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Renditeobjekt für Großinvestoren: In Deutschland bekommen freiberufliche Zahnärzte immer mehr Konkurrenz durch Versorgungszentren.

© Robert Michael/dpa

Immer mehr Großinvestoren in der Zahnmedizin: Fehlende Transparenz bei Versorgungszentren

In Deutschland gibt es schon mehr als 200 zahnmedizinische Versorgungszentren, die über Großinvestoren finanziert werden. Doch die Union will kein Register.

Die freiberuflichen Zahnärzte in Deutschland sorgen sich um die zunehmende Zahl zahnmedizinischer Versorgungszentren (Z-MVZ). Der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zufolge betrug deren Zahl in Deutschland Ende März exakt 1.000, mittlerweile dürften 40 weitere hinzugekommen sein. Und besonders beunruhigt zeigen sich die Funktionäre über den Zuwachs an investorengetragenen Versorgungszentren (I-MVZ). Deren Anteil am MVZ-Gesamtmarkt wachse kontinuierlich, heißt es in einer aktuellen Bestandsaufnahme. Er belaufe sich inzwischen auf ein gutes Fünftel. Gab es im Dezember 2015 lediglich zehn I-MVZ, so waren es im März 2020 bereits 207 und mittlerweile wohl bereits rund 220.  

Wer genau dahintersteckt, ist oft sehr schwer herauszufinden. Die Beteiligungsstrukturen der Investoren ließen sich teilweise „nur durch aufwändige Recherchen in Handelsregistern und speziellen Datenbanken“ aufdecken, klagt die KZBV – und fordert deshalb ein verpflichtendes MVZ-Register. Nur auf diese Weise, so die Begründung, könne die „mangelhafte Informationslage“ dauerhaft verbessert werden.

Die Inhaberstrukturen seien „tief verflochten und bewusst verschachtelt“, ärgert sich KZBV-Chef Wolfgang Eßer. „Wir fordern daher den Gesetzgeber auf, diese undurchsichtige Informationslage durch die gesetzlich vorgegebene Einführung eines verpflichtenden MVZ-Registers deutlich zu verbessern und unter dem Aspekt des Patientenschutzes auf Praxisschildern und -webseiten klar kenntlich zu machen, wem ein MVZ tatsächlich gehört.“

Zwölf Großinvestoren in Deutschland aktiv

Erforderlich sei diese Transparenz „insbesondere, um jederzeit aktuell die weitere Entwicklung der Versorgung genau beobachten und bei Bedarf präventiv eingreifen zu können“ – nicht zuletzt mit Blick auf mögliche Über- oder Fehlversorgung. Außerdem, so die KZBV-Argumentation, sei die Möglichkeit solchen Einblicks ein „Gebot der Fairness“. Schließlich gebe es auch Arzt- und Zahnarztregister. Und auch die Patienten sollten Bescheid darüber wissen, „in welche Hände sie sich begeben“.

Aktuell hat die KZBV für den zahnärztlichen Bereich in Deutschland zwölf Groß- und Finanzinvestoren identifiziert, die zum Teil weltweit agieren und ein Gesamtinvestitionsvolumen von rund 94 Milliarden Euro verwalten. Am aktivsten davon ist der Aufstellung zufolge die französische Private-Equity Gesellschaft PAI Partners mit deutschlandweit 36 Zahn-MVZ – gefolgt von der Züricher Jakobs Holding AG, dem in Bahrain und auf den Kaiman-Inseln ansässigen Unternehmen Investcorp und der skandinavischen Geldsammel-Firma Altor Equity Partners mit jeweils 30 Zentren.

