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Ökonom Thomas Straubhaar

© picture-alliance/ dpa

Im Interview: Straubhaar: „Der Euro ist ein Bund für die Ewigkeit“

Für den Ökonomen Thomas Straubhaar ist die Transferunion unausweichlich – die Politik verschwende auf dem Weg dahin Zeit. Je länger man zögere, desto teurer werde es am Ende.

Herr Straubhaar, die Börsen taumeln, Europa bekommt die Schuldenkrise nicht in den Griff, in den USA droht eine neue Rezession, in Deutschland ist der Aufschwung zu Ende. Sieht so die wirtschaftspolitische Apokalypse aus?

Nein! Es ist eine Reihe sehr schlechter Nachrichten, die momentan für großen Pessimismus in der Bevölkerung, bei Unternehmen und Investoren sorgen. Wichtig ist nun, dass die Turbulenzen nicht die Realwirtschaft anstecken. Die Politik darf sich deshalb nicht von den Finanzmärkten treiben lassen, sondern muss sich der Hysterie entgegenstemmen.

Die Märkte haben der Politik aber mit Zinsaufschlägen erst gezeigt, welches Land über seine Verhältnisse gelebt hat – die Regierungen haben dies jahrelang ignoriert.
Seit der Lehman-Krise glaube ich nicht mehr, dass Finanzmärkte effizient funktionieren und nur in seltenen Fällen irren. Im Gegenteil: Marktversagen ist die Regel, nicht die Ausnahme. Zu oft entwickelt sich eine gefährliche Eigendynamik nach unten, weil Eigeninteressen, Emotionen oder ein Herdentrieb im Spiel sind oder der automatisierte Computerhandel für Übertreibungen sorgt. Nehmen Sie die Schuldenkrise der USA – die gibt es seit Monaten, trotzdem sorgte eine winzige Rating-Korrektur dafür, dass plötzlich Panik ausbrach. Absurd!

Jean-Claude Trichet sagt, ohne ein Eingreifen seiner Europäischen Zentralbank wäre es die schlimmste Krise seit dem Ersten Weltkrieg.
Wie er das mit Beschäftigungs- oder Wachstumszahlen aus der realen Welt begründet, ist mir schleierhaft. Es ist allerdings für die EZB die härteste Belastungsprobe seit ihrem Bestehen. Sie wird seit Mai 2010, als die Griechenlandkrise eskalierte, von Europas Regierungen als Bad Bank missbraucht.

Die EZB ist der einzige Akteur, der noch handlungsfähig ist. Die meisten Staaten haben keinen Spielraum mehr.
Die Aufgabe der Zentralbank ist es, die Wirtschaft mit Geld zu versorgen und die Preise stabil zu halten – nicht, Staatsschulden zu finanzieren. Dafür ist sie auch gar nicht legitimiert. Nun hat die EZB enorm an Ansehen verloren, riesige Beträge an zweifelhaften Staatspapieren in der Bilanz, und die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit wachsen. Womöglich kann sie schon bald ihr oberstes Ziel, stabile Preise zu sichern, nicht mehr schlagkräftig und glaubwürdig erfüllen. Ob in zwei Jahren oder in fünf, weiß niemand.

Warum tut Trichet das? Will er als Euro- Retter in die Geschichtsbücher eingehen?
Da tut man ihm unrecht. Trichet wurde von der Politik gezwungen, den Bankrott der angeschlagenen Euro-Länder abzuwenden. Wegen ihrer eigenen Tatenlosigkeit hat die Politik ihm keine Alternative gelassen. Nun hat er den unmittelbaren Exitus des Euro verhindert – die langfristige Rettung steht aber noch aus.

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy wollen den Euro mit Schuldenbremsen, einer Wirtschaftsregierung und einer Transaktionssteuer retten. Kann das die aktuelle Krise entschärfen?
Nein, von diesem Treffen sind eher rückwarts als vorwärts gerichtete Signale ausgegangen. Zum Beispiel, dass man glaubt, Zeit zu haben, das grundsätzliche Problem einer fehlenden EU-Fiskalpolitik zu lösen. Die beschlossenen Schritte sind viel zu unkonkret und abstrakt. Merkel und Sarkozy finden offenbar, dass man durch Aussitzen und Laufenlassen der Dinge durchkommt. Sie müssten aber jetzt schleunigst klarmachen, wohin die Reise geht.

Wohin sollte sie gehen?
Das Schuldenproblem muss zuallererst dort gelöst werden, wo es entstanden ist – in Griechenland, Italien, Spanien, Irland, Portugal und anderswo. Verantwortung und Haftung gehören untrennbar zusammen. Die EU hat sich jedoch entschieden, dieses Prinzip zu missachten, und greift seit Mai 2010 Griechenland unter die Arme. Deswegen muss, wer A sagte nun auch B sagen, und das Ende dieses Weges aufzeigen, der zu einer Fiskal- und damit Transferunion führen wird.

Die Europäer müssen also sagen, wir retten jeden, egal zu welchem Preis?
Ja, dieses Signal muss man senden. Je länger man zögert, desto teurer wird es am Ende für den Steuerzahler. Zugleich gilt es, einen Weg für eine geordnete Staatsinsolvenz zu finden. Das bedeutet, dass man wie bei einem normalen Insolvenzverfahren dafür sorgen muss, dass im Krisenfall kurzfristig Mechanismen greifen, die helfen, schnell wieder auf die Beine zu kommen, und aufzeigen wie die Finanzen längerfristig aus eigener Kraft in Ordnung zu bringen sind.

