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Immobilien: An der Strecke geblieben

Für viele leer stehende Bahnhofsgebäude in Brandenburg werden neue Nutzer und Konzepte gesucht. Ein Überblick.

Dass jede Stunde wildfremde Menschen ihr Haus umrunden und an der Rückseite warten bis der Zug kommt, nimmt Sabine Bürst hin – sie hat es so gewollt. Denn: Sie hat den Bahnhof Blumenthal gewollt. „Ein normales Haus kann jeder haben“, sagt sie fröhlich. „Aber ich wollte schon immer einen Bahnhof, eine Mühle oder eine Burg.“ Sie und ihr Mann Jörg Wenzel sind bescheiden geblieben, nahmen „etwas mehr als 20 000 Euro“ in die Hand und kauften sich Ende November den Bahnhof Blumenthal in der Gemeinde Heiligengrabe (Landkreis Ostprignitz- Ruppin). Die Prignitzer Eisenbahn, die die Linie Meyenburg–Neustadt (Dosse) betreibt, haben sie jetzt als Untermieter mit Büroräumen und einem Stellwerk im Haus.

Jörg Wenzel ist das, was man einen Eisenbahn-Fan nennt, und sie hatten sich in diesen Bahnhof schon in Kindertagen verguckt. Die Bausubstanz des Blumenthaler Bahnhofs fanden sie „erstaunlich gut“, was den Kaufpreis mehr als rechtfertige. Inzwischen bauen die beiden Ex-Berliner ihr neues Zuhause Raum um Raum aus – nur das mit dem Strom klappt immer noch nicht: „E.on-edis lässt uns hängen“, sagt Sabine Wenzel.

Es hat sich in höchsten Bahnkreisen die Meinung festgesetzt, dass Lotterbahnhöfe das Ansehen des Unternehmens nicht gerade fördern. Also hat die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren rund 1,4 Milliarden Euro aus Fördermitteln in die Modernisierung der Bahnanlagen gesteckt – die Steuermittel aus dem Konjunkturprogramm lagen griffbereit. 100 Millionen Euro hatte die Bahn vom eigenen Geld beigesteuert. Und die stillgelegten Bahnhöfe an den Strecken, in die das Unternehmen seit Jahren keinen Heller mehr stecken wollte, sollen jetzt schleunigst von neuen Besitzern gerettet werden – eine kleine Verkaufsoffensive des guten Ansehens wegen.

Obenan auf der Liste für Berlin und Brandenburg steht der ehemalige Bahnhof Niemegk, im Süden des Landkreises Potsdam-Mittelmark bei Belzig. Oder besser gesagt, mitten im Puppenstuben-Brandenburg. Exakt beschrieben handelt es sich bei dem gefällig konstruierten Gelbziegelbau mit dezenter Ornamentik um ein ehemaliges Bahnhofsempfangsgebäude mit angebautem Güterboden aus dem Jahr 1904 an einem stillgelegten Gleiskörper; seit Oktober 1962 ist der Personenzugverkehr eingestellt. Übrig geblieben sind Teile der Gleisanlagen, Signaltechnik ohne Funktion, ein Stellhebel im kleinen Stellwerk. Das Objekt gilt insgesamt, schon wegen des langen Leerstands, als stark sanierungsbedürftig. Das Grundstück ist mit 3770 Quadratmeter schön groß, allerdings eher bahnsteigmäßig zugeschnitten: 200 Meter lang und nur zehn bis stellenweise 30 Meter breit. Also – man sollte schon ein dickes Eisenbahner- Gen in seiner DNA haben, um hier einzusteigen: Und man sollte bei dem geforderten Höchstgebot ruhig sachte zielen.

Was die Sache mit den Bahnhöfen interessant macht, ist neben der Bahn-Genetik eben der Preis: Bahn-Immobilien dieser Art wechseln oft schon für „’nen Appel und ein Ei“ den Besitzer. Das Immobilien-Auktionshaus Karhausen hatte Mitte vergangenen Jahres ausgediente Bahnhöfe zu Dutzenden angeboten, selten stand das geforderte Mindestgebot höher als 1000 Euro. Den Bahnhof Brand, einen ansehnlichen dunkelroten Ziegelbau in einem Ortsteil von Halbe (Landkreis Dahme-Spreewald) hatte sich ein privater Investor gesichert, wie man hört „für schlanke 5500 Eier“. Schon ist der Bau eingerüstet, die Nachnutzung soll beginnen. Schließlich steigen hier die Berliner aus dem Zug, die sich von einem Bus zum Tropenwunderbad „Tropical Islands“ bringen lassen – da sollte sich doch etwas auf die Beine stellen lassen.

