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„Raucher sterben jung“ heißt es auf der rechten Schachtel mit montenegrinischem Steuerzeichen. Verkauft wurde sie in der montenegrischen Kleinstadt Rožaje.

© Robert Schmidt

Illegale Geschäfte: Wie Tabakkonzerne vom Zigarettenschmuggel profitieren

Welcome to Marlboro Country: Über das kleine Balkanland Montenegro werden große Mengen Markenzigaretten in die EU geschmuggelt. Auch die Tabakkonzerne profitieren davon.

Podgorica - „Schon mal Rattenkot geraucht? Illegale Zigaretten. Krimineller, als man denkt.“ Mit diesem Slogan hatte die deutsche Philip Morris GmbH in diesem Jahr auf die unschönen Begleiterscheinungen beim Kauf illegal hergestellter Zigaretten aufmerksam gemacht. Auf der Internetseite schmuggelkippe.de hat das Unternehmen Fakten zum Thema aufgelistet – allerdings nicht alle. Denn es gibt auch völlig legal produzierte Zigaretten, die über Grenzen geschmuggelt werden. Dabei spielen andere Regionalgesellschaften dieses US-Tabakkonzerns eine weniger rühmliche Rolle, wie Recherchen des Tagesspiegels im kleinen Balkanland Montenegro zeigen.

Laut der staatlichen Tabakagentur des EU-Beitrittskandidaten sind dort allein in der ersten Hälfte des Jahres 2014 119 Tonnen Zigaretten, das ist mehr als ein Fünftel des gesamten legalen Marktes, auf dem Schwarzmarkt verschwunden. Ein Erklärungsversuch liefert das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG): Die Hersteller und Großhändler von Tabakprodukten hätten „wenig Interesse daran, den gesamten Einzelhandelswert der Sendung inklusive der Steuern zu schützen“. Die Tabakindustrie, so das BAG, realisiere ihren Gewinn beim ersten Verkauf des Produkts, noch bevor dieses an den Schwarzmarkt verschwindet. Wegen der niedrigeren Durchschnittspreise könnten dann mehr Tabakwaren verkauft werden.

Schmuggel mit Unterstützung der Großen

Die Schweizer Behörde ist nah dran am Geschäft: Immerhin zwei der vier weltgrößten Tabakunternehmen haben in dem Land ihren internationalen Sitz. Gerichtsverfahren und interne Dokumente der Industrie, teilt das BAG mit, hätten sogar gezeigt, „dass Tabakfirmen am Schmuggelgeschäft beteiligt waren“, und spielt in dem Kontext auf die sogenannte Montenegro Connection an. Koordiniert von der Schweiz aus wurden bis Anfang der 2000er-Jahre über Montenegro Zigaretten im großen Stil geschmuggelt. Damals mit Wissen und Unterstützung von Philipp Morris.

Heute kommt laut Zahlen der Tabakagentur in der Hauptstadt Podgorica ein Großteil der nach Montenegro importierten Zigaretten aus Serbien, wo Philip Morris und British American Tobacco billig produzieren und von niedrigen Steuern profitieren. Eine Schachtel „Pall Mall“ kostet an einem serbischen Kiosk umgerechnet rund 1,80 Euro, in Montenegro 2,50 Euro, im nur 200 Kilometer Seeweg entfernten Italien verdoppelt sich der Preis. Bei solchen Spannen wird der illegale Export für Schmuggler interessant.

Importierte Zigaretten tauchen wieder in der EU auf

Die Schieber profitieren von zahlreichen Schwachstellen in Montenegro. Schon beim Import in das Balkanland kommt es anscheinend zu geduldeten Verstößen. So konnte man zumindest Ende vergangenen Jahres noch problemlos in Kiosken im Norden des Landes geschmuggelte Marlboros aus Serbien erwerben. Zuständig für den Import ist die Firma Roksped, Montenegros einziger Tabakgroßhändler. Alle vier großen Tabakkonzerne arbeiten mit der Firma zusammen. Ein ehemaliger hochrangiger Philip-Morris-Manager aus Serbien sagt: Roksped habe ein „wirtschaftliches Interesse am Zigarettenschmuggel“. Der Markt des 700 000-Einwohner-Landes sei schlicht zu klein, um ausschließlich auf legalem Wege Profite zu machen.

Durch Roksped importierte Zigaretten tauchen seit Jahren wieder in großen Mengen in der EU auf. Das regionale Reporternetzwerk OCCRP berichtete in diesem Zusammenhang mehrfach über einen Mann namens Anton Stanaj, den mittlerweile verstorbenen Bruder des amtierenden Roksped-Chefs Nuo Stanaj. Anton habe Mitte der 2000er-Jahre laut der serbischen Justiz als „Kopf einer international agierenden Bande von Zigarettenschmuggler“ die Infrastrukturen und Kontakte der familieneigenen Firma Roksped genutzt. Keiner der großen Tabakkonzerne habe aus dieser Affäre Konsequenzen gezogen. Dabei heißt es in den Leitlinien Philip Morris, man wolle „von der Belieferung von Verkäufern absehen, sollten die erwiesenermaßen in den illegalen Handel verwickelt sein“.