Ob eine Umschuldung für Griechenland doch in Sicht ist, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Eine Umschuldung für Griechenland ist doch in Sicht?
Schon nach dem Mai 2010 hätte man eine Institution schaffen müssen, die einen solchen Fall regelt und darüber wacht, dass ein Land aus der Krise kommt. Das kann ein europäischer Finanzminister sein oder ein unabhängiger Expertenrat analog dem EZB-Direktorium bei der Geldpolitik. Das Prinzip muss sein: Wer unseriös wirtschaftet, bekommt zwar Hilfe. Dafür aber muss er einen Teil seiner Finanzautonomie abgeben.

Diese Debatte hat gerade erst begonnen.
Ja, die Regierungschefs der Euro-Zone haben wertvolle Zeit verschwendet. Deshalb ist meine Prognose, dass sie sich sehr bald zum nächsten Krisengipfel treffen müssen.

Ist der freiwillige oder erzwungene Austritt eines Landes für Sie eine Option?
Nein! Die Währungsunion muss in ihrer heutigen Form zusammenbleiben. Der Euro wurde als Bund für die Ewigkeit geschlossen.

Ihre Vorschläge und auch die deutsch-französischen bedeuten eine vertiefte Integration in Europa. Wie realistisch ist das?
Mehr Gemeinsamkeit ist grundsätzlich richtig. Es war der Kardinalfehler der Euro-Väter, eine Währungsunion ohne Fiskalunion zu schaffen. Nun müssen Strukturen her, die einer gemeinsamen Fiskalpolitik nahekommen. Das bedeutet aber nicht, dass alles zentral in Brüssel entschieden werden muss – das funktioniert im Föderalismus der Schweiz, Amerikas und Deutschlands ja auch dezentral. Niemand kommt auf die Idee, Berlin oder das Saarland aus der Bundesrepublik auszuschließen, nur weil deren Schulden wachsen.

Schon jetzt fehlt es Europa an demokratischer Legitimation. Ein Finanz-TÜV würde die Lage noch verschärfen.
Wer zahlt, bestimmt die Musik. Übernimmt der Rettungsschirm EFSF die Haftung für Schulden, muss er auch die Regeln setzen dürfen. Nur wer sich daran hält, bekommt Geld. Das würde jeder Spekulation den Boden entziehen. Und die Länder müssten mehr Steuern eintreiben, Ausgaben herunterfahren, ihre Strukturen ändern, privatisieren, um zu mehr Wachstum und Beschäftigung zu kommen. Natürlich braucht Europa dazu mehr demokratische Beteiligung.

Was wird aus der Sozialen Marktwirtschaft und unserer Stabilitätskultur, wenn unser Land eine Stimme unter vielen ist?
Die Ängste sind berechtigt. Aber jedes Land in Europa muss sich vom Denken in nationalen Grenzen lösen. Die Deutschen müssen sich von der Illusion verabschieden, dass sie eines Tages wieder so wohlhabend und sorglos leben können wie Ende der 80er Jahre. Danach kamen die Wiedervereinigung, die weiterreichende Globalisierung, der beschleunigte Strukturwandel und die Euro-Einführung. Das alles hat die Welt fundamental verändert. Ganz zu schweigen von dem historischen Glück, keine Grenzen mehr schützen und keine Panzerarmeen mehr finanzieren zu müssen.

Wir sollten also froh sein, dass wir für den finanzpolitischen Schlendrian Südeuropas zahlen dürfen?
Nein, ich werbe nur dafür, die Kosten ins Verhältnis zu setzen. Der Euro hat Nachteile und kostet die Deutschen Geld. Aber er hat eben auch riesige Vorteile, die in der langen Frist in einer neuen Weltwirtschaftsordnung überwiegen dürften.

Können Euro-Bonds die Lage entschärfen?
Euro-Bonds sind immer noch besser als das aktuelle orientierungslose Krisenmanagement. Das Führungsvakuum in Europa erzeugt bei Bürgern und Märkten erst recht Misstrauen.

Ökonomen veranschlagen die Zusatzkosten für Deutschland durch Euro-Bonds auf bis zu 47 Milliarden Euro pro Jahr.
Das ist Spekulation, niemand kann genau vorhersagen, wie hoch die Kosten sein werden. Zunächst wäre es ein riesiger Vorteil, wenn auf diese Weise Sicherheit und damit Planbarkeit zurückkehren würden. Euro-Bonds müssten natürlich verbunden sein mit entsprechenden Reformen, damit es weiterhin Anreize für eine solide nationale Finanzpolitik gibt.

Wann kommen wir an den Punkt, an dem Deutschlands Bonität herabgestuft wird?
Das ist ein unrealistisches Horrorszenario – möglicherweise verbreitet von jenen Spekulanten, die damit viel Geld verdienen könnten. Unter allen Staaten der Erde steht die Bundesrepublik mit am besten da. Irgendwo müssen die Anleger ihr Geld ja anlegen. Und wo ein Schuldner ist, ist immer auch ein Gläubiger. Das Geld ist ja nicht weg, es besitzt nur jemand anderes. Und da ist der deutsche Staat immer noch und auch noch für lange Zeit einer – wenn nicht gar der – attraktivste Schuldner.

Wann hat Europa die Krise hinter sich?
Es wird lange dauern, bis die Haushalte saniert sind – bestimmt noch ein Jahrzehnt. Alle kurzfristigen Sparappelle greifen daher zu kurz. Erst wenn man die Eigendynamik des Schuldenmachens durchbrochen haben wird, kann man das Problem als gelöst betrachten.

Das Interview führte Carsten Brönstrup.

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