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Der Rahmen des Gewächshauses ist fertig. Vorn das wichtigste Baumaterial: alte Autoreifen.

© Daniel Hautmann

Alternatives Bauen: Das Abfallprodukt

Im Landkreis Schwäbisch-Hall bauen Laien ein Haus hauptsächlich aus Müll und Erde. Dürfte man in Deutschland Regenwasser trinken, wäre das Earthship komplett autark.

Es geht zu wie auf einem Ameisenhaufen. Überall wuseln Leute rum, hämmern, sägen oder schleppen irgendetwas. Rockmusik beschallt die Baustelle. Viele der Arbeiter tragen lange Mähnen und ausgefranste Klamotten. Die Stimmung ist bestens. Hier wird also ein Haus gebaut?

Ja. Aber kein normales. Sondern ein Earthship, ein vollständig autarkes Gebäude.

„Erdschiff“ – der Name erinnert an die 1970er-Jahre, in denen der US-Amerikaner Michael Reynolds das Konzept entwickelte. Zunächst hielt man ihn für einen Freak. Heute nimmt man den Mann mit der grauen Mähne und dem ausgefransten Strohhut ernst: An die 1000 Earthships gibt es mittlerweile – von Haiti über Malawi bis Australien. „Die Menschen spüren, dass sich die Welt verändert, dass es so nicht weitergeht“, sagt Reynolds. Bald gibt es auch in Deutschland ein Earthship: auf dem Gelände der Lebensgemeinschaft Schloss Tempelhof in Süddeutschland.

Ständig gibt es Änderungen, alles muss sofort sein

Dort leben etwa 140 Menschen. Die meisten in normalen Häusern, einige in Bau- und Lastwagen. Was alle Bewohner eint, ist der Sinn für Natur, für ein nachhaltiges und selbstbestimmtes Leben. Ein „Earthship“ passt da gut ins Konzept. Das 180-Quadratmeter-Haus soll den 28 Bewohnern der mobilen Einheiten als Küche, Bad und Gemeinschaftsraum dienen. „Das ist ein Experiment“, sagt Roman Huber, Mitbegründer des Tempelhofs und Bauherr des rund 300.000 Euro teuren Earthships.

Michael Reynolds ist der Architekt des Earthships.
Michael Reynolds ist der Architekt des Earthships.

© Daniel Hautmann

Dank ihrer Bauweise brauchen diese Gebäude keine konventionelle Heizung. Die Sonne reicht aus, um die Innenräume auf Temperatur zu bringen. Regenwasser landet in Zisternen, wird gefiltert und dient erst als Trinkwasser und zum Duschen, anschließend zum Bewässern der Pflanzen und für die Toiletten. Photovoltaikmodule liefern Strom. Die Gebäude können überall und von jedem binnen weniger Wochen gebaut werden – aus Materialien, die andere wegwerfen.

Max Thulé, der mit seiner Firma mobile Wohneinheiten baut, ist einer der zukünftigen „Erdschiff“-Bewohner. Er leitet den Einkauf und die Werkzeugbeschaffung auf der Baustelle. „Fast alle Entscheidungen fallen im laufenden Betrieb. Ständig gibt es Änderungen. Alles muss sofort sein. Das kannte ich so nicht. Aber es funktioniert.“

Der Bau ist eine Art Workshop, eine vorübergehende Gemeinschaft

Seit Anfang Oktober werkeln etwa 70 Personen am Earthship. Ende des Monats soll der Rohbau stehen, noch vor Weihnachten der Innenausbau fertig sein. Maschinen sieht man kaum auf der Baustelle, hier ist Handarbeit angesagt. Es ist Reynolds Konzept: Der Bau ist eine Art Workshop, eine vorübergehende Gemeinschaft. Die Helfer, fast alle Freiwillige, lernen, wie so ein Gebäude entsteht – und können hinterher die Idee hinaus in die Welt tragen.

Wie Felix aus Passau. Der 29-Jährige arbeitet in der Gastronomie und hat sich für das Bauprojekt vier Wochen Urlaub genommen. „Ich wollte mal was Sinnvolles tun“, ruft er gegen den Lärm der Baustelle an, die gerade mit Queens „We will rock you“ beschallt wird. Es gibt kaum Hierarchien, nur ein paar kundige Vorarbeiter, die wissen, was zu tun ist. Alle anderen packen an, wo sie wollen oder gerade eine Hand gebraucht wird. Da wird geschuftet, getanzt, gefeiert.

