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Wirtschaft: Hohes Wachstum und 450 000 zusätzliche Arbeitsplätze begünstigen eine Wiederwahl von Regierungschef Aznar

Adiós siesta, adiós Vorurteile. Wer weiß schon, dass spanische Angestellte mehr arbeiten als alle anderen Beschäftigten in der Europäischen Union.

Adiós siesta, adiós Vorurteile. Wer weiß schon, dass spanische Angestellte mehr arbeiten als alle anderen Beschäftigten in der Europäischen Union. Genau 1809 Arbeitsstunden im Jahr schuftet der Durchschnittsspanier im Büro oder auf der Baustelle, lobt die Internationale Arbeitsbehörde, das sei fast so viel wie in den USA. Das Problem war lange Zeit nur, dass es zu wenig Arbeit im Land gab. Doch auch das ist nun Vergangenheit. "Ich glaube, 1999 wird ein gutes Jahr für die Arbeitsplätze", prophezeite im letzten Winter Spaniens Regierungschef José María Aznar. Der Mann, dem zum Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren so viele so wenig zutrauten, behielt recht. Spanien wird bis Ende 1999 über 450 000 neue Stellen geschaffen haben. Davon kann der Rest Europas nur träumen - das iberische Land hat das höchste Job-Wachstum der EU.

Ein Erfolg, der dem Land langsam den Respekt auch jener europäischen Nachbarn einbringt, die bei Spanien bisher an Nichtstun, Schlendrian und ewigen Urlaub dachten. Spanien erlebt einen beispiellosen Wachstumsboom, die Maschinen laufen wie nie zuvor und den Bürgern geht es so gut wie lange nicht mehr. Wohlstand ist zwar relativ, Spaniens Pro-Kopf-Einkommen liegt immer noch 20 Prozent unter dem EU-Schnitt. Aber früher war es halt noch viel schlechter. Ein miserabel bezahlter Job bringt immer noch mehr, als gar keiner. Und Jobs gibt es nun wieder. Die Quote jener, die sich bei den Behörden arbeitslos gemeldet haben, sackte innerhalb eines Jahres von zwölf auf 9,5 Prozent.

Auf das Job-Wunder folgt die gute Nachricht für die Sozialsysteme: Immer mehr Angestellte zahlen immer mehr Beiträge. Spaniens Arbeitslosen- und Rentenversicherung ist plötzlich wieder gesund. Im Jahr 2000 werden erstmals Milliarden-Überschüsse erwartet, nur das Gesundheitssystem kränkelt noch. Die konservative Regierung lässt den ersten Sanierungserfolgen, pünktlich vor den Wahlen im kommenden Frühjahr, soziale Wohltaten folgen: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken, Leistungen für Langzeit-Arbeitslose steigen, Fortbildung und Anreize für noch mehr Jobs werden ausgeweitet. Die drei Millionen Kleinrentner dürfen sich über eine rund fünfprozentige Erhöhung ihrer immer noch mickrigen Mindestrente freuen, die Mehrheit der Pensionäre muss sich jedoch mit einem gerade halb so hohen Inflationsausgleich begnügen. Aber immerhin wird aus dem Überschuss der Rentenkasse ein Pensions-Reservefonds gespeist, um die Renten und Versicherungsbeiträge in schlechten Zeiten abzupolstern. Grundsätzlich gilt in Spanien jedoch immer noch: Die beste soziale Absicherung ist die Familie. Pensionen wie auch alle anderen sozialen Leistungen sind in Spanien sehr niedrig. Die Durchschnittsrente liegt gerade bei umgerechnet rund 1000 Mark.

Dabei ziehen in Spanien die Preise etwa doppelt so stark an wie in der restlichen Eurozone. Die spanischen Unternehmen nutzten offenbar die hohe Inlandsnachfrage, um die Preise zu erhöhen. Die Inflation dürfte im Durchschnitt des laufenden Jahres bei rund 2,4 Prozent liegen. Auch dies ein - nun aber negatives - Ergebnis des rasanten spanischen Wirtschaftswachstums, das 1999 rund 3,6 Prozent erreichen dürfte und damit das EU-Mittel um das Doppelte übertrifft. Das Wachstum, angeheizt von zweistelligen Plusraten im Tourismus, der Automobilbranche und der Bauindustrie, lässt die Staatseinnahmen sprudeln, die Defizite sinken - und das, obwohl die Steuern für Bürger wie Unternehmen gesenkt wurden.

"Wir werden fortfahren mit dem Kapitel des wirtschaftlichen Aufblühens und der Modernisierung des Landes zur Vorbereitung für das 21. Jahrhundert", triumphiert Spaniens konservativer Premier. Doch noch ist nicht klar, ob ihn die Bürger auch weitermachen lassen. Denn trotz aller Erfolge ist unsicher, ob die Bevölkerung seiner Minderheitsregierung im Frühjahr 2000 die gewünschte absolute Mehrheit schenkt. Zwar wird Aznar laut aktueller Umfragen zulegen, und die immer noch zerstrittene sozialistische Opposition wird kaum Boden gut machen. Doch seine regionalen Verbündeten im Baskenland und Katalonien, die ihm bisher zur Mehrheit verhalfen, bocken zunehmend - hier liegt José Aznars Sicherheitsrisiko.

Ralph Schulze

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