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Pflanzen prägen das Stadtbild. Hier die Bäume des Tiergartens.

© Kay Nietfeld/dpa

Berliner Umweltforscher über den Klimawandel: „Die inneren Uhren der Pflanzen ticken nicht mehr richtig“

Der Klimawandel verändert auch die Vegetation in Berlin. Der Umweltforscher Manfred Forstreuter erklärt im Interview, wie die Bürger darauf reagieren können.

Umweltforscher Manfred Forstreuter ist Privatdozent am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin. Er leitet ein experimentelles Projekt mit Rotbuchen, die umgesetzt werden. Die Biologen wollen untersuchen, ob Rotbuchen aus Regionen wie Sizilien oder Schweden besser an den Klimawandel angepasst sind als einheimische Bäume. Die Buchen sollen in den nächsten Jahrzehnte im Grunewald auf eine Höhe von bis zu 20 Metern anwachsen. Die Berliner Forsten und das Waldmuseum der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald unterstützen das Projekt.

Herr Forstreuter, welche Lehren lassen sich ziehen aus dem Absterben des öffentlichen Grüns? Was lässt sich aus dem Botanischen Garten lernen, aus dem Sie in diesen Wochen 800 Bäume – vor allem Rotbuchen – in den Grunewald umsetzen, um sie in einen „Klimawald“ zu integrieren?
Die Dringlichkeit aus dem Klimawandel ist groß. Denn der Klimawandel kommt sehr schnell, innerhalb einer Baumgeneration. Wenn Sie einen Baum in den Garten pflanzen, wird dieser den Klimawandel tatsächlich erleben. Unser Problem ist das Lernen! Wir müssen in Zukunft, mit den veränderten Bedingungen lernen umzugehen. Das tun wir nicht. Bisher glaubten wir zu wissen: Mit dem Winter kommen Schnee und Frost. Und danach wird es ein bisschen wärmer, und dann kommt irgendwann der Frühling. Dieses ist alles durcheinander geraten.

Wir haben nun manchmal im Januar Frühling. Dann haben wir danach wieder extremste Frostbedingungen – dann haben wir wieder Frühling – die Gehölze und Pflanzen treiben aus. Dann gibt es Spätfrost. Viele Pflanzen erfrieren teils oder haben Spätfrostschäden an den Blättern. Und drei Tage später haben wir plus 30 Grad Celsius im Mai. Es sind Extreme. Dieses Hin und Her sind wir nicht gewohnt.

Der Umweltforscher Manfred Forstreuter.
Der Umweltforscher Manfred Forstreuter.

© promo

Wir könnten jetzt schon einmal den Rasen mähen, nicht wahr?
Der Rasen hat sich nun regeneriert – er ist ja vertrocknet im Sommer. Die ersten zwanzig Zentimeter Boden waren ausgetrocknet. Dann wächst auch kein Rasen, wenn ich nicht die Möglichkeit habe zu bewässern.

Mein Rasen wächst. Soll ich den mähen im Januar oder ist das Quatsch?
Kommt drauf an. Es ist ja toll, dass er wieder dicht wird. Normalerweise hätten wir jetzt Frost. Unter fünf Grad wächst ja nichts. Aber dann. Dann fängt das an. Manche Pflanzen – Schneeglöckchen und andere Angepasste – sind da Spezialisten. Wurzelwachstum beim Rasen geschieht nur bei über fünf Grad. Dann können Sie ihn natürlich mähen. Und pflegen: Dünger hat auch Vorteile.

Machen das alle Pflanzen denn mit, dieses „Rein in die Erde, raus aus der Erde“?
Es machen natürlich nicht alle Pflanzen gleich. Wir Wissenschaftler sagen: Sie haben eine Dormanz, eine Winterruhe. Pflanzen haben ein unterschiedliches Temperaturbedürfnis. Beim Austreiben der Knospen beginnt das Wachstum. Und das geht nur mit Reserven, die in der Pflanze gespeichert sind.

Wenn die Blätter ausgebildet werden, muss Wasser durch den Stängel bzw. durch das Holz geleitet werden, da müssen die Zellen biologisch gesehen schon da sein – das geht nur mit Wachstum. Wenn es so warm ist, werden diese Reserven im Vorjahr nicht angelegt oder aber aufgebraucht. Im Grunde genommen rennen die Pflanzen ihren Marathon nun nicht in eins, sondern rennen schnell los, dann müssen sie wieder einen Stopp machen, und dann wird es wieder wärmer – der Marathon geht weiter.

Pflanzen haben ja innere Uhren – von Temperatur und Licht gesteuert. Und von anderen Umweltfaktoren. Und diese Uhren ticken nicht mehr so ganz kontinuierlich.

Aber wenn die Pflanzen nicht mehr richtig ticken – was bedeutet das für mich als Gartenbesitzer im Sommer?
Die Lösung sieht seit Jahrmillionen ganz einfach aus: Die Evolution macht das. Wir hatten eine Eiszeit. Wir hatten in Berlin hundert Meter Eis, und da war nichts. Jetzt sind andere Pflanzen vorhanden. In der Natur wird das durch eine andere Vegetation, durch eine andere Flora gelöst.

Schneeglöckchen blühen im Tiergarten.
Schneeglöckchen blühen im Tiergarten.