Die meterdicken Wände sind der thermische Speicher

Zentrales Element eines Earthships sind Altreifen, wie es sie auf der ganzen Welt gibt. 900 Stück stapeln die Helfer übereinander und füllen sie mit Erde, die sie feststampfen und den Häusern so regelrecht Energie einprügeln – im übertragenen Sinne: Die meterdicken Wände sind der thermische Speicher. Die Gebäude sind nach Süden ausgerichtet, die Sonne wärmt den Speicher. Ist es kalt, gibt er seine Energie ab.

„Das hier ist kein Plusenergiehaus. Hier geht es um eine ganz andere Philosophie. Nämlich darum, erst gar keine zu verbrauchen“, sagt Architekt Ralf Müller, der gleichzeitig Bauleiter und Entwurfsverfasser ist.

Das energetische Konzept geht selbst in Taos, New Mexico, auf, wo das Thermometer regelmäßig unter minus 20 Grad fällt. Hier bewohnt Reynolds sein Earthship. Trotz seiner 70 Jahre schwingt er auf der Tempelhof-Baustelle den Hammer, um für sein Projekt zu werben.

Ginge es nach ihm, dann ließe sich damit sogar unser Flüchtlingsproblem lösen – zumindest die Unterbringung. Er würde die Leute einfach mitbauen lassen und sie so integrieren. Doch das sind bislang nur Ideen.

Glasschotter statt Polystyrol

Ganz real sind die Herausforderungen auf dem Tempelhof. Normalerweise sind Earthships nicht ans Versorgungsnetz angeschlossen. Doch das geht in Deutschland nicht. Regenwasser trinken verboten! Gesundheitsamt, Umweltamt, Brandschutz – alle reden mit. Die Behörden bestanden zumindest auf Frisch- und Abwasser: „Anschlusszwang“, sagt Müller.

Zivilisationsabfälle als Baumaterial. In Tempelhof (Landkreis Schwäbisch-Hall) landet dieses „Earthship“.
Zivilisationsabfälle als Baumaterial. In Tempelhof (Landkreis Schwäbisch-Hall) landet dieses „Earthship“.

©  Daniel Hautmann

Andere Hürden schaffen sich die Deutschen Erdschiffpiloten selbst: Mit ihrem spezifischen Umweltbewusstsein. So sieht das Originalkonzept vor, Boden, Dach und Wände mit günstigen XPS-Platten aus Polystyrol zu dämmen. Das styroporähnliche Isolationsmaterial ist aber alles andere als ökologisch wertvoll. Also nehmen die Tempelhofer dafür nun teuren Glasschotter. Der wird aus recyceltem Glas hergestellt. „Diese Konsequenz muss man sich leisten können“, sagt Müller.

"Jetzt wollen die Holz kaufen und verzögern das Projekt um Tage"

Reynolds schüttelt darüber nur den Kopf. „Ich denke logisch, nicht bio oder grün“, sagt er. Als man am Tempelhof diskutierte, ob man leere Aludosen als Füllstoff verbauen dürfe oder nicht, ging dem Cowboy der Hut hoch. 5000 Dosen lagen bereits in großen Säcken auf der Baustelle – pfandfreie Ausschussware, eine Spende. Sie werden normalerweise auf der Reifenwand per Hand und mit Mörtel aufgeschichtet und bilden eine Schalung, in die Beton gegossen wird. Später trägt dieses Fundament das Dach.

Das war zu viel für den Tempelhof. Man wollte keinen Müll einbetonieren, sondern eine ordnungsgemäße Schalung bauen. „Jetzt wollen die Holz kaufen und verzögern das Projekt um Tage“, schimpft Reynolds.

Es gab dann doch eine Einigung. Ein Teil der Dosen wird verbaut, der andere mit Abbruchmaterial aufgefüllt. Die silberfarbenen Dosenböden ragen sichtbar aus der Wand heraus, so wollte es Bauherr Huber: „Hier wird nichts versteckt.“

Daniel Hautmann

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