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Wirtschaft: Horst Weiß

Geb. 1926

Widersprüche ungeschehen machen. Ein Parteifunktionär muss das können. Der Parteifunktionär, eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts, hat die Aufgabe, die Welt an die Weltanschauung anzupassen. Sehr reizvoll sowas, aber auch ziemlich aussichtslos, wie man heute weiß.

Horst Weiß, Parteifunktionär von der Sohle bis zum Scheitel, erhielt den Parteiauftrag, die freiheitsliebende Kunst in den Dienst des Sozialismus zu stellen. Eine spannungsreiche Tätigkeit. Wie eine Wanderung bei Schneegestöber im Sperrgebiet. Horst Weiß begab sich guten Mutes hinein und tastete sich langsam voran. Ohne Flehen und Bangen. Oft sagte er, wenn etwas zu entscheiden war: „Müssen wir mal sehen.“ Oft sagte er auch: „Weiß noch nicht.“

Ein Funktionär ist ja nicht allein auf der Welt. Er muss Rücksicht nehmen auf andere Funktionäre, die noch etwas mehr zu sagen haben. Horst Weiß, Generaldirektor des Staatlichen Kunsthandels der DDR. Klingt nicht schlecht. Aber Politbüro, Kulturministerium, Staatssicherheit, Zentralkomitee der Partei, die mischen ja auch noch mit. Mitglied des Zentralkomitees ist der Künstlerverbandsfürst und Maler Willi Sitte. Ohne den geht sowieso nichts. Im ZK sitzen neben ihm viele Herren, die von Kunst gar nichts verstehen, aber in ideologisch-politischen Fragen des Kunstschaffens ein Wörtchen mitzureden haben. Zum Beispiel: Gibt es eine sozialistische Kunst? Darf man sozialistische Kunst im Ausland nach den Marktregeln des Kapitalismus verscherbeln? Oder verdirbt das den DDR-Künstler? Und wer kriegt am Ende die Valuta?

Man entschied sich erst einmal so: Wurde ein Kunstwerk etwa in Westdeutschland verkauft, gingen 15 bis 25 Prozent an den Künstler, in harter Westmark. Das Geld durfte er in einem persönlichen Fonds beim Zentralvorstand des Verbands der Bildenden Künstler in Berlin ansparen und für Westreisen verwenden. Das restliche Honorar wurde in DDR-Mark ausbezahlt, Kursverhältnis eins zu eins. Der Tauschgewinn floss in die Staatskasse. Die Transaktion lief über den Kunst- und Antiquitätenhandel des Alexander Schalck-Golodkowski. Ansonsten, so heißt es in Kreisen Ehemaliger, habe man mit den dubiosen Geschäften des Herrn Schalck-Golodkowski nichts zu tun gehabt. Beim Staatlichen Kunsthandel sei es nicht primär ums Devisenscheffeln gegangen, sondern um die Alimentierung linientreuer Künstler.

Der Staatliche Kunsthandel betrieb Galerien und Werkstätten, organisierte Ausstellungen, beschaffte Arbeitsmaterial und gab Kataloge heraus. Ein großer Dienstleistungsbetrieb mit bürokratischem Wasserkopf. Weil DDR-Kunst auch im Westen Käufer fand, wurden schöne Ausstellungen beim Klassenfeind organisiert. Das war natürlich Chefsache, und Horst Weiß musste für alle Pannen geradestehen.

Eine große Panne war, als Günter Grass in einem Vorwort zum Katalog einer Ausstellung von DDR-Künstlern in Hamburg beide deutsche Staaten abwatschte. DDR und BRD seien „waffenstarrend und erschöpft“. Allein die Künstler zeigten noch Patriotismus. Honecker war erbost. Er pfiff seinen Chefideologen Kurt Hager zusammen, der schrieb einen bösen Brief an den Kulturminister Hoffmann. Am Ende bekam Horst Weiß eine Abmahnung.

Schlecht war auch, wenn Künstler mit ihren Bildern im Westen blieben. Horst Weiß reiste dann hinterher, um die Flüchtigen zurückzuholen. Das klappte natürlich nicht. Wichtig war es dann, möglichst kein Geräusch zu machen, so, als ob nie etwas geschehen wäre. Dinge, die der Weltanschauung widersprechen, ungeschehen machen. Das zeichnete einen guten Parteifunktionär aus.

Zu Hause, bei seiner Familie, hat sich Horst Weiß nie über solche Zumutungen beschwert. Der Partei verdankte er seine Karriere. Dafür hielt er ihr die Treue, bis in den Untergang. Als sich der Staat langsam auflöste, sein Organsystem kollabierte, saß Horst Weiß immer noch an seinem Schreibtisch und arbeitete. Er war ein Mensch, der arbeiten konnte, auch wenn es eigentlich nichts zu tun gab. Er zog nie das System und seine Strukturen in Zweifel, allenfalls die Personen, die darin agierten. Vielleicht fehlte es ihnen an innerer Strenge. Vielleicht waren sie noch keine sozialistischen Menschen, so wie er selbst. Aber was ist überhaupt ein sozialistischer Mensch?

