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Wirtschaft: Ihre größte Fahrt

Als Opel-Händlerin wurde sie bekannt, nun erfüllt sich Heidi Hetzer einen Traum: 2014 startet sie eine Weltreise – im Oldtimer.

Diese Frau ist nicht zu bremsen. Mit einem eleganten Hüftschwung fegt Heidi Hetzer um die Ecke eines Charlottenburger Garagenhofs. Die 76-Jährige steht auf einem Segway. Das elektrische Zweirad verlangt eine Menge Körperbeherrschung, wenn man sich unfallfrei fortbewegen will. Bei ihr geht es schnell voran. Heidi Hetzer, dunkelblauer Hosenanzug, gelbe Bluse, knallroter Lippenstift, winkt. „Guten Morgen!“ Ihr Erkennungszeichen hat Berlins bekannteste Opel-Händlerin lässig an den Lenker gehängt – eine Handtasche in der Form eines Autos.

Hetzer springt von der Plattform des Segway, deaktiviert die Stromzufuhr, greift sich ins kurze Haar – und schon erzählt sie los. Sie will über ein Projekt sprechen, das, so scheint es, die prominente Berlinerin mehr elektrisiert als ihr langes Berufs- und Society-Leben: Heidi Hetzer will die Welt umrunden.

Seit sie im vergangenen Jahr ihr großes Opel-Autohaus verkauft hat, ist sie frei. Seitdem beschäftigt sie sich mit den Vorbereitungen. 2014 soll ihr Traum Wirklichkeit werden: Einmal im Auto um den Erdball. 77 wird sie beim Start im Juli 2014 sein, fast 80, wenn sie nach ihrer zweijährigen Weltreise zurückkehrt.

Das Auto, mit dem die erfolgreiche Rallyefahrerin (150 Preise!) 63 000 Kilometer „fressen“ will, wie sie sagt, ist älter als sie selbst. Ein Hudson „Great Eight“, Baujahr 1930. Fünf Exemplare soll es weltweit davon nur noch geben. Für 29 000 Euro hat Hetzer ihn bei Ebay ersteigert und von München mit dem Autoreisezug nach Berlin gebracht. Ein Schnäppchen. „Ich habe mich gleich in ihn verliebt“, sagt sie. „Er hörte sich gut an, er hat mit mir gesprochen.“

Aber ein Opel ist es nicht. Die Marke, mit der Hetzers Leben verbunden ist. „Es gab keinen mehr“, erzählt sie. Die 25 verbliebenen Opel Regent, die geeignet gewesen wären, hatte General Motors (GM) bereits 1929 einstampfen lassen, weil man nach dem Kauf von Opel keine Konkurrenz im eigenen Konzern wollte. „Das ist bis heute so geblieben“, sagt Hetzer. „GM müsste sich mehr zu Opel bekennen – überall auf der Welt. Stattdessen haben in Detroit die Banker das Sagen.“

Auch ihre Hoffnung, der Hersteller Hudson sei einmal von GM übernommen worden, wurde enttäuscht. „Meine Tochter hat mich aufgeklärt: Es war Chrysler.“ Nun stehen die Chancen, dass sich GM oder Opel als Sponsor der Weltreise engagieren, schlecht. Auch das Autohaus Dinnebier, an das Hetzer 2012 ihr Geschäft verkauft hat, ist nicht dabei.

Sie sieht es entspannt. „Ich bin da raus.“ Wichtiger ist ihr, dass der Hudson Ähnlichkeit mit einem anderen Auto hat. „Er sieht aus wie das Fahrzeug von Clärenore Stinnes.“ Fällt dieser Name, leuchten Hetzers blaue Augen. Clärenore Stinnes, Tochter des Wirtschaftskapitäns Hugo Stinnes, war der erste Mensch, der die Erdkugel im Auto umrundete, 1927 bis 1929. 50 Jahre jünger als Heidi Hetzer war die damals 27-jährige Clärenore, als sie sich mit einem Adler Standard 6 auf den langen Weg machte. Eine tollkühne Frau und Abenteurerin, deren Geschichte verfilmt wurde, und an die Hetzer sich gerne erinnert. Wie über eine Freundin spricht sie von Clärenore. Wegen ihr und wegen ihrer Liebe zu Oldtimern hat sich die Berlinerin nicht für ein modernes Fahrzeug entschieden.

Seit zwei Monaten nun steht der „Hudo“, wie sie ihren Hudson nennt (der Vorbesitzer hieß Udo), hinter einem grauen Garagentor. Als sie den Vorhang lüftet, kommt ein blauer Oldtimer zum Vorschein, der kräftiger aussieht als er ist. 60 PS, acht Zylinder, Höchstgeschwindigkeit 90 km/h. Gemessen an modernen Expeditionsfahrzeugen leistet er nicht mehr als ein Kleinwagen. Deshalb wartet noch eine Menge Arbeit auf Hetzer und den Hudo. Ein stärkerer Motor wird gesucht, die Elektrik und die Benzinpumpe machen Ärger. Auf der Rückbank liegt eine lange Liste von Dingen, die zu erledigen sind. „Es ist alles noch im Werden.“

Woher nimmt die 76-Jährige die Energie? „Keine Ahnung“, sagt Hetzer. „Ich habe sie immer gehabt.“ Seit mehr als 40 Jahren fährt sie Rallyes: Monte Carlo, Mille Miglia, Carrera Panamericana, Panama-Alaska, Düsseldorf-Schanghai. Die „alte Schachtel“ solle zur Ruhe kommen, habe ihr neulich jemand geschrieben. „Ich sage allen alten Schachteln: Habt noch Ziele“, gab sie zurück.

