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Wirtschaft: Im Namen Gottes

Wer heute Theologie studiert, hat beste Chancen auf eine Stelle. Andreas Hoffman leitet eine Gemeinde in Wedding – und erklärt, was den Beruf ausmacht

Bisher haben sich die Stuhlreihen in der St.-Pauls-Kirche in Wedding noch immer gefüllt an Heiligabend. Alle Jahre wieder traten die Christen des Viertels an diesem Tag über die Steintreppe in den wuchtigen Schinkelbau gleich hinter dem U-Bahnhof Pankstraße, um sich das Krippenspiel anzusehen. Und das wird wohl auch in diesem Jahr so sein, hofft Pfarrer Andreas Hoffmann. Zum Fest merkt man es kaum, dass die Gemeinde klein geworden ist – und es dort knapp wird an goldbeflügelten Engelskindern, die mit flackernden Kerzen zur Krippe schreiten.

Andreas Hoffmann ist ein unauffälliger Typ. Groß, schmal, grauer Pulli, praktische Hose mit Taschen. Er trägt Schuhe, mit denen man auch auf glatten Wegen gut voran kommt.

„Weihnachten ist bei uns ein Fest der Minderheiten“, sagt der Pfarrer. Längst hat er sich daran gewöhnt, dass es in der Gegend mehr Moscheen als Kirchen gibt, mehr Menschen, die an Ramadan fasten als Weihnachten um den Christbaum sitzen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sich seine St.-Pauls-Gemeinde, so sehr verändert hat.

Mehr als 20 Jahre sind es her, dass Andreas Hoffmann hier seinen Pfarrdienst antrat und sich zwei Zimmer in dem Gemeindehaus gleich neben der Kirche einrichtete. 11 000 Mitglieder zählte die Gemeinde damals, sagt der 54-Jährige. Jetzt sind es zusammen mit den zwei Nachbargemeinden, mit denen sich die St.-Pauls- Gemeinde zusammengeschlossen hat, 6600. Der Pfarrer hat sich damit arrangiert, getan, was getan werden musste: das Kleinerwerden organisiert – und versucht, die Menschen davon zu überzeugen, dass das Evangelium gut für sie ist.

Was in der Gemeinde an der Panke passiert, geschieht mit wenigen Ausnahmen überall in der Landeskirche Berlin, Brandenburg und schlesische Oberlausitz (EKBO). Der Kirche kommen die Mitglieder abhanden, sie treten aus, die alternde Gesellschaft tut ihr Übriges, Mitglieder sterben, es fehlt an Nachwuchs. Allein von 2008 auf 2009 hat die EKBO 14 200 Mitglieder verloren. Gemeinden wurden zusammengelegt, Kirchen verkauft.

Kleinere Gemeinden, weniger Geld: Das führte dazu, dass die Kirche auch als Arbeitgeber lange kaum Stellen zu vergeben hatte. Wer Theologie studierte, hatte wenig Chancen, Pfarrer zu werden. Es gab nur wenige Ausbildungsplätze, fünf bis sechs im Jahr, sagt der EKBO-Oberkonsistorialrat für Personalfragen, Joachim Muhs. So viele wie es eben auch freie Stellen gab. Viele Theologen mussten sich außerhalb der Kirche nach einem Job umsehen. Doch das war gestern. Inzwischen werden 20 bis 25 Pfarrstellen im Jahr frei. „Wir haben heute für jeden Bewerber und jede Bewerberin eine Stelle“, sagt Muhs. Und der Bedarf an Nachwuchs wird weiter steigen – obwohl die Gemeinden kleiner und von den derzeit etwa 940 Pfarrstellen nur knapp 840 erhalten werden.

„Rund drei Viertel der heutigen Pfarrer sind zwischen 47 und 62 Jahre alt. Wie bei den Lehrern gehen bald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente – und die Kirche verliert bis zu 50 Pfarrer pro Jahr“, erklärt Muhs.

Das Angebot an Stellen wächst und das gilt auch für die Nachfrage. Religion ist plötzlich wieder interessant, in der öffentlichen Gesellschaft wird wieder über Werte und den Sinn des Lebens diskutiert. Das war lange Zeit anders – und hat sich auch bei den Studierendenzahlen niedergeschlagen. Nachdem Mitte der 80er die Zahl der Theologiestudenten in Westdeutschland mit über 16 000 ihren Höhepunkt erreichte, sank sie stetig, bis sie im Jahr 2004 bundesweit ihren Tiefpunkt mit etwa 7000 Studenten erreichte.

Inzwischen gehen die Zahlen wieder nach oben. An den 19 Fakultäten und drei kirchlichen Hochschulen sind wieder fast 8900 Studenten eingeschrieben. Die Fakultät an der Humbolt-Universität in Berlin ist besonders gefragt. Sie hat den Hauptstadtbonus und zählt 1100 Studenten aus Deutschland und aller Welt. Etwa jeder zweite will Pfarrer werden: Neun Theologie-Semester und zwei für Hebräisch und Griechisch sind dafür Regelstudienzeit, 14 brauchen Studenten im Schnitt tatsächlich bis zum Abschluss. Die übrigen studieren auf Lehramt, oder ohne klares Berufsziel.

Nicht jeder, der sich für den Beruf Pfarrer entscheidet, bleibt dabei. Andreas Hoffmann hat während des Studiums an seiner Entscheidung gezweifelt. Er war an der Kirchlichen Hochschule im alten Westberlin eingeschrieben, die nach der Wende aufgelöst wurde.