Wer will, der kann jetzt überall im Land günstig einsteigen: in Tantow, Döbern, Finowfurt, Jüterbog, Groß Kreutz, Küstrin- Kietz, in Wittstock oder mit dem Bahnhofsschmuckstück von Lindow (Mark). Den ganz großen Auftritt können sich Eisenbahnfreunde in Neuzelle leisten – südlich von Eisenhüttenstadt. Der Bahnhof dort ist ein Prachtbau aus dem Jahr 1920, hat drei Vollgeschosse, links und rechts flankiert von turmartigen Seitenflügeln. Auf jeden, der schon die Bundesstraße 112 nach Süden gefahren ist, muss der mächtige Bahnhof in der fernen Provinz Eindruck gemacht haben: Die Bahnhofsvorsteher von einst wussten durchaus zu leben. Die Geschossfläche von 987 Quadratmetern ist heute in zwölf Wohnungen geschnitten, die zum Teil vermietet sind. Nebengelasse gibt es auch, und zwar reichlich. Nach 40 Jahren DDR und anschließend 20 Jahren bei der Deutschen Knauserbahn ist der Zustand mit „renovierungsbedürftig“ treffend beschrieben. Für die Immobilie mit ihrer Grundstücksfläche von 672 Quadratmetern steht ein Mindestgebot von 40 000 Euro an.

Künstleratelier, Kulturbahnhof, Restaurant, Konzert- oder Ballsaal, Disco-Hölle – auf mehr oder weniger die gleichen Konzepte laufen die Ideen hinaus, mit denen sich Bahnhofskäufer an die Arbeit machen. Denn schließlich muss sich die Immobilie tragen. Christophe Boyer und seine Frau aus Berlin hatten im Herbst 2011 den Bahnhof Rehagen-Klausdorf samt Lokschuppen (im Kreis Teltow-Fläming) gekauft, um ein Restaurant, ein Café und vor allem einen Treffpunkt für 300 begeisterte Tänzer zu schaffen. Als ein Architekt ihnen dann einen ersten Kostenvoranschlag machte, „sind wir erschrocken“, verrieten sie der örtlichen Zeitung. Der eigentlich schmucke Backstein-Bahnhof an der Königlich-Preußischen Militärbahn von 1896 hat in den Jahren gelitten, der Lokschuppen noch viel mehr. Zudem stehen alle Bauten an der Bahnlinie unter Denkmalschutz. Die Militärbahn führte seinerzeit vom noch selbstständigen Schöneberg über Sperenberg, weiter zum Schießplatz Kummersdorf, schließlich nach Jüterbog. Alles ist Geschichte.

Auch so etwas gibt es zu kaufen: Der Wasserturm am Bahnhof von Pritzwalk gilt inzwischen als Ausflugsziel in dem Prignitzstädtchen und schiebt sich gleich nach St. Nikolai und dem Bismarckturm ins Bild – so etwas von „haste-noch- nicht-gesehen“: Der quadratische Bau hat die Kantenlänge eines Einfamilienhauses und ragt sieben Geschosse auf; Denkmalschützer haben die Hand draufgelegt. Zum Wasserturm gehören zwei Grundstücksflächen von zusammen 17 734 Quadratmetern, derzeit überwiegend als Gartenparzellen genutzt und mit Garagen aus DDR-Zeiten überbaut. Die Anschrift ist natürlich stilecht: Pritzwalk, Am Wasserturm.

Eine andere Immobilien-Spezialität sind große Lokschuppen. Sie bieten jede Menge Platz. Aktuell offeriert die Bahn einen Ringlokschuppen mit vorgelagerter Drehscheibe – also genau das, wovon jeder Eisenbahn-Liebhaber seit seinen frühen Märklin-Tagen träumt. Wer immer schon ein Domizil im Spreewald suchte, dieses Objekt aus Lokschuppen nebst Verwaltungsgebäude bietet sich an. Es liegt vis-à-vis vom Lübbenauer Bahnhof, also in doch zentraler Ortslage. Das Grundstück ist mit 14 940 Quadratmetern großzügig bemessen. Mit von der Partie werden hier bei allen Umbauten die Denkmalschutzbehörden sein, auch piesackt der Sanierungsrückstau. Verkauf gegen Höchstgebot bis zum 1. März 2012.

Wer es eher kleiner mag – den Ort Libbenichen findet man am besten, wenn man auf der Karte die Eisenbahnlinie von Frankfurt/Oder nordwärts Richtung Seelow verfolgt. Der kleine Flecken im Oderbruch hat an der Otto-Grotewohl-Straße einen Haltepunkt mit Bahngebäude – den schon lange niemand mehr braucht. Das kleine Bahnhofsempfangsgebäude (100 Quadratmeter) steht zum Verkauf gegen Höchstgebot. Den bahnbegeisterten Käufer erwartet einiges an Arbeit („Muss komplett saniert werden, Ofenheizung“), dafür bekommt man 10 640 Quadratmeter Land. Das sollte locker für den eigenen Fußballplatz nach Fifa-Norm reichen und könnte das Bahn-Schnäppchen schlechthin werden.

Den Bahnverkehr muss man nicht fürchten – der stört schon nach ein paar Tagen nicht mehr, sagt Sabine Wenzel mit zwei Monaten Betriebserfahrung an der Prignitz-Strecke. Sie arbeitet heute zwar als Altenpflegerin, aber: „Ich habe 1977 eine Lehre als Eisenbahn-Transporttechnikerin für Güterverkehr gemacht“, sagt sie lachend. „Das gab es wirklich in der DDR.“ Hier also steckt ihr Eisenbahn-Gen.

Klaus D. Voss

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