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Starkes Urteil. Dass ein Amtsgericht in Berlin den Mietspiegel gekippt hat, schreckt viele Mieter auf, die ohnehin schon aus Angst vor Erhöhungen demonstriert hatten.

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Berliner Mietspiegel: Für das Urteil nicht qualifiziert

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat den Mietspiegel gekippt. Dem Tagesspiegel liegen Urteil und Gutachten vor.

Als ersten „Dominostein, der gefallen ist“, bezeichnet Kai Warnecke vom Eigentümerverband Haus und Grund das Urteil des Berliner Amtsgerichts, das am 11. Mai den Mietspiegel der Hauptstadt gekippt hat. Das Urteil könnte auch für andere Gemeinden Signalwirkung haben. Eine bundesweite Debatte über die Preisgrundlage von Millionen Mietverträgen wäre die Folge. Dem Tagesspiegel liegen exklusiv das Urteil und Gutachten zum Verfahren vor.

So wird in der Begründung des Amtsgerichts Charlottenburg betont, dass der Berliner Mietspiegel aus dem Jahr 2013 entgegen seiner Bezeichnung als nicht qualifiziert eingestuft wird. Ein qualifizierter Mietspiegel muss nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen und mittels einer repräsentativen Stichprobe aufgestellt, alle zwei Jahre der Marktentwicklung angepasst und spätestens nach vier Jahren neu erarbeitet werden. Dann gilt für ihn die gesetzliche Vermutung, dass er die ortsübliche Miete zutreffend wiedergibt. Er wird damit zur Grundlage für das Gericht, im Streitfall ohne weitere Einschaltung eines Sachverständigen die ortsübliche Miete zu ermitteln.

Im Charlottenburger Fall, der nun vor Gericht verhandelt wurde, war es der Vermieter, der zur Begründung seiner Mieterhöhung auf ein Sachverständigengutachten verwies und den Mietspiegel für nicht qualifiziert hielt. Sein Sachverständiger nämlich hatte festgestellt, dass bereits drei Jahre vor Aufstellung des Mietspiegels weitaus höhere Mieten für das betreffende Haus erzielt als im Mietspiegel ausgewiesen wurden.

Schwere Fehler bei der Erstellung des Mietspiegels

Wie kam es dazu? Das Gericht hat vorsichtshalber gleich zwei weitere Gutachter hinzugezogen. Einer sollte über die Höhe der strittigen Miete befinden. Der andere – Professor vom Institut für Wirtschaft- und Sozialstatistik – sollte feststellen, ob der Mietspiegelersteller, die F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH Hamburg, überhaupt nach wissenschaftlichen Grundsätzen bei der Erstellung des Mietspiegels gearbeitet hat.

Der Professor fand laut Gericht heraus, dass den Erstellern des Berliner Mietspiegels 2013 schwere Fehler unterlaufen sind. So haben sie eine sogenannte Extremwertbereinigung vorgenommen, allerdings nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Extremwertbereinigung bedeutet, dass reine Gefälligkeitsmieten am unteren und möglicherweise rechtswidrige Wuchermieten am oberen Ende der Preisskala vor einer weiteren Analyse sämtlicher Daten völlig herausgenommen werden können. Hier hatte der Mietspiegelersteller Werte willkürlich außerhalb eines bestimmten Prozentbereiches vollständig entfernt.

Dies hatte Einfluss auf die Mietspiegelspanne, da die Extremwerte, die zu Unrecht eliminiert wurden, nun nicht mehr in die Berechnung und Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete einfließen konnten. Dadurch sind etwa 40 Fälle, die an sich die obere Mietpreisspanne hätten bilden müssen, vollständig herausgenommen worden – ohne dass nachweislich eine sogenannte Wuchermiete vorgelegen hat. Bei den 40 Fällen handelte es sich um Altbauten, die in den vergangenen zehn bis 20 Jahren umfangreich saniert worden waren und in einer begehrten Innenstadtlage sind. Deshalb könne hier nicht von Wuchermieten ausgegangen werden.

