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Wirtschaft: „Im nächsten Jahr wird alles besser“

Der Berliner IHK-Chef Jan Eder über Wachstum, die Fusion mit Brandenburg und die EU-Osterweiterung

Herr Eder, Sie erwarten ein ordentliches Wachstum in Berlin frühestens 2005. Haben Sie dieses Jahr schon abgehakt?

In 2004 verlassen wir den negativen Pfad der vergangenen Jahre und erwarten einen halben Prozentpunkt Wachstum. Dass es nicht mehr ist, hängt mit den Erfahrungen der letzten Jahre zusammen, in denen wir immer rund einen Prozentpunkt unter dem Bundesdurchschnitt lagen. Aber 2005 und 2006 dürften bessere Jahre werden – ich höre zunehmend von Unternehmen, dass die Geschäfte langsam wieder besser laufen. 2004 wird ein Übergangsjahr.

Wie lange wird Berlin noch unter den teilungsbedingten, strukturellen Schwächen leiden?

Es gibt einfach zu wenig Geld in Berlin. Die Verbraucher haben zu wenig für den Konsum, den Unternehmen fehlen Investitionsmittel und das Land ist pleite, weshalb die Nachfrage der öffentlichen Hand praktisch ausfällt.

Warum brauchen die Unternehmen so viele Jahre, um neue Stärken zu entwickeln?

Es gibt einige Branchen, da geht es gut voran. Zum Beispiel eröffnen dieses Wochenende zwei neue Hotels am Potsdamer Platz mit mehreren hundert Arbeitsplätzen. Trotz einer gegenwärtigen Auslastung von rund 60 Prozent bauen alle große Hotelketten in Berlin. Dies belegt doch, dass die Hotelbetreiber an die Stadt und ihre Entwicklung glauben.

Die Berliner Herbergen zählen rund elf Millionen Übernachtungen im Jahr. Wenn die ständig steigenden Hotelkapazitäten einigermaßen ausgelastet sein sollen, müssen es im Jahr 2010 etwa 14,5 Millionen Übernachtungen sein. Wo sollen die herkommen?

Die Touristen kommen aus aller Welt, auch die Politiker und Geschäftsleute, Messe- und Kongressbesucher. Nach London und Paris liegen wir in Europa bei den Gästezahlen auf Platz drei. Die WM 2006 wird ein zusätzlicher Impuls sein.

Gibt es außer dem Tourismus noch eine andere prosperierende Branche in Berlin?

Die Verkehrstechnik, Bio- und Medizintechnik aber auch die Medienbranche und der Bereich Messen und Kongresse geben Anlass zur Hoffnung. Problematisch ist nach wie vor der industrielle Bereich. Wir haben zwar Leuchttürme wie Siemens, Daimler oder BMW, aber unser industrielles Rückgrat ist nach der Vereinigung deutlich schwächer geworden. Deshalb müssen wir uns in Berlin und Brandenburg bemühen, auch industrielle Ansiedlungen zu bekommen. Dafür sind die Chancen nicht schlecht, denn wir haben im Vergleich zu anderen Metropolen sehr bezahlbaren Wohnraum, günstige Gewerbegrundstücke und gut ausgebildete Menschen.

Warum kommt dann keiner?

Das stimmt nicht. Es kommen qualifizierte und junge Menschen her und es gibt durchaus neue Ansiedlungen. Allerdings können wir noch besser werden bei der Betreuung von Ansiedlungsvorhaben.

Funktioniert die Wirtschaftsförderung nicht?

Sie funktioniert noch nicht so, wie sie funktionieren sollte, obwohl sich vieles zum Besseren verändert hat. Zum Beispiel die Bildung der One Stop Agency, die Fusion von Wirtschaftsförderung und Berliner Absatzorganisation BAO. Mit anderen Gesellschaften können wir sicher zusätzliche Synergien heben, dazu gehören Partner für Berlin oder das Medienbüro Berlin-Brandenburg.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den brandenburgischen Institutionen?

Ich würde es begrüßen, wenn wir für den gesamten Metropolenraum eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft hätten. Die werden wir aber so schnell nicht bekommen. Auch deshalb nicht, weil die Signale aus Brandenburg zur Länderfusion eher negativ sind.

Sind diese Signale nicht eher taktischer Natur mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst?

Ich befürchte Nein. Die Berliner versuchen das Thema ständig anzuschieben, in Brandenburg tut sich dagegen nach meinem Eindruck zu wenig. Und das gilt für viele Institutionen. Und bei Teilen der Institutionen, die für die Fusion sind, könnte der Einsatz größer sein.

Wird die Fusion unwahrscheinlicher?

Ich habe große Sorge, ob – wie geplant – 2006 abgestimmt und 2009 die Fusion vollzogen wird. Und diese Zweifel sind in den letzten Monaten größer geworden. Wenn es aber nicht klappt, wäre das fatal. Auch weil die Fusion von Berlin und Brandenburg ein Signal wäre für die Neustrukturierung des Föderalismus in Deutschland insgesamt.

Im Mai bekommt die EU neue Mitglieder. Die Investitionsbank Berlin hat ermittelt, dass nur 20 Prozent der Berliner Firmen auf die Osterweiterung vorbereitet sind. Warum ist das so?

Es ist so ähnlich wie bei der Einführung des Euro: Es tut sich wenig. Plötzlich, zwei, drei Monate vor dem Termin, wachen alle auf. Doch auch beim Thema Ostorientierung gilt: Wäre unsere Region wirtschaftlich stärker, dann wären auch die Beziehungen zu den Beitrittsländern schon intensiver.

Die Industrie wird offenbar noch schwächer, wie die Teilverlagerung von Gillette von Berlin nach Polen zeigt.

Es ist nur ein Teil mit geringer Wertschöpfung, der verlagert wird. Die Produktionen, die viel Know-how erfordern, bleiben in Berlin. Das gilt nicht nur für Gillette, sondern für die gesamte Industrie, die hier ausreichend Fachkräfte vorfindet.

Trotz der Fachkräfte hat sich General Electric im vergangenen Jahr für München entschieden - obwohl Mieten und Arbeitskosten hier deutlich günstiger sind als in Bayern.

Diese Entscheidung hat zwei Gründe. Zum Einen haben wir noch immer strukturelle Defizite, zum Beispiel den Flughafen, von dem es keine Dirktverbindung in die USA gibt. Und der zweite Punkt betrifft die Verwaltung. In Bayern funktioniert die öffentliche Verwaltung schneller und effizienter als bei uns. Ein Beispiel: Ein interessierter Investor bekommt von der Berliner Verwaltung nach 14 Tagen ein Gesprächsprotokoll auf Deutsch. In München gibt es das Protokoll bereits am nächsten Tag - und zwar in Deutsch, Englisch und Finnisch.

Woran hapert es in den Verwaltungen?

Das Grundübel ist die Struktur des öffentlichen Dienstes, wie sie sich in Berlin entwickelt hat. Wir hatten lange Zeit eine Mentalität, wie sie in der Republik einzigartig war. Das ist besser geworden, aber noch immer nicht gut, wie wir von vielen Investoren hören. Die Berliner Verwaltung - vor allem auch auf der Bezirksebene - muss endlich verstehen, von wem sie bezahlt wird und für wen sie da ist.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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