Hetzers Vater, der 1919 das Autohaus Hetzer gründete, habe ihr die Lust am Abenteuer vererbt, wenn er von seinen Reisen erzählte. „Wenn Vati wüsste, was heute in Kairo los ist“, sagt die Tochter. „Er hat mir gezeigt, dass es mehr gibt als Gatow, wo ich aufgewachsen bin.“ Als der Vater 1969 starb, musste Heidi ran: Sie übernahm das Autohaus. Nebenbei zog sie zwei Kinder groß. Bei Ford und Chevrolet in den USA hatte sie das Autoverkaufen gelernt. Im Betrieb in Berlin war sie als Kfz-Mechanikerin ausgebildet worden. In den 50er Jahren ein exotischer Beruf für eine junge Frau. Bis heute beherrscht sie ihr Handwerk.

Der Hudson will nicht anspringen. Die Batterie ist leer. Ein kurzes Orgeln, ein zweiter Versuch. „Ganz schwach“, ruft Heidi Hetzer. Rasch hat sie ein Ladegerät zur Hand. Mit den Kabeln beugt sie sich unter den Fahrersitz, wo die Batterie eingebaut ist. Sie hat das Jackett abgelegt. Funken fliegen. Doch der Hudson will nicht. Dabei hätte sie ihn gerne auch akustisch vorgestellt. „Er ist leise“, sagt Hetzer. „Unkompliziert.“ Man mag es angesichts der Größe des Motorblocks kaum glauben.

Aber zu wünschen ist es ihr. Will sie sich doch zwei Jahre lang das Maschinengeräusch zumuten. Ach was, Zumutung! Hetzer winkt ab. Für sie ist es Musik, eine Freude. Heidi Hetzer verkörpert, was Opel nur in der Werbung behauptet: Sie lebt Autos. „Ohne Auto bin ich amputiert“, sagt die 76-Jährige. Deshalb freut sie sich so auf ihre Weltreise. Angst? „Ich nehme keine Waffen mit, nur Pfefferspray.“ Und beim Essen und Trinken werde sie achtsam sein. „Nur verschlossene Flaschen, kein Eis, kein Salat, nur gut besuchte Imbisse – ich werde wohl ein bisschen abnehmen.“ Augen zu und durch. Sie ahnt, dass nicht alles reibungslos laufen wird. Aber Clärenore hat es ja auch geschafft. „Sie hat ein Vierteljahr gewartet, bis der Baikalsee zugefroren war.“

Nach Osten will Hetzer im kommenden Sommer aufbrechen. Ihre Charlottenburger Wohnung wird sie für zwei Jahre vermieten. Russland, Mongolei, China, Thailand, Malaysia, Australien, Neuseeland, Nordamerika, Kanada, zurück nach Europa. Clärenores Route über Afghanistan ist heute zu gefährlich. Der Hudson muss bis dahin umgebaut sein. Die Rückbank wird durch Werkzeugkisten ersetzt. „Da muss alles reinpassen: Werkzeug, Ersatzteile, Schlafsack, Zelt, Klamotten.“ Auf das Dach kommt ein Gepäckträger für Reifen, Bretter und anderes. „Für den Fall, dass wir uns festfahren.“

Wir – das sind Heidi Hetzer und ihr Beifahrer. Seinen Namen möchte sie noch nicht in der Zeitung lesen, „damit er sich in Ruhe vorbereiten kann“. Seit Jahrzehnten kennen sie sich, er ist auch schon über 60, sie sind zusammen Rallyes gefahren, ein Mechaniker wie Hetzer. „Jemand, der schraubt und fährt – davon gibt’s nicht so viele“, sagt sie. „Sonst nehme ich niemanden mit.“

Dabei würden viele gerne wollen. TV- Teams, Fotografen, Buchschreiber, Mechaniker haben sich beworben. „Ein 75-jähriger Arzt hat mir geschrieben, dass er gerne mal einen trinkt – aber es müsse nicht sein.“ Hetzers Lachen gellt durch die Garage. Nein, allein sein will sie auf dem größten Teil der Strecke. Dann und wann begleitet von Oldtimer- Clubs, empfangen werden hier und da. „Wahrscheinlich nicht vom US-Präsidenten, wie damals Clärenore.“ Auto fahren, Kilometer fressen, Zeit haben. Land und Leute kennenlernen. „In meinem Alter muss ich keine Rennen mehr gewinnen.“

Weil sie bekannt ist wie ein bunter Hund, haben sich viele Helfer angeboten. „Frau Sixt und Frau Schaeffler wollen auch etwas machen“, sagt Hetzer. Der türkische Botschafter, ein Oldtimer-Fan, gab hilfreiche Tipps. Mit dem VW-Rallye-Navigator Timo Gottschalk wird sie ein Navigationsgerät in den Hudson einbauen. Ein Kompass kommt ins Gepäck. „Damit ich weiß, wo ich bin. Sonst geht man ja verloren.“ Auch ein Satellitentelefon ist an Bord, „und ein Chip, damit man mich per GPS findet“ – einer fürs Auto und einer, den sie am Körper trägt.

Manchmal staunt sie doch ein wenig über sich selbst, wenn sie die größte Fahrt ihres Lebens vor Augen hat. Nach all den großen Fahrten und einem anstrengenden Geschäftsleben. „Ich dachte immer, ich kippe im Geschäft um“, sagt Heidi Hetzer. Stattdessen streicht sie um den Hudson und kann es nicht erwarten. Dass sie ihn selbst durchs Brandenburger Tor steuern will, irgendwann 2016 am Ziel ihrer Weltumrundung, ist für sie keine Frage. „Ich fahre – oder ich bin tot.“

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