Aus dem qualifizierten wurde ein einfacher Mietspiegel

Der Sachverständige hat noch weitere Fehler entdeckt: Der Mietspiegel unterscheidet zwischen verschiedenen Wohnlagen, hat also die Kategorien „mittel“, „gut“ und „einfach“. Nach den Urteilsgründen „führt der Sachverständige aus, dass es nach der wissenschaftlichen, mathematischen, statistischen Clusteranalyse das Ziel sei, in den einzelnen Gruppen eine möglichst hohe Homogenität herzustellen“.

Dies sei aber hier nicht gegeben. Der Sachverständige sagt hierzu: „Die Einordnung der Wohnung in die Lage ,mittel‘ entspricht nicht wissenschaftlichen Grundsätzen, sie verletzt das Homogenitätsprinzip: Hier werden Wohnungen völlig unterschiedlicher Lagen in einen Topf geworfen.“ Auch hier hat der Mietspiegelersteller nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen gearbeitet.

Der sogenannte Methodenbericht selbst differenzierte beispielsweise nach Lagen im Außen- und Innenbereich, hat dann beide Lagen jedoch ohne weitere Erörterung wieder zu einer gemeinsamen Gruppe vereint.

Die Konsequenz dieser Fehler ist, dass aus dem qualifizierten Mietspiegel nun ein sogenannter einfacher Mietspiegel geworden ist. Ein einfacher Mietspiegel braucht nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen aufgestellt zu werden, er dient lediglich dazu, Vermieter und Mieter eine Grundlage für die Überlegung zu bieten, ob eine Mieterhöhung in Ordnung ist oder nicht.

Der einfache Mietspiegel ist beim Gericht zwar nicht ohne Weiteres als Beweismittel anerkannt, er kann aber als solches herangezogen werden. „Ich gehe davon aus, dass beide Seiten – Mieter und Vermieter – sich weiterhin auf den Mietspiegel stützen werden“, sagt Mieterbund-Sprecher Ulrich Roperts. In den meisten Fällen wird ein Gericht sicherheitshalber ein Sachverständigengutachten einholen.

Welche Auswirkungen hat das Urteil nun auf die Mietpreisbremse?

Für den Mietspiegel 2015, der am kommenden Montag vorgestellt wird, soll das Urteil keine Auswirkungen haben, sagt der Sprecher von Stadtentwicklungssenator Norbert Geisel (SPD). Da der Mietspiegel 2013 neu aufgestellt wurde, muss der Mietspiegel 2015 nur der Marktentwicklung angepasst werden. Er wird also nur fortgeführt. Wenn aber der Mietspiegel 2013 nicht anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht, kann sich dies auch durch die Fortführung nicht ändern.

Welche Auswirkungen hat das Urteil nun auf die Mietpreisbremse? Berlin will die Deckelung der Mieten zum 1. Juni dieses Jahres einführen. Dazu muss es verlässliche Daten zur ortsüblichen Vergleichsmiete geben. Deshalb spielt ein Mietspiegel eine wichtige Rolle. Die Mietpreisbremse regelt eine Begrenzung der Neuvermietungsmieten auf zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Zur Ermittlung dieser ortsüblichen Vergleichsmieten kann ein – qualifizierter – Mietspiegel herangezogen werden.

„Den gibt es allerdings nur in rund 450 von 20 000 Gemeinden“, sagt Fachanwältin Catharina Kunze. „Daher wird es ohnehin schwer, überall eine ortsübliche Vergleichsmiete zu bestimmen.“ Auch Jürgen Michael Schick, Vizepräsident des Immobilienverbandes IVD, prognostiziert: „Wir rechnen mit einer Prozessflut, wenn die Bundesländer die Mietpreisbremse einführen. Schon der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung eingeräumt, dass es zu vermehrten Rechtsstreitigkeiten kommen könnte“, sagt Schick.

Woran dürfen sich Mieter und Vermieter orientieren?

