zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Im Rachen des Drachen

Wenn westliche Konzerne in China bauen, müssen sie eins versprechen: dass Chinesen sie kopieren dürfen. Wie beim Transrapid

Peking/Chengdu/Schanghai - Überall Maschinenlärm. In sicherer Entfernung beobachten Touristen, wie der Drei-Schluchten-Staudamm am Fluss Jangtse einmal aussehen wird. Bei den Bauarbeiten an der dazugehörenden Schiffsschleuse, die in den blanken Granitfels getrieben werden musste, seien nur drei Bausoldaten umgekommen, erzählt ein Reiseführer fast stolz – trotz 50 Grad Celsius Hitze im Sommer und extrem harten Bedingungen. An dem Unfall sei eine aus den USA importierte Transportmaschine schuld gewesen.

Der Staudamm am Jangtse wird einer der größten der Welt sein, wenn er wie geplant zum Ende des Jahrzehnts fertig gestellt wird. 130 Meter vom Sockel bis zur Krone wird er hoch sein, mit einer Stauhöhe von 125 Metern. Strom produziert der Damm schon heute – auch dank deutscher Technik. Siemens wurde mit internationalen Größen wie ABB, General Electric und Alstom ausgewählt, insgesamt 14 Turbinen zuzuliefern. Die übrigen zwölf Turbinen baut die chinesische Firma Dongfang – aber nicht nach eigenen Plänen. Die chinesische Seite hat den ausländischen Konzernen zur Bedingung gemacht, dass ihre Produkte kopiert werden dürfen. Siemens und Co. sind darauf eingegangen, weil sie im Riesenmarkt China sonst bald nichts mehr zu sagen hätten. „Wenn wir das nicht akzeptieren, dann sind wir raus“, sagt ein Manager.

Das Drohpotenzial Chinas ist nicht zu unterschätzen. Die Konzerne müssten auf weitere Großaufträge verzichten, wenn sie nicht großes Entgegenkommen zeigen. Die Geschäfte lohnen sich trotzdem. Allein Siemens ist in China mit etwa 45 Firmen engagiert, machte zuletzt einen Jahresumsatz von rund 3,9 Milliarden Euro und beschäftigt 31 000 Menschen. Der chinesische Staat muss auch Jahr für Jahr Milliardeninvestitionen tätigen, damit er die Infrastruktur zur Verfügung stellt, die das geplante starke Wirtschaftswachstum von jährlich acht bis zehn Prozent als Grundlage braucht. Bis 2015 sollen zum Beispiel die Kapazitäten zur Stromerzeugung im Vergleich zu heute verdoppelt werden. Dabei sind sie schon seit der Jahrtausendwende zwischen 8,4 und 15 Prozent pro Jahr gewachsen.

Die Konzerne spielen ein gefährliches Spiel. Denn viele Chinesen haben ein anderes Rechtsverständnis als die westliche Welt, wenn es um den Schutz geistigen Eigentums geht. Bei offiziellen Anlässen verspricht die Pekinger Regierung zwar gerne strengere Maßnahmen gegen Produktpiraten, von deutschen Experten erhält China juristische Unterstützung bei der Ausarbeitung der nötigen Gesetze. In der realen Welt hat sich aber nicht viel getan – von einigen wenigen Achtungserfolgen westlicher Firmen vor chinesischen Gerichten abgesehen. Weshalb bei der jüngsten Ankündigung, China wolle einen eigenen Transrapid bauen, direkt der Kopierverdacht aufkam. Auch der nächste Gipfel der acht größten Wirtschaftsnationen – G8 – wird sich wohl mit dem Thema beschäftigen.

Die großen Kaufhäuser mit nachgemachten Adidas-Schuhen und illegal kopierten DVDs in Peking oder der Wirtschaftsmetropole Schanghai gehören zum Standardprogramm für Touristen. Nachgemacht werden aber nicht nur westliche Produkte, auch einheimische Hersteller sind vor der Kopierwut ihrer Landsleute nicht sicher. Wer an einem Straßenstand zum Beispiel eine Dose Tsingtao-Bier kauft, kann sich nicht mehr sicher sein, dass der Inhalt tatsächlich aus der größten Brauerei des Landes kommt. So mancher alternative Brauer verfehlt das Ziel deutlich – zum Schaden des Konsumenten und zum Schaden der kopierten Brauerei.

