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Wirtschaft: Hochspannung im Kanzleramt

Gerhard Schröder macht die Strom- und Gaspreise zur Chefsache. Doch die Konzerne weichen keinen Cent zurück

Berlin - Als wären es Brotpreise: Der Streit um die Kosten für Strom und Gas wird mit aller Schärfe geführt, der Ruf nach staatlicher Preisaufsicht ist unüberhörbar. Kanzler Gerhard Schröder erklärt den Fall zur Chefsache und zitiert die Konzerne in den nächsten Tagen zum Rapport ins Kanzleramt. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, sonst das industriepolitische Gewissen der rot-grünen Regierung, droht mit Konsequenzen – falls Ruhrgas, RWE, Vattenfall und Co. nicht ihre Pläne aufgeben. Aber die denken gar nicht daran.

Clement bezweifelt, dass die Preiserhöhungen begründet sind. Auch das Kartellamt hat Strom- und Gasversorger schriftlich aufgefordert, die Pläne zu erklären. Was in den Antworten steht, ist schon bekannt: steigende Rohstoffkosten und staatliche Abgabenlast.

Gemessen an seiner Bedeutung für einen Privathaushalt schlägt das Thema hohe Wellen. Denn ein bundesdeutscher Haushalt gibt gerade mal vier Prozent seiner Konsumausgaben für Strom und Heizenergie aus. Trotzdem: Vier bis sechs Prozent, die Vattenfall auf die Haushaltstarife aufschlagen will oder die vier Prozent, die Ruhrgas mehr verlangt, bringen nicht nur Verbraucher, sondern auch die Regierung auf die Palme.

Die Stimmung also ist geladen. Seit Beginn des Irakkrieges vor zwei Jahren steigen die Preise für Rohöl unaufhörlich. Kraftstoff hatte deshalb die Schmerzgrenze von 1,25 zwischenzeitlich locker erreicht. Jetzt wird auch das Heizöl deutlich teurer. Die Preise für Erdgas folgen mit Abstand. Und Steinkohle kostet auf dem Weltmarkt inzwischen doppelt so viel wie vor einem Jahr. Auslöser ist aber nicht nur der Krieg. Ursache ist auch Energiehunger Chinas oder Indiens.

Das alles könnte überzeugen, dass um diese Energiepreisrunde kein Weg herumführt. Doch Verbraucher und Industrie fühlen sich abgezockt von den Energiekonzernen. Keiner versteht, warum Gas zwingend mit sechs Monaten Verzögerung dem Ölpreis folgen muss. Dabei hat Erdgas inzwischen Öl als Wärmequelle Nummer Eins längst abgelöst. Die traditionelle Ölpreisbindung, sagen die Verbraucherverbände, hat sich überholt.

In der Gasbranche besteht aber wenig Interesse, diese Klausel aufzugeben. Zu bequem ist diese Form der Preisfestsetzung. Da muss nicht ständig herumverhandelt werden. Und Importeure wie die Ruhrgas reden sich damit heraus, dass im Gasgeschäft die Lieferanten die Konditionen bestimmen.

Verwirrung stiftet auch der Streit um die Rolle des Staates. 17 Milliarden Euro an Steuern, Abgaben und Sonderkosten beklagt die Elektrizitätswirtschaft, mehr als vier Milliarden Euro die Gasindustrie. Ob Ökosteuer zur Finanzierung der Rente, Umlagen zur Förderung von Windenergie oder Heizkraftwerken – 40 Prozent des Strompreises sind inzwischen Steuern und Abgaben. Beim Erdgas schlägt der Fiskus mit 30 Prozent zu. Die Politiker revanchieren sich mit dem Hinweis darauf, dass Strom inzwischen wieder mehr kostet als 1998, dem Jahr des Beginns der Marktliberalisierung.

Klar, sagen die Konzerne. Aber das liegt nur an den Steuern und Abgaben. Haushaltsstrom sei netto immer noch 16 Prozent billiger als vor sechs Jahren, rechnet beispielsweise EnBW vor, 29 Prozent seien es sogar für Großabnehmer aus der Wirtschaft. Trotzdem schimpft der Chef der Hamburger Kupferhütte Werner Marnette über die Stromlieferanten. Die seien dafür verantwortlich, wenn energieintensive Unternehmen aus dem Land getrieben würden.

Der Privatkunde aber, der kann nicht ausweichen. Für ihn lohnt es sich kaum noch, den Stromlieferanten zu wechseln. Das klare Urteil des EnBW-Vorstands Pierre Lederer: „Es rechnet sich nicht mehr.“ Beispiel: Ein Regionalversorger verlangt von seinen Kunden für 3000 Kilowattstunden 476 Euro. Wer als Fremder diesen Kunden beliefern will, soll aber schon 400 Euro für Netznutzung und Steuern zahlen. Und für den Restbetrag von 76 Euro steigt kein Stromhändler in das Geschäft ein.

Der Trick, lästigen Wettbewerb auszuschalten, ist im Grunde ziemlich einfach: „Die Netzentgelte werden oft nur zur Marktabschottung festgelegt“, klagt Lederer. Das Kartellamt nennt so etwas Missbrauch von Marktmacht. Denn im eigenen Versorgungsgebiet hat jeder Strom- oder Gaskonzern ein natürliches Netzmonopol. Und wer ihm Kunden abjagen will, muss die Leitungen der Platzhirsche nutzen.

In einem liberalisierten Markt spielen deshalb die Leitungspreise, im Fachjargon Netzentgelte, eine wichtige Rolle. Zumal sie 40 Prozent des Endpreises beim Strom ausmachen. Um Missbrauch auszuschließen soll künftig die neue Regulierungsbehörde den Strom- und Gaskonzernen bei den Netzpreisen auf die Finger sehen. EnBW hat erstaunliche Unterschiede festgestellt: Die Preise für die Nutzung fremder Stromnetze schwanken in Deutschland bis zu 300 Prozent.

Strittig ist zurzeit jedoch, welche Methoden die neue Behörde anwenden soll. Nach Wolfgang Clements Entwurf des Energiewirtschaftsgesetzes werden Netzentgelte nur nachträglich geprüft und auch nur wenn sie strittig sind. Mehrere Bundesländer und die Grünen wollen jedoch über den Bundesrat durchsetzen, dass alle Preise „ex ante“, also vor Inkrafttreten, durch den Regulierer genehmigt werden müssen.

Bei 1700 Strom- und Gasversorgern in Deutschland, vom Energiekonzern Eon bis zu den kleineren Stadtwerken fürchtet Minister Clement jedoch ein Bürokratiemonster, und auch dass die Behörde damit total überfordert sein würde. Manfred Haberzettel, Bevollmächtigter des Energiekonzerns EnBW argumentiert jedoch genau anders herum. Gerade deswegen müsste es heftigen Wettbewerb geben, sagt er.

Dieter Fockenbrock

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