Auf den weiteren Plätzen: die Cara Investment GmbH (22), Quadriga Capital und EQT (je 16), Nordic Capital und die Johannesbad-Gruppe (jeweils sechs) sowie Gimv, Dentabene GmbH und Castik Capital (je fünf). Von den insgesamt 1.000 zugelassenen Zahn-MVZ befanden sich Ende März 622 im Verbund mit einer MVZ-Kette. Die beiden mit Abstand größten davon sind die von Acura (Investcorp) mit 30 Standorten und „Dr. Z“ mit 22 Standorten. Wobei die „Dr. Z“ GmbH momentan in Nöten zu stecken scheint: Gegen drei ihrer Versorgungszenten, in Düsseldorf, Koblenz und Stuttgart läuft derzeit nach Informationen von Tagesspiegel Background ein Insolvenzverfahren. Auf eine Anfrage dazu reagierte das Unternehmen nicht. 

Einstieg über den Erwerb finanzschwacher Krankenhäuser

Die Möglichkeit, medizinische Versorgungszentren auch als reine Zahnärzte-MVZ zu betreiben, wurde hierzulande vor fünf Jahren mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz geschaffen. Bis dahin galt die Vorgabe, dass Medizinische Versorgungszentren fachübergreifend sein mussten. Der Kreis der möglichen Gründer umfasst den Bestimmungen zufolge neben Zahnärzten auch Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nicht-ärztlicher Dialyseleistungen, gemeinnützige Träger oder Kommunen. Um hier aktiv werden zu können, müssen Finanzinvestoren folglich in den Besitz eines dieser möglichen MVZ-Träger gelangen.

In der KZBV-Analyse wird die Vorgehensweise folgendermaßen beschrieben: „Bei den bisher bekannt gewordenen Finanzinvestoren, die in den deutschen Dentalmarkt eingestiegen sind, verlief der Weg so, dass ein finanzschwaches Krankenhaus bzw. eine Klinik erworben wurde. Dieses muss dabei weder fachlich noch räumlich einen Bezug zu den zu gründenden MVZ haben.“ Das Krankenhaus oder die Klinik gründet dann eine MVZ-Trägergesellschaft, meist in Form einer GmbH, um darüber Versorgungszentren zu gründen oder bestehende aufzukaufen. Dasselbe gelte für Zahnarztpraxen, die ebenfalls aufgekauft und in MVZ umgewandelt würden. Allerdings sind Neugründungen über Kliniken seit einer gesetzlichen Änderung vor einem Jahr nur noch möglich, wenn ihr Versorgungsanteil im jeweiligen Planungssektor zehn Prozent nicht übersteigt. In überversorgten Bereichen liegt die Quote sogar bei nur fünf Prozent. In unterversorgten Gebieten sind 20 Prozent die Grenze.

Nach Erkenntnissen der KZBV siedeln sich investorengetragene Versorgungszentren „vorwiegend in gut versorgten, urbanen Gegenden an, in denen das Durchschnittseinkommen höher ist“. An der Versorgung ländlicher, strukturschwacher Regionen dagegen beteiligen sich investorengetragene MVZ nur in geringem Umfang, lautet die Klage. Nur sieben Prozent dieser Zentren lägen in ländlichen Bereichen mit niedrigem Medianeinkommen, 76 Prozent dagegen in Städten und Ballungszentren. „Damit leisten sie so gut wie keinen Beitrag zur Patientenversorgung in Gebieten, in denen am ehesten Versorgungsengpässe und Unterversorgung drohen“, sagt Eßer. „Die Aufrechterhaltung der flächendeckenden, wohnortnahen und qualitätsgesicherten Versorgung durch freiberuflich tätige, dem Gemeinwohl verpflichtete Zahnärztinnen und Zahnärzte wird mit dem Geschäftsmodell der Investoren auf Dauer gefährdet.“

In Ostdeutschland noch nicht groß verbreitet

Der KZBV-Statistik zufolge entfällt ein Großteil der zahnärztlichen Versorgungszentren auf das Gebiet der alten Bundesländer. Spitzenreiter ist Bayern mit 175, also einem Anteil von 17,5 Prozent – gefolgt von Baden-Württemberg (167) und dem KZBV-Bezirk Nordrhein (152). Auf den weiteren Plätzen: Berlin (96), Westfalen-Lippe (83) und Niedersachsen (71). Dagegen bringt es ganz Ostdeutschland ohne Berlin gerade mal auf 70 solcher Zentren, was lediglich sieben Prozent entspricht. Ende März 2020 waren in den 1.000 MVZ insgesamt 636 Vertragszahnärzte, 3.328 angestellte Zahnärzte und 552 Assistenzzahnärzte tätig. Die Teilzeitquote betrug 83 Prozent.

