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Einer der vom Verkauf betroffenen vier Wohnblöcke in der Nähe des Strausberger Platzes liegt in einem Milieuschutzgebiet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg: Mieter der Karl-Marx-Allee fürchten "Horrorszenario"

Die Deutsche Wohnen den Mietern der 700 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee ihre Wohnungen zum Kauf an - gerne in bar. Der Mieterbeirat lud zum Krisengespräch.

Vor wenigen Tagen fanden etliche Mieter in der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain überraschend ein Kaufangebot für ihre Wohnungen im Briefkasten. Rund 700 Wohnungen werden von der Deutsche Wohnen übernommen. Die vier betroffenen Wohnblöcke befinden sich östlich des Strausberger Platzes. Verkäufer sind Immobilienfonds-Gesellschaften, die von der Predac Immobilien Management verwaltet werden. Der gewählte Mieterbeirat lud eilig zu einer Versammlung ein. Wer in dem Verwaltungsgebäude in der Koppenstraße am Dienstag nun allerdings wütende Proteste erwartet hatte, wurde enttäuscht. Bei der Info-Veranstaltung ging es betont sachlich zu.

Die Verunsicherung vieler Friedrichshainer war jedoch mit Händen zu greifen. Wie solle man mit dem von einem Notar angebotenen Vorkaufsrecht umgehen? In dem Schreiben war eine Frist von zwei Monaten für eine Entscheidung gesetzt. Im überfüllten Veranstaltungssaal lagen die Reaktionen weit auseinander. Vom Ignorieren der Notarspost bis zur Kaufbereitschaft war alles vorhanden.

Grüner Stadtrat prüft Vorkaufsrecht

Dass sich der erste Ärger über den unerwarteten Wohnungsverkauf noch nicht ganz gelegt hatte, machte der langjährige Mieterbeiratsvorsitzende Norbert Bogedein in seinen Eingangsworten deutlich: „Ich bin stinksauer darüber.“ Aus der Zeitung hatte er erfahren, was mit den vier Blöcken geschehen war. Nun werde er von Anfragen und Mails geradezu überrollt. Er konnte sich auch nicht erinnern, jemals so viele Gäste bei einer Beiratsveranstaltung begrüßt zu haben.

Seine Stellvertreterin, die Juristin Anja Köhler, beruhigte die zahlreich erschienenen Mieter. Zwar gab auch sie zu, überrumpelt worden zu sein, betonte dann aber, dass die neue Eigentümerin laut dem Schreiben der alten Hausverwaltung Predac Immobilien alle vorhandenen Regelungen zum Mieterschutz übernommen habe. Frau Köhler ließ durchblicken, dass die jetzt entstandene Situation auf einen längeren Vorlauf hindeute. „Diese Geheimniskrämerei lässt aufhorchen“, sagte sie.

Ob denn nun der Bezirk nicht die 700 Wohnungen per Vorkaufsrecht anstelle der Deutsche Wohnen erwerben könne, war eine Frage aus dem Publikum. Beiratschef Bogedein hatte sich darüber schon mit dem Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt ausgetauscht. Der gilt als Hoffnungsträger, habe er doch „flächendeckend“ fast ganz Kreuzberg in ein Milieuschutzgebiet verwandelt und damit dem Vorkaufsrecht zum Zuge verholfen. Im Falle der vier Blöcke an der Karl-Marx-Allee ist die Situation anders. Nur ein Karree gehört zu einem Milieuschutzgebiet. Dort werde das Vorkaufsrecht geprüft, habe ihm Schmidt versichert, berichtete Bogedein.

Bitte nur Bares

Für Aufregung sorgte ein Detail aus dem Notarschreiben, das für Kaufwillige in der Tat eine große Hürde darstellen könnte. „Bitte beachten Sie“, so heißt es in dem Schriftsatz, „dass in der Kaufvertragsurkunde keine Belastungsvollmacht erteilt worden ist.“ Für die meisten im Raum bedeutete dieser Satz zunächst soviel wie böhmische Dörfer. Anja Köhler versuchte Klarheit zu schaffen.

Bei Kaufbereitschaft müsste man den gesamten Preis in bar auf den Tisch legen. Ein Kredit im Vorfeld mit Eintragung einer Grundschuld sei nicht möglich. „Das ist der Hohn“, echauffierte sich die Juristin, „absolut unüblich und ein Ausschlussgrund für fast alle Interessenten.“ Köhler warnte, dieses Verhalten sei „rechtsmissbräuchlich und ein Durchmarsch der Deutsche Wohnen“. Andere Juristen vermuteten gar eine gezielte Strategie.

"Handeln Sie schnell"

„Ich würde gern meine Wohnung kaufen. Der Preis ist mit rund 3500 Euro pro Quadratmeter auch in Ordnung. Aber das Geld für die ganze Wohnung habe ich natürlich nicht flüssig“, so ein Mieter. Der Mann fragt sich auch, was passieren würde, wenn nur wenige Mieter ihre Wohnung kaufen und ein großer Teil bei der Deutsche Wohnen bleibt. Dann habe das Unternehmen immer eine Mehrheit. Ein „Horrorszenario“ sei das, war zu hören.

Einen wirklich guten Rat konnte der Mieterbeirat an diesem Abend nicht geben, aber immerhin eine Empfehlung an alle Betroffenen. „Handeln Sie schnell. Gehen Sie zu einer Mieterberatung oder einem Rechtsanwalt. Das ist in diesem Fall gut angelegtes Geld“, appellierte Anja Köhler an die Versammlung. Gundel Riebe vom Berliner Mieterverein verwies auch noch auf den mehr als zehnjährigen Schutz der Mieter vor einer Eigenbedarfskündigung, was immerhin für Erleichterung bei einigen sorgte. Angesichts der vielen Unsicherheiten könnte sich aber trotzdem der Gang zur Rechtsberatung als unvermeidlich erweisen.

Anwalt wittert Geschäft

Das hatte ein Diskussionsteilnehmer wohl geahnt. Der Mann gab sich als Anwalt in einer Kanzlei zu erkennen, machte Werbung in eigener Sache und bot juristische Betreuung an. Am Ende der Veranstaltung wurden Kontakte aufgenommen und Adressen ausgetauscht. Für die Anwaltsbranche, so der Eindruck, könnte sich die Aktion der Deutsche Wohnen als sprudelnde Einnahmequelle herausstellen.

Wer ebenfalls auf Zuspruch hofft, ist eine Initiative von Menschen, die stadtweit mit dem Geschäftsgebaren der Deutsche Wohnen nicht zufrieden sind. Man wolle sich mit anderen Betroffenen zusammenschließen, erklärte eine junge Frau. Gemeinsam könnten die Mieter mehr für ihre Interessen erreichen.

An Widerstand denkt auch der Mieterbeirat. So werde in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt über eine Treuhandgesellschaft zum Erwerb von Wohnungen nachgedacht. Norbert Bogedein kündigte außerdem an: „Wir werden eine Petition an den Regierenden Bürgermeister schicken und um Unterstützung bitten.“ Ein Zuhörer schlug schließlich noch vor, beim Landesparteitag der Berliner SPD an diesem Wochenende dafür zu werben, das Vorkaufsrecht in der Karl-Marx-Allee an andere zu übertragen.

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