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Immobilien: Auf der Suche nach dem Original

Der Retro-Trend ist jetzt auch auf dem Baumarkt angekommen. Historische Baustoffe und deren Nachbildungen werden immer beliebter

Zerbrochene Säulen und reich verzierte schmiedeeiserne Tore, Badewannen mit Löwenfüßen, Gartenstühle aus verschiedensten Epochen und dazu jede Menge Ziegelsteine in unterschiedlichsten Farben, säuberlich auf Paletten gestapelt: Das Sammelsurium wundersamer oder auch alltäglicher Gegenstände und Materialien findet sich auf dem Gelände einer ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Nordwesten Berlins. Seit zehn Jahren existiert der Familienbetrieb für historische Bauelemente in Marwitz. „Mancher hält das alles hier für Schrott“, sagt Roland Braun, der Bruder des Inhabers, „aber wir betrachten jedes Ding hier als Kunstgegenstand.“

Das Angebot von Firmen, die mit historischen Baustoffen handeln, reicht von Holzbalken und Ziegeln über Türen, Fenster, Parkett und Treppen bis hin zu Waschbecken und Armaturen. Fast alles, was bis in die 1930er Jahre verbaut worden ist, kommt zur Wiederverwertung in Frage – und findet im Zuge des allgemeinen Retro-Trends Interessenten. So entstand ein Markt für historische Baustoffe, mit Internet-Diensten und einem Unternehmerverband. Dennoch bestehen einige der schönsten Beispiele historischer Rekonstruktionen – wie zum Beispiel die Hackeschen Höfe in Mitte – nicht nur aus den aufwändig aus dem Schutt von Abrisshäusern geborgenen Schätzen.

„Wir versorgen vor allem Privatleute, die Wert auf Authentizität und Charme legen“, sagt Roland Braun. Häufig kämen auch Filmleute, Gastronomen oder Schaufensterdekorateure, die nach interessanten und außergewöhnlichen Gegenständen suchten. Irgendwann finde jedes Stück seinen Liebhaber.

Reich verzierte französische Balkonkästen aus emailliertem Gusseisen etwa. Ihr Alter, etwa 100 Jahre, ist ihnen deutlich anzusehen. „Wir erhalten alle Dinge so, wie sie geborgen wurden“, sagt Braun. Denn vielen Kunden sei gerade die Patina wichtig. Wer aufgearbeitete Stücke bevorzugt, dem würden Fachfirmen vermittelt. Die schmucken Kästen kosten, je nach Größe, 80 bis 200 Euro. Das ist nicht wenig für Gegenstände, die oft in letzter Minute vor dem Schrottplatz bewahrt wurden. Die Aufwendungen für Suche, Transport und Aufarbeitung treiben die Preise in die Höhe.

Auch die zum Teil langen Lagerzeiten schlagen sich im Preis nieder. Ein handgemachter, auf Palette gelieferter Ziegelstein kostet 50 Cent. Ein neuer, handgefertigter Stein würde jedoch das Doppelte kosten. Jeder Stein hat eine etwas andere Form, strahlt Wärme aus und verändere seine Farbe je nach Lichteinstrahlung. „Das kann ein DIN-genormter Stein nicht“, sagt Braun. Und in manchen Steinen seien Handwerkerzeichen eingeritzt, auf anderen sei der Fußabdruck eines Tieres zu finden.

Vor 25 Jahren, als die Branche entstand, fuhren die Inhaber noch häufig selbst mit dem LKW umher, um bei Abbruch- und Sanierungsarbeiten Wertvolles vor der Schutthalde zu bewahren. Beim Abriss eines alten Hotels erlebte Thomas Knapp, Vorsitzender des Unternehmerverbandes Historische Baustoffe, wie ein Schrotthändler bereits die Armaturen von einem original erhaltenen Badezimmer im Jugendstil abklopfte. Mittlerweile sei das Bewusstsein für den Wert alter Materialien gewachsen. „Schöne Dinge mit guter Qualität, Natursteinfußbodenplatten oder Eichendielenböden beispielsweise, werden seltener“, sagt Knapp. „Auch vor hundert Jahren wurde schließlich nicht alles in Topqualität gefertigt. Ein Gutshof war besser ausgestattet und gepflegt als Bauernkaten.“