Viele Grenzen sind nicht gut genug gesichert

Mit dem Transit von Zigaretten über die Seehäfen Montenegros gehen die Tabakkonzerne allerdings ein Risiko ein. Wenn eine Regierung nicht mit der notwendigen Härte durchgreift, kann auch Transitware zur Quelle für Schmuggler werden. Seit der Staatsgründung im Jahr 2007 ist der legale Tabakexport des Landes laut UN auf 950 Millionen Zigaretten im Jahr 2014 rasant gestiegen. Markenzigaretten passieren Montenegro in Richtung ehemalige Balkanstaaten, aber auch nach China, in die Schweiz und nach Zypern. Die Tabakkonzerne begeben sich damit auf rutschiges Terrain.

Ein Sprecher der EU-Delegation in Montenegro erklärt, dass das Land zwar in den vergangenen Jahren im Bereich Zigarettenschmuggel wichtige Gesetze verabschiedet und Institutionen geschaffen oder gestärkt habe. Montenegro müsse aber „klare Gesetze schaffen, um den illegalen Handel mit Originalzigaretten zu bestrafen“. Außerdem müssten Anstrengungen unternommen werden, um die Grenzen zu sichern, um insbesondere am Hafen von Bar Schmuggel zu verhindern.

Auch in einem nicht öffentlichen Bericht der Polizeibehörde Europol von 2012 wird Montenegros Rolle als Umschlagplatz beschrieben: „Zigaretten werden legal nach Montenegro gebracht und dann aus Montenegro in die EU geschmuggelt, ohne die entsprechenden Steuern zu bezahlen.“ Und: Die Anwesenheit von Philip Morris sei dort ein „verbrechensrelevanter Faktor“.

Die Ware kommt mit Schnellboten übers Meer

Besuch auf der montenegrinischen Insel Saint Nicolas nahe der Hafenstadt Budva. Dort hatten ausländische Behörden im April 2013 einmal durchgegriffen. Der örtliche Bootsverleiher, der ebenfalls involviert gewesen sein soll, weist Gäste von seinem Gelände. Auf der Insel verstreut liegen Dutzende, oft zerdrückte Zigarettenschachteln, jede zweite trägt die Aufschrift „Marlboro“. Damals haben die italienische und die kroatische Polizei nach langen Ermittlungen gemeinsam einen montenegrinischen Schmugglerring gesprengt: 1600 Stangen (mit je zehn Schachteln) waren über die Insel auf dem Weg nach Italien von der kroatischen Hafenpolizei beschlagnahmt worden.

Wie die italienische Polizei sagt, haben die Schmuggler, genau wie in den 1990er Jahren, von dort Ware mit Schnellbooten übers Meer transportiert. Ein Großteil stammt, das verriet die kroatische Küstenpolizei, von Philip Morris. Sie war in diesem Fall aus Moldawien eingeschmuggelt worden.

Die Chefin der örtlichen Philip-Morris-Niederlassung, Svetlana Vuksanovic, findet doch noch Zeit. Sie erzählt, dass sie seit 2001 für den Konzern arbeitet. In dieser Zeit hatte Philip Morris noch nachweislich als „Osteuropaware“ getarnte Zigarettenkontingente für den Schmuggel über Montenegro bereitgestellt – und später Besserung gelobt. Zu dieser Zeit gibt es von Vuksanovic kein Wort. 2007 habe sie die montenegrinische Niederlassung mit aufgebaut, erzählt sie lediglich. Mittlerweile beschäftige man zwölf Mitarbeiter. Konfrontiert mit den ins Land geschmuggelten Marlboros sagt sie: „Ja, die wurde geschmuggelt.“ Der Schmuggel sei hier ein „Riesenproblem für die ganze legale Industrie“. Aus „der ganzen Welt“ kämen unversteuerte Zigaretten nach Montenegro. Das sei allerdings „nicht das Thema von Philip Morris, sondern das der Regierung“. Ob der montenegrinische Staat eine kompetente Adresse ist, erscheint fraglich. Immerhin hat die Regierung unter dem aktuellen Premier Milo Dukanovic, der seit 1991 immer wieder höchste Staatsämter bekleidete, zumindest bis Anfang der 2000er-Jahre nachweislich am Zigarettenschmuggel in die EU mitverdient.

Philip Morris will Abkommen gegen Schmuggel verlängert sehen

In Brüssel wirbt Philip Morris seit Jahren aggressiv für ein selbst entwickeltes Kontrollsystem für Zigarettentransporte und die Verlängerung eines millionenschweren Abkommens gegen Tabakschmuggel. Entsprechend dünnhäutig reagiert man am Hauptsitz im Schweizer Lausanne. Man könne nicht auf Fragen antworten, die „wichtige Fakten weglassen“ und „irreführend“ seien. Die in Montenegro verkauften Produkte seien versteuert und in „vollem Einklang mit dem Gesetz“. Schmuggel schade dem Unternehmen. Deshalb investiere man „erhebliche Summen“ in die Kontrolle der Lieferkette und in Maßnahmen zur Sensibilisierung und dem besseren Verständnis.

Philip Morris Montenegro ist vor knapp einem Jahr in ein deutlich größeres Büro umgezogen. Unternehmenschefin Vuksanovic engagiert sich seither auch bei der US-amerikanischen Handelskammer – und leitet dort eine Arbeitsgruppe zum Thema Schwarzmarkt.

Die Recherchen wurden ermöglicht durch ein Stipendium des Netzwerk Recherche.

Robert Schmidt, Mathieu Martiniere

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