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Jetzt geht es um die Wurst. Zwei Dutzend Firmen sollen ihre Preise abgesprochen haben.

© dpa

Illegale Preisabsprachen: Das Wurstkartell im Supermarkt

Preisabsprachen in der Lebensmittelbranche kosten die Kunden Milliarden. Jetzt ist auch die Wurstbranche betroffen.

Erst waren es die Kaffeeproduzenten, dann die Süßwarenhersteller, und jetzt geht es um die Wurst. Zwei Dutzend Wurstfabrikanten sollen ihre Preise abgesprochen haben, das Bundeskartellamt ermittelt. Den Fabrikanten drohen Strafen in Millionenhöhe. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. „Es würde mich nicht wundern, wenn bald noch weitere Absprachen ans Licht kämen“, sagte Daniel Zimmer, Chef der Monopolkommission, am Montag dem Tagesspiegel.

Die Lebensmittelbranche ist nach Meinung des Juristen besonders anfällig für Kartelle. „Häufig entstehen Kartelle dort, wo Unternehmen besonders unter Druck stehen, in einem scharfen Preiswettbewerb“, gibt Zimmer zu bedenken. Druck übt nach Meinung des Wettbewerbsexperten etwa der Lebensmittel-Einzelhandel aus. „Die Ketten liefern sich beim Geschäft mit den Verbrauchern oft einen scharfen Wettbewerb“, betont Zimmer. Deshalb hätten die Handelsketten einen Anreiz, schon beim Einkauf besondere Preisvorteile zu erzielen. „Das kann im Einzelfall dazu führen, dass Lieferanten an die Wand gedrückt werden“, meint der Chef der Monopolkommission.

Tatsächlich häufen sich die Fälle, in denen das Bundeskartellamt gegen Lebensmittelproduzenten vorgeht. Im Frühjahr musste Nestlé 20 Millionen Euro Strafe zahlen – der Lebensmittelmulti hatte mit anderen Großen der Branche wie Kraft, Unilever und Oetker jahrelang Preise von Süßwaren, Instant-Cappuccino, Tiefkühlpizzen und Tierfutter abgesprochen. Zuvor war bereits ein Schokoladen- und Zucker-Kartell zu heftigen Strafen verurteilt worden – auch hier waren Nestlé und Kraft mit von der Partie, außerdem Ritter und - wegen Informationsaustauschs, nicht wegen Preisabsprachen: Haribo, Zentis und Bahlsen. Sie mussten insgesamt 60 Millionen Euro zahlen.

Auch die Hersteller von Mehl sind bereits wegen verbotener Absprachen aufgefallen. 22 Unternehmen aus der Mühlenindustrie hatten die Preise abgesprochen; sie mussten als Buße insgesamt 41 Millionen Euro an die Staatskasse überweisen. 2009 bereits hatte sich das Kartellamt die Kaffeebranche vorgeknöpft. Die Röster Melitta, Dallmayr und Tchibo wurden zu 160 Millionen Euro Strafe verdonnert. Der Kraft-Konzern, der ebenfalls am Kartell beteiligt war, hatte die übrigen Firmen verpfiffen und kam straffrei davon.

Derzeit ermittelt das Kartellamt gegen zahlreiche Verarbeitungsbetriebe in der Kartoffelbranche („Kartoffelkartell“) und hat fast alle namhaften Bierbrauer im Visier. Während die Wettbewerbshüter beim Wurstkartell wohl noch einige Monate brauchen werden, bis die ersten Bußgeldbescheide verschickt werden können, soll das Verfahren gegen die Brauer bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

„Die Schäden, die Verbrauchern durch illegale Absprachen entstehen, summieren sich über die Jahre zu spürbaren Belastungen der Haushaltskasse“, berichtet Mirjam Stegherr, Sprecherin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). „Auf der Täterseite bündeln sich Millionen- und Milliardengewinne“, ärgert sich die Verbraucherschützerin. Durch die später verhängten Bußgelder würden diese nur selten abgeschöpft. „So wird aus dem Kartell ein Geschäftsmodell, das zur Nachahmung einlädt.“

„Womöglich könnten härtere Strafen für Kartelle, etwa Gefängnisstrafen, abschreckend wirken“, findet Juraprofessor Zimmer. So machen es die USA. Allerdings wäre das ein Systemwechsel. „Das muss gut überlegt sein.“ Die Verbraucherschützer setzen dagegen eher auf Gruppenklagen, um von den Unternehmen empfindlich hohe Schadenersatzsummen zu erstreiten. Die EU-Kommission will den Mitgliedsstaaten diese Möglichkeit einräumen und hat im Juni entsprechende Vorschläge vorgelegt. Bisher kann nur jeder Verbraucher für sich klagen, doch angesichts der Minibeträge, um die es dann geht, tut das niemand.

Zudem hätte der VZBV gern einen Teil der Bußgelder, die das Kartellamt verhängt, für die Verbraucherarbeit abgezwackt. Doch bei der jüngsten Novelle des deutschen Wettbewerbsrechts, die im Sommer verabschiedet worden ist, haben sie sich mit diesem Vorschlag nicht durchsetzen können. Das Geld fließt weiterhin in vollem Umfang in die Staatskasse. Beim Bundeskartellamt hält man das für richtig. „Der Schaden entsteht ja nicht nur den Verbrauchern“, sagte Behördensprecher Kay Weidner dem Tagesspiegel. Die unmittelbar Geschädigten seien erst einmal die Händler.

Dass die großen Handelsketten die Lebensmittelhersteller durch ihre Preisdrückerei zu Kartellabsprachen zwingen, hält man bei der Kartellbehörde jedoch für absurd. Bei dem kleinen Wurstfabrikanten möge das vielleicht noch angehen, aber nicht bei Großkonzernen wie Nestlé, Ritter, Unilever oder Kraft.

Anders als Zimmer hält der Behördensprecher die Lebensmittelbranche aber nicht für besonders anfällig, wenn es um Kartelle geht. Dass sich die Fälle derzeit dennoch häufen, hat seiner Meinung nach einen einfachen Grund: „Wenn man erst einmal einen Stein ins Wasser wirft, schlägt das Wellen.“ Heißt: Wenn man ein Kartell entdeckt, stößt man praktisch schon auf das nächste.

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