Mit Blick auf die forcierten Zuwächse müssten bestehende MVZ-Regelungen „schnellstmöglich und konsequent weiterentwickelt werden“, forderte Eßer. Konkrete Vorschläge dafür werde man im Herbst dieses Jahres machen. Schließlich zeige die Coronakrise „doch ganz klar, dass eine Vergewerblichung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, wie sie etwa in den USA schon weiter fortgeschritten ist, ein fataler Irrweg ist“. Bereits vor einem Jahr forderte die den Zahnärzten sonst nicht so nahestehende Linkspartei per Bundestagsantrag ein öffentlich zugängliches Register für alle medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland – samt Meldepflicht über Trägerstrukturen, Beschäftigtenzahlen und ausgeschüttete Gewinne. Der Antrag wurde abgelehnt.

Den Grünen ist Behandlungsqualität wichtiger als Trägerschaft 

Die Grünen sympathisieren ebenfalls mit der Forderung nach einem verpflichtenden MVZ-Register. Entscheidend für die Patientenversorgung sei aber „in erster Linie die Qualität der erbrachten Leistungen und nicht die Trägerschaft der Einrichtungen“, sagte deren Fraktionsexpertin Kirsten Kappert-Gonther dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. „Wir brauchen daher dringend vor allem mehr Transparenz über die Behandlungsqualität. Das gilt gerade für den zahnmedizinischen Bereich, in dem ein Großteil der Leistungen durch die Versicherten selbst gezahlt werden muss.“

Zu solcher Transparenz könne „auch ein Register beitragen, das sowohl Angaben zur Trägerschaft von Gesundheitseinrichtungen, als auch zur Qualität enthält“, so Kappert-Gonther. Gleichzeitig verlangte sie, sich dabei nicht nur auf MVZ zu beschränken. Öffentliche und beitragsfinanzierte Mittel seien „nicht dazu da, auf Kosten von Patienten hohe Renditen zu erzielen“, findet die Grünen-Politikerin ganz generell. „Wir brauchen Transparenz darüber, welche Rendite aus den Gesundheitseinrichtungen abgeschöpft wird. Ein Register kann hierfür ein sinnvolles Instrument sein.“

Union warnt vor bürokratischem Aufwand durch Register

Die Union indessen hält wenig von der Register-Forderung. Ein solcher Überblick wäre, warnt deren Gesundheitsexperte Erwin Rüddel, „mit deutlichem bürokratischen Aufwand für die MVZs und die Selbstverwaltung verbunden, während das eigentliche Ziel verfehlt wird: Als Eigentümer von MVZ tauchen nicht die Investoren auf, sondern die entsprechenden Trägerstrukturen wie zum Beispiel ein Krankenhaus.“ Man müsste einem solchen Register dann also auch noch die Eigentümerstrukturen aller deutschen Kliniken hinzufügen.

Dabei sagten die Eigentümerstrukturen „nichts über die Qualität der Gesundheitsbehandlung für den einzelnen Patienten aus“, so der CDU-Experte und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag. „Wenn Sorgen bestehen, dass in unserem Gesundheitssystem die gute Patientenversorgung in Gefahr ist, müssen wir über Qualitätsstandards sprechen“, sagte Rüddel dem Tagesspiegel Background. „An diesen ganz konkreten Zielen sollte sich die Qualität jeder Einrichtung im Gesundheitswesen messen lassen, nicht am Eigentümer.“

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