„Lange hatte ich ein sehr harmonisches Bild von Kirchenarbeit“, sagt der Pfarrer. Als Schüler führte er im Gebetskreis spannende Gespräche über Gott und die Welt. Nach dem Abitur begann er, sich in einer Gemeinde im Märkischen Viertel zu engagieren. Die Pfarrer, die er kennenlernte, beeindruckten ihn. Alles schien stimmig, er fühlte sich aufgehoben. Als Student sah er dann plötzlich auch, dass Kirche nicht nur „vom heiligen Geist allein lebt“, dass es Pfarrer gab, die an den eigenen und den Ansprüchen der Kirche zerbrachen, dass Kirche auch sehr schwerfällig sein konnte, Traditionen mit sich herumschleppte und sich nur wenig gen Zukunft bewegte.

Das Studium schloss er dennoch ab. Und nach kurzer Zeit als Vikar kehrte der Sinn, den er in dem Beruf nicht mehr gesehen hatte, zurück. Das Zugehen auf Menschen, das Helfen, das Gebrauchtwerden. Schnell fand er sich in der Rolle ein, die bis heute sein Leben bestimmt.

Die Dekanin der evangelischen Fakultät der HU, Dorothea Wendebourg, hält solche Findungsprozesse für sehr wichtig. „Das Studium dient der wissenschaftlichen Bildung und vor allem der Selbstklärung“, sagt sie. In der Auseinandersetzung mit dem Alten und Neuen Testament, mit Kirchengeschichte und systematischer Theologie gehe es darum, herauszufinden, ob man den Glauben gegenüber sich selbst und, im Rahmen der Kirche, auch nach außen hin argumentativ vertreten kann.

Die Studenten von heute werden also wie Andreas Hoffmann Mitte der 80er Jahre kein Problem haben, nach dem Examen einen Platz für das gut zweijährige Vikariat zu finden. Die praktische Ausbildung ist vergleichbar ist mit dem Referendariat für Lehrer. Die Vikare werden in der Gemeinde und an Schulen eingesetzt und im Predigerseminar in Wittenberg unterrichtet. Bereits im Studium kann man sich für das Vikariat auf einer Liste der Landeskirche, bei der man Pfarrer werden will, vormerken lassen. 150 Studenten stehen zur Zeit bei der EKBO darauf; längst nicht genug, um den künftigen Bedarf zu decken.

Nach der praktischen Ausbildung arbeitet ein Anwärter als eine Art Pfarrer auf Probe im Entsendungsdienst, bevor er zum Pfarrer auf Lebenszeit berufen wird.

Der Tag beginnt für Andreas Hoffmann in der Regel an seinem Schreibtisch im Großraumbüro der Gemeinde. Von hier aus führt er die Geschäfte der Kirche. Er trifft verwaltungstechnische Entscheidungen, schreibt E-Mails, unterzeichnet Rechnungen und Verträge. Er nimmt an Gremiensitzungen teil, führt Beerdigungen, Taufen und Trauungen durch, besucht Gemeindemitglieder im Krankenhaus. Er unterrichtet die Konfirmanden, trifft sich mit Vertretern einiger weniger der benachbarten Moscheen.

Im geistlichen Zentrum der Arbeit aber steht für ihn der Gottesdienst. „Die Gemeinde soll davon leben, sich im Gottesdienst zu besinnen und in Frage zu stellen“, sagt er. Doch nur etwa 30 Besucher sitzen ihm gegenüber, wenn er sonntags von der Kanzel spricht.

Daran, sich beruflich zu verändern, hat Andreas Hoffmann nie gedacht. Dabei gibt es auch innerhalb der Kirche einige Möglichkeiten. Man kann etwa Sonderseelsorger werden in Gefängnissen, Krankenhäusern, Flughäfen oder Schulen, die Karriereleiter weiter hinauf steigen, in dem man als Superintendent die Dienstaufsicht von Pfarrern übernimmt oder Leiter kirchlicher oder diakonischer Einrichtungen werden. Allerdings sind Führungspositionen in der Kirche rar. Etwa 100 solcher Stellen gebe es in der Landeskirche, sagt der Personaldezernent der EKBO, Joachim Muhs.

Für die Führungsaufgaben werden die Pfarrer mit einem speziellen Bonus entlohnt, der auf ihr Grundgehalt aufgestockt wird. Ein Superintendent etwa bekommt 579 Euro dazu.

Zum Berufsstart beträgt dieses Grundgehalt 3369 Euro brutto im Monat. Mit zunehmender Erfahrung steigt es schrittweise auf bis zu 4126 Euro an. Wer verheiratet ist bekommt generell noch einmal 100 Euro im Monat drauf, für das erste und zweite Kind gibt es je 100 Euro dazu, ab dem dritten Kind je 286 Euro.

Dafür muss man allerdings einiges auf sich nehmen. „Wer sich für den Beruf entscheidet, sollte sich bewusst machen, dass man Pfarrer auf Lebenszeit wird, keine festen Arbeitszeiten hat, im Pfarrhaus lebt und präsent sein muss, wenn Hilfe gebraucht wird“, sagt Oberkonsistorialrat Muhs, „Tag und Nacht, an jedem Wochenende“. Darauf müsse sich auch die Familie des Pfarrers einlassen.

Andreas Hoffmann hat keine eigene Familie. Er wisse auch nicht, wie er das mit dem Amt hätte vereinbaren können, sagt er. Sein Beruf ist sein Leben. Nur wenn er Urlaub hat, zieht er die Tür von draußen hinter sich zu und lässt die Gemeinde für ein paar Wochen Gemeinde sein.

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