Horst Weiß verließ morgens früh seine Wohnung, immer korrekt gekleidet, und kehrte abends spät zurück. Neben seiner Aufgabe als Parteifunktionär übernahm er auch Verantwortung als Ehemann und Vater. Wobei der Parteifunktionär immer Vorrang hatte. Auch am Wochenende. Dann breitete er seine Akten auf dem Wohnzimmertisch aus. Westpresse auswerten, Rezensionen ausschneiden und abheften.

Aus der Altbauwohnung zog man in einen modernen Plattenbau mit Müllschlucker und Zentralheizung. Die neue Wohnung war kleiner als die alte, aber sie war der Zukunft zugewandt. Andere Funktionäre leisteten sich neben der Mietwohnung noch was kleines Eigenes im Grünen, eine Datsche. Horst Weiß fand Datschen überflüssig, weil er am Wochenende am liebsten zu Hause arbeitete. Andere Funktionäre leisteten sich ein eigenes Auto. Horst Weiß fragte sich, wozu? Als die Kinder dem Weihnachtsmannalter entwachsen waren, wurde auf den Weihnachtsbaum verzichtet.

Was für ein großartiges Leben Horst Weiß hätte führen können! Er hatte Kontakte zu den maßgeblichen Künstlern in seinem Land. Man umschwärmte ihn, den Mann an der Schnittstelle zwischen Weltanschauung und Kunstentfaltung. Es gab Bittschreiben und Bittbesuche. Er möge doch eine Ausstellung organisieren, ein Auftragswerk vermitteln, ein gutes Wort einlegen bei Willi Sitte oder einfach mal vorbeikommen im Atelier, um bei einem guten Wein Skulpturen zu betrachten.

Horst Weiß blieb nüchtern, distanziert. Er ließ sich keine Bilder schenken. Nur die Kataloge der staatlichen Ausstellungen füllten seine Regale. Und Bücher über Geschichte und Kultur. Und alle Ausgaben der Zeitschrift „Bildende Kunst“. Aus der Wohnung wurde eine Bibliothek.

1975, da war Funktionär Weiß noch Parteisekretär im Verband der Bildenden Künstler, bewarb er sich beim Zentralkomitee für ein Studium an der Parteihochschule in Moskau. In seinem Lebenslauf erzählte er von seinem Vater, dem „ungelernten Arbeiter Wilhelm Weiß“ und seiner Mutter Gertrud, „ebenfalls Arbeiterin“, beide „politisch indifferent“. Mitten im Krieg fing Horst als „Chemie-Jungwerker“ bei Leuna in Halle an. Ein Arbeiter also auch er. 1944 wurde er eingezogen, kam nach Polen, Norwegen, Österreich, geriet in Gefangenschaft. Nach Kriegsende „begann eigentlich mein bewusstes Leben“, tippte Horst Weiß in seine Schreibmaschine. „Ich fing an zu begreifen, was geschehen war, und suchte nach einem Halt.“ Erst bei der SPD, dann bei den Kommunisten. „Zurückblickend kann ich sagen, dass ich mich geradezu in die politische Arbeit stürzte.“ Im Januar 1946, er war gerade 19, durfte er dem „verehrten Genossen Wilhelm Pieck“ bei seinem Besuch in den Leuna-Werken ein Geschenk überreichen. Er hielt seine erste kurze Rede. Schon einen Monat später nahm er als jüngster Delegierter am I. Kongress des FDGB in Berlin teil. Er saß sogar im Präsidium und meldete sich auch hier zu Wort. Der Vereinigungsparteitag von KPD und SED war der vorläufige Höhepunkt im Leben des jungen Klassenkämpfers.

Horst Weiß schrieb: „Das große Glück, und dessen bin ich mir bewusst, damals nicht durch mich selbst verdientes Glück, Zeuge und Teilnehmer solch historisch bedeutender Ereignisse sein zu dürfen...“ Das hört sich phrasenhaft an, aber Horst Weiß muss es genauso empfunden haben. Er fühlte sich auserwählt, in vorderster Linie voranzuschreiten in die sozialistische Zukunft.

Im weiteren Text entschuldigte er sich bei der Partei, seine geplante Dissertation zur „Kulturrevolution in der DDR“ nicht fertig gestellt zu haben. Das Werk fußte vorwiegend auf den Arbeiten des Genossen Stalin. Zusätzlich gestand Horst Weiß, dass ihm die „selbstständige wissenschaftliche Arbeit schwerer fiel als die operative Arbeit“. Die Kaderschulung wurde genehmigt.

Dass sich die DDR schließlich auflöste, wertete er als neue Form der Republikflucht. Diesmal machte eben der Staat rüber. Zu den Wendehälsen wollte er nicht gehören, also zog er sich ins Private zurück, reiste zu kulturhistorisch interessanten Plätzen und hielt sich raus aus der DDR-Aufarbeitungsdebatte.

Als er krank wurde, nahm er auch das hin, stoisch und diszipliniert. Lungenkrebs, obwohl er nie geraucht hatte. Für den Umgang mit Schicksalsschlägen hat der marxistische Katechismus nicht viel zu bieten. Seinen letzten Parteiauftrag ordnete Horst Weiß selbst an: klaglos abtreten.

Im Berliner Taschenbuchverlag ist ein Buch mit einer Auswahl von 50 Texten dieser Seite erschienen: „Was bleibt. Nachrufe“, herausgegeben von David Ensikat, 205 Seiten, 8,90 Euro.

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