anwälte sehen darin ein unzulässiges Preisdumping.

Eine Rechtsschutzversicherung ermöglicht es auch denjenigen Bürgern, ihr gutes Recht durchzusetzen, die es sich nicht leisten können, einen kostspieligen Gerichtsprozess zu führen. Doch dieses seit Jahrzehnten bewährte Prinzip droht jetzt durch die Honorarstreitigkeiten aus den Fugen zu geraten. Einige führende Rechtsschutzversicherungen versuchen Nachlässe von bis zu 30 Prozent auszuhandeln. Der Kölner Jura-Professor Martin Henssler hält die Angebote der Versicherungsgesellschaften denn auch für rechtswidrig: „Ein Rationalisierungsabkommen, das den Rechtsanwalt verpflichtet, zu Honoraren zu arbeiten, die 30 Prozent unterhalb des normalen Gebührenniveaus liegen, ist eindeutig unzulässig.“

Kurz nach Bekanntwerden entsprechender Angebotsschreiben der Assekuranzen warnte zwar die Bundesrechtsanwaltskammer ihre Mitglieder vor dem Abschluss entsprechender Gebührenabkommen mit den Versicherern. Doch scheinbar ohne Erfolg. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten schon viele Anwälte das Angebot der Rechtsschutzversicherer angenommen – und das, obwohl vor allem vielen kleineren Kanzleien das Wasser bis zum Halse steht. Das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Einzelanwalts in Deutschland liegt bei 1500 Euro pro Monat. Da viele von ihnen aus existenziellen Gründen auf die Rechtsschutzmandate angewiesen sind, scheuen sie davor zurück, sich mit den Versicherungsgesellschaften anzulegen. Denn diese könnten ihnen dann künftig weniger Mandate zuführen, befürchten sie.

Der Pressesprecher der Bundesrechtsanwaltskammer, Ulrich Scharf, verdeutlicht die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Anwaltschaft: „Im Ergebnis würde das dazu führen, dass das, was wir gerade durch das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gewonnen haben, jetzt wieder wegfiele. In vielen Fällen sind die Vorschläge so, dass man sich sogar gegenüber dem alten Zustand verschlechtern würde.“

Doch auch die Rechtsschutzversicherungen stehen unter starkem wirtschaftlichem Druck. Verfügte noch bis vor wenigen Jahren jeder zweite Haushalt in Deutschland über eine Rechtsschutzpolice, ist diese Quote mittlerweile auf 42 Prozent gefallen. Durch das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz haben die Versicherer jetzt auch noch mit erheblich gestiegenen Anwaltskosten zu kämpfen. Da sie diesen Kostendruck wegen der lahmenden Konjunktur nicht an die Versicherungsnehmer über Prämienerhöhungen weitergeben wollen, versuchen sie stattdessen, die Anwaltshonorare zu drücken. Doch Ulrich Scharf hält davon gar nichts: „Diese Vorschläge sind teilweise regelrecht unverschämt. Sie bauen offensichtlich auf eine Marktmacht einiger führender Rechtsschutzversicherer.“

Einige Anwälte lassen sich das Geschäftsgebaren der Versicherungsgesellschaften allerdings nicht länger bieten. So hat der Essener Rechtsanwalt Christian Nuhr gegen die Rechtsschutzversicherer Anzeige beim Bundeskartellamt erstattet (Geschäftszeichen: B4 - 137/04). Sein Vorwurf lautet, die Rechtsschutzversicherungen hätten bei den Honorarangeboten gegenüber den Anwälten angeblich verbotene Preisabsprachen getroffen.

Die Versicherungsbranche weist diesen Vorwurf vehement von sich. Rationalisierungsabkommen seien schon seit Jahren zwischen Rechtsschutzversicherungen und Anwälten ständige Übung, erläutert der Vorsitzende des Ausschusses Rechtsschutz im Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Reinhold Gleichmann. „Diese enthalten einen Austausch gemeinsamer Gebührenvorstellungen zur Realisierung von Rationalisierungseffekten auf beiden Seiten. Damit sollen langwierige und personalintensive Korrespondenzen über die Angemessenheit von Anwaltsgebühren vermieden werden.“ Diese Abkommen hätten jedoch für keine Partei bindende Wirkung. Vielmehr gelte eine jederzeitige Öffnungsklausel, wonach bei Vorliegen besonderer Gebührenkriterien und -umstände von der gemeinsamen Gebührenvorstellung abgewichen werden könne.

Wie immer der Streit auch ausgeht – den Versicherungsnehmern drohen jedenfalls kurzfristig keine Nachteile, weil sie nach wie vor den Anwalt ihres Vertrauens frei auswählen können. Ihnen kann es zunächst egal sein, zu welchen Tarifen der Anwalt mit der Rechtsschutzversicherung abrechnet. Falls die Versicherungsgesellschaften sich aber weiterhin weigern sollten, die Erhöhung der gesetzlich festgeschriebenen Anwaltsgebühren voll und ganz zu akzeptieren, könnte deren guter Ruf in der Anwaltschaft Schaden nehmen, befürchten Verbraucherschützer. Für den rechtsschutzversicherten Bürger würde das bedeuten, dass er in den Anwaltskanzleien unter Umständen nur noch als Mandant zweiter Klasse geführt wird oder Schwierigkeiten bekommt, überhaupt einen Anwalt zu finden, der sich seines Mandats annimmt.

Die Auseinandersetzungen zwischen Anwaltschaft und Rechtsschutzversicherern stehen jedoch auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Reform des Rechtsberatungsgesetzes. Bislang ist die Rechtsberatung in Deutschland weitgehend den Anwälten vorbehalten. Nach einer aktuellen Studie der Prognos AG wünscht jedoch die Mehrheit der Versicherungsnehmer, im außergerichtlichen Bereich direkt von ihrer Rechtsschutzversicherung beraten zu werden. Dagegen allerdings setzen sich die Anwälte vehement zur Wehr, weil sie eine Interessenkollision befürchten: Den Rechtsschutzversicherern gehe es nur darum, ihre Schadensquoten zu reduzieren. Die Assekuranzen haben deshalb vorgeschlagen, dass die an sie herangetragenen Fälle von weisungsunabhängigen Syndikusanwälten beurteilt werden sollen.

Mit einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum neuen Rechtsdienstleistungsgesetz wird im Frühjahr 2005 gerechnet, nachdem sich der Deutsche Juristentag im September 2004 bereits eingehend mit einem Vorentwurf befasst hatte. Bis dahin wollen die Kontrahenten zumindest die Auseinandersetzungen um die Rationalisierungsabkommen auf dem Verhandlungsweg beilegen.

Rechtsanwalt Wolfgang Gustavus, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Berlin bestätigt: „Wir sind darum bemüht, mit den Rechtsschutzversicherern am runden Tisch eine vernünftige Lösung auszuhandeln.“ Derzeit liefen bereits Gespräche zwischen der federführenden Bundesrechtsanwaltskammer und den drei größten Rechtschutzversicherungen in Deutschland.

Marcus Creutz

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