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Wirtschaft: IG Farben finden kein Quartier

Proteste zeigen Wirkung / Hotel kündigt Vertrag / Hauptversammlung verschoben FRANKFURT (MAIN) (ro).Zum zweiten Mal nach 1991 muß die IG Farbenindustrie in Abwicklung ihre Hauptversammlung absagen.

Proteste zeigen Wirkung / Hotel kündigt Vertrag / Hauptversammlung verschoben FRANKFURT (MAIN) (ro).Zum zweiten Mal nach 1991 muß die IG Farbenindustrie in Abwicklung ihre Hauptversammlung absagen.Nachdem kritische Aktionäre heftige Proteste angekündigt hatten, zog die Leitung des Arabella Congreß Hotels in Frankfurt-Niederrad jetzt die Raumzusage für das für den 22.August geplante Aktionärstreffen zurück.Die in der Kampagne "Nie Wieder" zusammengeschlossen kritischen Aktionäre feiern diese Entscheidung als großen Erfolg.Sie fordern seit Jahren die Ablösung der Nachfolgegesellschaft des ehemaligen, in der Nazi-Zeit zu zweifelhaftem Ruhm gekommenen Chemiekonzerns, die Entschädigung aller ehemaligen Zwangsarbeiter und die Finanzierung der Gedenkstätten in den ehemaligen KZs. Auf und am Rande der Hauptversammlungen war es in den vergangenen Jahren jeweils zu scharfen Protesten gekommen, weil das Unternehmen immer noch Geschäfte mache mit Geld und Vermögen, an dem Blut klebe.In Frankfurt ist kein Hotel bereit, Veranstaltungsräume zur Verfügung zu stellen.Auch die Frankfurter Messe lehnt dies ab.Oberbürgermeisterin Petra Roth bedauert gleichzeitig, daß die Stadt die Durchführung der Versammlung nicht beeinflussen könne.Die IG Farben hofft jetzt, "ein leerstehendes und gut zu schützendes Gewerbeobjekt" in Frankfurt oder auch einem anderen Börsenplatz für die Hauptversammlung zu finden.Das Treffen soll nun im Oktober oder November stattfinden. Die Proteste gegen die IG Farben waren in diesem Jahr besonders heftig, weil sich am 27.August zum 50.Mal der Beginn der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse jährt.Damals waren 13 Direktoren des IG Farben- Konzerns wegen Raub und Massenmord zu Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt worden.Sie wurden allerdings 1951 schon wieder begnadigt.IG Farben hatte den Nazis unter anderem das Zyklon B für die Gaskammern der Kzs geliefert und fast 250 000 Zwangsarbeiter beschäftigt, von denen 30 000 im firmeneigenen KZ Auschwitz-Monowitz umkamen.Nach dem Krieg verfügten die Alliierten die Auflösung des Konzerns.Eine Nachfolgegesellschaft sollte noch bestehende Ansprüche geltend machen und Entschädigung auszahlen.Eine Arbeit, die eigentlich in wenigen Jahren abgeschlossen sein sollte.30 Mill.DM an Entschädigungen hat die IG Farben nach eigenen Angaben gezahlt.Das sei genug. Mittlerweile besteht die Nachfolgegesellschaft seit fast 50 Jahren, die Auflösung ist nicht in Sicht.Mit der Wiedervereinigung hat die im Börsenjargon genannte "IG Liquis" neuen Auftrieb erhalten, weil sich der Zugang zu ehemaligem Vermögen im Osten zu öffnen schien.Ansprüche auf 151 Mill.Quadratmeter Fläche zwischen Rostock und Erzgebirge, davon allein 130 000 Quadratmeter in Berlin hat die IG Liquis angemeldet.Der seit April amtierende "Liquidator" und Großaktionär Günter Minninger schätzt den Wert der Liegenschaften in Ostdeutschland rein rechnerisch auf 6 Mrd.DM.Allerdings wurden die meisten Grundstücke zwischen 1945 und 1949 enteignet.Dies kann laut Einigungsvertrag nicht rückgängig gemacht werden.Das Bundesverfassungsgericht verweigerte deshalb im Herbst 1996 die Annahme einer Beschwerde der IG Farben im Blick auf die Rückgabe von 17 Betrieben in Sachsen-Anhalt.Minninger läßt sich davon nicht beeindrucken."Wir gehen jeder Spur nach".Mittlerweile schielt der Liquidator auch auf die Schweiz, wo möglicherweise noch IG Farben-Konten aufgespürt werden können.Nach Angaben des Auschwitz- Komitees transferierte die IG Farben noch kurz vor Kriegsende 28 Mill.Reichsmark in die Schweiz. Kritiker und ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge halten dies alles für einen Skandal.Auch in diesem Jahr sollen auf der Hauptversammlung Anträge zur sofortigen Auflösung des Unternehmens und zur Entschädigung der Zwangsarbeiter gestellt werden.Auch diesmal werden sie damit nicht durchkommen.Die überwiegende Mehrheit der 300 000 Aktionäre ist dagegen.Sie hoffen weiter auf das große Geld, obwohl sie seit 1955 fast 100 Mill.DM aus Vermögensverkäufen erhalten haben sollen.Nach Kursen von 12 DM Anfang der neunziger Jahre dümpelt der Börsenkurs des Anteilsscheines mittlerweile 3 DM vor sich hin.Liquidator Günter Minninger verbreitet gleichwohl Optimismus: "In drei bis vier Jahren wird die IG Farben endgültig aufgelöst."

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