Das merkt auch Roland Braun in Marwitz: „Es wird nicht mehr so viel saniert und weggeworfen wie noch vor zehn Jahren.“ Heute sei er für jeden Anruf dankbar. Zumeist meldeten sich Leute, die sich eines alten Kachelofens oder eines betagten Terrakottabodens entledigen wollten. Oft rufe auch das Bauamt an, wenn ein Abriss bevorstehe. Hat sich die Krise des Baugewerbes auch auf den Handel mit historischen Baustoffen niedergeschlagen? Thomas Knapp vom Unternehmerverband Historische Baustoffe: „Ja, aber wir bedienen einen Nischenmarkt, daher blieben uns Insolvenzen bisher erspart.“ Auch sei die Branche professioneller geworden, das Image des Schrott- und Trödelhändlers passé, man bediene das hochpreisige Niveau. Mit Spezialisten für Türen und Beschläge, für Natursteine, Ziegelböden und Fliesen, für alte Öfen oder Heizkörper. Damit ähnelten die Betriebe immer mehr konventionellen Baustoffhändlern und ergänzten deren Angebot. Mit einem wichtigen Unterschied: Weil man historische Baustoffe nicht einfach bei Großhändlern nachbestellen kann, wird die Lagerung zu einem Problem – „aber dafür haben wir auch eine bessere Handelsspanne“, sagt Knapp.

Trotz des wachsenden Angebots verlangt der Markt Jagdeifer und Geduld vom Kunden. Viele Stunden vergehen beim Durchstöbern der baulichen Hinterlassenschaften verschiedenster Epochen und Stilrichtungen, Dutzende von Internetseiten müssen durchgeblättert werden. Bauherren kann eine E-Mail an den Bundesverband, am besten mit dem Foto des gewünschten Materials oder Gegendstandes, die Suche erleichtern. Die Anfrage wird an alle Mitgliedsfirmen weitergeleitet. Hat ein Händler das gewünschte Stück auf Lager, erhält der Bauherr ein Angebot.

Doch auch das hilft nicht immer, spezielle Nachfragen zu bedienen. So sind die Kacheln der vielgerühmten Fassaden in den Hackeschen Höfen nicht historisch, sondern in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt nach alten Vorlagen neu hergestellt. Nicht alle Bauteile des Jugendstilensembles sind nachgebaut. „Wir haben ein Depot für alte Baumaterialien, aus dem wir uns bedienen, wenn etwa eine Kassettentür in einer Mietwohnung ausgetauscht werden muss“, sagt Christian Reimann. Der Verwalter der Höfe sucht aber weiterhin gezielt nach historischen Baustoffen. Um nicht mit neuen Baustoffen einen historisierenden Eindruck zu erwecken, wird außerdem repariert, was sich reparieren lässt. Nur wo Originalteile wie Türgriffe oder Treppengeländer endgültig verloren sind, werden sie durch moderne ersetzt.

Auf die Frage alt oder neu, antwortet Frank Hesse Fachgebietsleiter für Baudenkmalpflege beim Landesdenkmalamt Berlin: „Hier muss man klar zwischen Ausstattungsgegenständen und Baustoffen unterscheiden.“ Wenn bei einer alten Fachwerkscheune Lehmstaken verwandt wurden, lege die Behörde Wert darauf, dass mit Lehm, und nicht mit Ziegeln oder Kalksandsteinen saniert wird. „Sonst ginge ja ein Teil des Zeugniswertes verloren.“ Die Suche nach passenden Austattungsstücken aus dem historischen Baustoffhandel hält er für geboten, wenn eine relativ komplette Ausstattung vorhanden sei und eine Ergänzung durch moderne Teile nicht passe. Auch die Berliner Landesdenkmalpflege unterhält ein Befunddepot, in dem Belegstücke abgerissener und noch existierender, modernisierter Bauten aufbewahrt werden. „Wenn jedoch nichts mehr da ist, hat man eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Wir wollen schließlich keine historischen Lampen erfinden!“

Rita Gudermann

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