Ähnlich geht es deutschen Anlagen- und Maschinenbauern, die wegen schlechter Nachahmungen manchmal um ihren Ruf fürchten müssen. „Die Chinesen haben unsere Züge schnell kopiert“, sagt ein Manager, der mehrere Jahre einen Ableger einer deutschen Bahntechnikfirma in Zentralchina geleitet hat. „Allerdings sahen die Züge nur so aus wie unsere, hatten aber nicht die Qualität. Bei einem Blech weiß man nur, wie es aussieht – nicht, welche Legierung zum Einsatz gekommen ist.“ Das ist die Rettung für die deutschen Produzenten – im Zweifel entscheiden sich auch die chinesischen Kunden lieber für die Qualitätsvariante.

„Die chinesischen Auftraggeber achten sehr darauf, dass die neueste Technologie eingesetzt wird“, erzählt Lutz Kahlbau, Chef der Siemens-Sparte Energieerzeugung in China. Das illegale Kopieren von Know-how sei jedoch kein Thema, sagte er bei einer Führung durch ein Kohlekraftwerk, das Siemens am Stadtrand von Schanghai gebaut hat. In dem Werk geht westliche Technik mit chinesischer Improvisation eine perfekte Symbiose ein: In einer großen Halle summen zwei Generatoren vor sich hin – an den Wänden umrahmt von Baugerüsten aus Bambus.

„Wir haben bisher in der Kraftwerksbranche nicht feststellen können, dass Technik geklaut wurde“, sagt Kahlbau. Davon unterscheiden müsse man ohnehin den legalen Technologietransfer – „der ist eine vernünftige Lösung“. Kahlbau geht davon aus, „dass wir Technologieführer und deswegen auch ein attraktiver Partner bleiben“. Schließlich könne die chinesische Konkurrenz den technischen Vorsprung nicht in wenigen Jahren aufholen. Mit anderen Worten: Solange Siemens immer wieder etwas Neues zu bieten hat, sind die Chinesen daran interessiert und kaufen es – die Produktinformationen im „Transfer“ inklusive. Die größte Gefahr, technologisch überholt zu werden, sieht Kahlbau eher in elektronischen Märkten.

Genau das hat Siemens in den vergangenen Jahren erlebt. Gefährlich wird es aber, sobald die chinesischen Hersteller aus dem Nachahmerstadium herauskommen und konkurrenzfähige Produkte herstellen. Die Chinesen sind dabei oft kreativer, als es so mancher deutscher Topmanager wahrhaben will.

Noch vor fünf Jahren verkündete Siemens, mit seinen Handys China erobern zu wollen. Fragen nach der chinesischen Konkurrenz wurden nur mit einem Naserümpfen quittiert. „Die haben ein Riesenproblem mit der Qualität und müssen alle wichtigen Teile importieren. Die sind keine Konkurrenz für uns“, sagte damals Joachim Rutzen, der Finanzvorstand der Siemens-Mobilfunktochter in Schanghai. Dort hatte der Konzern neben dem niederrheinischen Kamp-Lintfort seine zweite zentrale Fertigungsstätte für Mobiltelefone aufgebaut. Die Selbstsicherheit hat sich gerächt. Die Sparte wurde – wegen anhaltender Verluste – an den taiwanesischen Konkurrenten BenQ abgegeben.

Wie schnell sich die Stimmung drehen kann, hat auch der Volkswagen-Konzern festgestellt. Vor wenigen Jahren hatte er bei Autos in China noch einen Marktanteil von 50 Prozent, mittlerweile sind es unter 20 Prozent. Dafür holen die chinesischen Eigenbauten auf – und tauchen schon auf internationalen Automobilausstellungen auf. In China wurde wiederum der US-Hersteller GM mit einer perfekten Kopie eines seiner Autos konfrontiert – GM bleibt nichts übrig, als ein Konkurrenzmodell zum eigenen Auto zu entwickeln.

Am Drei-Schluchten-Staudamm schuften die Arbeiter noch lange, um China zum höheren Ruhm zu führen. In das Bauwerk soll ein Schiffshebewerk integriert werden, das vor allem Frachter schneller über das Hindernis im viel befahrenen Jangtse bringen soll als die existierende Schleuse. Baubeginn ist in diesem Jahr. „Wie das Ganze technisch zu machen ist, wissen wir noch nicht“, erzählt der chinesische Reiseleiter. „Das hat noch niemand auf der Welt gemacht.“ Fest steht aber: „Bis 2012 wird das Schiffshebewerk fertig. Wir haben es selbst entwickelt. Und es wird das größte der Welt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false