Wenn das Urteil des Amtsgerichtes Charlottenburg in der Berufungsinstanz bestätigt wird, wofür einiges spricht, wird es für die Gerichte wohl wirklich mehr zu tun geben. Entweder müssen Vermieter ihre Mieterhöhungen vermehrt gerichtlich erstreiten oder Mieter fordern vermeintlich zu viel gezahlte Miete zurück.

Der Deutsche Mieterbund hingegen erwartet, dass Mieter und Vermieter sich weiter auf die Mietspiegel stützen, um kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden. Der Berliner Senat hob hervor, das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, der Mietspiegel bleibe in Kraft. Senatssprecher Bernhard Schodrowski sprach von einer Einzelfallentscheidung.

Nur die qualifizierten Mietspiegel in Deutschland legen ortsübliche Vergleichsmieten fest, an denen sich Mieter und Vermieter orientieren. Wo der Wohnungsmarkt angespannt ist, gilt das künftig auch bei Neuverträgen, sofern die Landesregierungen von der Ermächtigung im Gesetz zur Mietpreisbremse Gebrauch gemacht haben.

Nach dem Urteil: Extreme Reaktionen

Zeigt der Mietspiegel nur ein Zerrbild? Lage, Ausstattung, Größe, werterhöhende Merkmale: Mietspiegel sind sorgsam austarierte Werke – so war die Meinung bislang. Sie sollen Frieden zwischen Mietern und Vermietern stiften. Nun lenkt das jüngste Urteil einer Richterin im Amtsgericht Charlottenburg den Blick auf Schwachpunkte. Es hat eine Debatte ausgelöst; die Reaktionen sind extrem.

„Der Mietspiegel schafft Rechtssicherheit und Rechtsfrieden“, heißt es beim Deutschen Mieterbund. Die Idee: Kommen Mieter- und Vermieterverbände über die ortsübliche Vergleichsmiete überein, gibt es weniger Streit um die Miethöhe im Einzelfall. In Großstädten fließen tausende Daten ein. Wer eine Mietererhöhung erhält, kann im Mietspiegel nachsehen, ob sie berechtigt ist. „Es ist für Mieter das transparenteste Verfahren, für Vermieter das einfachste“, sagt Mieterbund-Sprecher Ulrich Ropertz.

Beim Eigentümerverband Haus und Grund heißt es nun: „Wir haben immer mitgemacht, weil wir Frieden wollten.“Stehen nun bundesweit der Mietspiegel auf der Kippe?

Bei dieser Frage verfallen die Beteiligten in Extreme. Beim Mieterbund heißt es: „Die Mietspiegel bleiben“. Haus und Grund sagt hingegen: “Sie kippen wie Dominos.“ In der Branche selbst ist man aber zurückhaltend. „Wir sehen bei diesem Fall keinen Grundsatzcharakter“, sagt etwa Carsten Herlitz, der Justiziar des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Noch sei es nur das Urteil eines Amtsgerichts, das auch schon anders entschieden habe, und das sich auf einen einzelnen Gutachter beruft, heißt es auch von einzelnen Vermietern. „Der Berliner Mietspiegel ist erst dann in seiner Anwendung eingeschränkt, wenn sich das Landgericht anschließt“, sagt Reiner Wild, der Chef des örtlichen Mietervereins. Für andere Städte gilt derweil: Um dort einen Mietspiegel zu kippen, müsste erstmal jemand klagen.

Wie einigen sich Vermieter und Mieter ohne Mietspiegel? Das ist in Bremen zu besichtigen, der größten deutschen Stadt ohne amtlichen Mietspiegel. Will ein Eigentümer die Miete erhöhen, muss er drei vergleichbare Wohnungen mit ähnlicher Miethöhe nennen. Oder er lässt ein Gutachten anfertigen, was 1500 bis 1800 Euro kostet. Meist dauert es Jahre, bis das Geld wieder reinkommt.

(dpa)

Katrin Dittert

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