© Kay Nietfeld/dpa

Das hört sich fast so an, als wenn Sie etwas gegen Greta Thunberg haben.
Wie kommen Sie zu diesem Schluss? Nein, absolut nicht. Dieser Druck von Greta ist notwendig. Ich habe 1984 meine Diplomarbeit über Klimawandel geschrieben. In Deutschland war nirgendwo jemand, der sich mit diesem Thema damals beschäftigt hat. Ich musste in die USA gehen. Komischerweise. Die hatten vieles schon erforscht. Sie waren damals den Europäern schon zehn Jahre voraus. 1986 habe ich meine ersten Messungen gemacht: Wir verhalten sich Pflanzen unter erhöhter atmosphärischer CO2-Konzentration? Da habe ich in Berlin mit Professoren diskutiert – die haben das abgestritten!

Das ist ja ein Ding! Das könnte ja heißen, dass das, was Herr Trump da in Davos von sich gegeben hat, auf einer breiten wissenschaftlichen Forschungsbasis steht.
Die Wissenschaftler in den USA haben den anthropogen beeinflussten Klimawandel schon damals sehr gut wissenschaftlich untermauert und dokumentiert. Er könnte sich genau informieren und die richtigen Maßnahmen ergreifen. Die haben Experimente laufen, die wir in Europa gar nicht finanzieren können.

Trump sagt, man soll den Untergangspropheten nicht hinterherlaufen?
Das Problem ist die Geschwindigkeit: In einer Generation passiert das, was sonst in 10000 Jahren geschehen ist. Verstehen Sie das? Deshalb müssen wir Lehren ziehen. Es könnte sein, dass wir mit Hitzewellen zu tun haben, bzw. damit zurechtkommen müssen – im urbanen Bereich. Wir werden eine andere Umwelt bekommen. Wenn wir das Grün in dieser Stadt nicht erhalten können, was ganz wichtig ist, was auch einen großen monetären Wert hat. Jeder Garten ist wichtig, jede Grünfläche ist wichtig – das macht das Klima in Berlin aus, im wahrsten Sinne des Wortes: die Lebensqualität.

Deshalb sagt Greta: Wenn ich groß bin, dann betrifft es mich extrem und ihr Älteren seid gar nicht mehr da. Donald, Du bist nicht mehr da, aber du warst dafür verantwortlich, obwohl Deine Wissenschaftler genau wussten, was los ist. Machen wir uns nichts vor: Wirtschaftsfaktoren laufen über monetäre Sachen, und jeder weiß, es muss nachhaltig sein. Das wusste die Forstwirtschaft schon vor 300 Jahren. Damals hatten wir nur sieben Prozent Wald, heute haben wir 30 Prozent Wald.

Stellen Sie sich das vor – damals haben die Leute den Schalter umgelegt: Wir müssen so viel nachpflanzen, wie wir ernten. Wir müssen so viel CO2 auffangen, wie wir in die Luft pusten. Diese Bilanz ist ganz einfach. Angenommen, wir blasen zehn Tonnen CO2 jährlich in die Luft – dann kann man sich ausrechnen, wie viel Kohlenstoff von den Pflanzen gebunden werden muss, damit wir CO2- neutral werden. Denn etwa die Hälfte von der Trockensubstanz ist reiner Kohlenstoff.

Nehmen wir an, ein frisch vermähltes Paar pflanzt nun einen Apfelbaum. Was passiert mit diesem Baum in der von Ihnen angesprochenen einen Generation?
Das wird spannend!

Nehmen Sie uns bitte mit!
Sie kennen ja sicher die Schlagworte Biodiversität und Insektensterben. Obstbäume müssen durch Insekten bestäubt werden, Waldbäume werden durch Wind bestäubt. Die brauchen keine Bienen, oder Hummeln an den Blüten. Die Obstbäume blühen aber dann, wenn die Insekten noch gar nicht fliegen.

Treiben Obstbäume zu früh aus, fehlen die Insekten, um sie zu bestäuben.
Treiben Obstbäume zu früh aus, fehlen die Insekten, um sie zu bestäuben.

© imago images/Andreas Vitting

Könnten nicht die Chinesen unsere Bäume künstlich bestäuben?
Nein. Das schaffen die gar nicht. In Gewächshäusern wird künstlich bestäubt, ja. Wenn Sie Tomaten züchten. Wenn Sie in Obstbaugebiete fahren – das wird spannend, was da passieren wird ohne Insekten.

Welche Bäume fangen denn viel CO2 auf? Die Rotbuchen aus Sizilien? Ist jeder Baum gleich? Worauf soll man setzen?
Das ist ja unser großes Problem. Eigentlich gehen wir ja davon aus, was wir in Mitteleuropa haben: Das sind unsere Rotbuchenwälder. Das gesamte Klimageschehen hängt davon ab, die Rotbuche ist unser Brotbaum. Dann haben wir die Eiche ja, gewiss, aber in Mitteleuropa bildet das Rotbuchenwald-Ökosystem die sogenannte potentiell natürliche Vegetation. Die erste Blühwelle ist der Blütenteppich, den wir unter den Rotbuchen haben, durch Frühjahrsgeophyten.

Trotzdem brauchen wir Niederschläge. Was ist damit?
Normalerweise müssten wir 20 Zentimeter Schnee haben und der Boden müsste klitschnass sein.

Aber wenn Sie nun Bäume pflanzen und haben kein Wasser! Das ist dann doch kein gutes Konzept. Müssen wir zum Beispiel Wälder bewässern?
Wälder kann man nicht bewässern, das geht nicht. Machen wir uns nichts vor: Diese Ressourcen werden wir nicht haben. Natürlich ist das die Gefahr, dass es zu extrem wird: ständige Sommertrockenheit zum Beispiel. Dann werden unsere einheimischen Baumarten an manchen Plätzen richtige Probleme bekommen. Da weiß der Förster dann auch nicht mehr, was er tun soll. Er kennt ja nur die Vergangenheit, er weiß nicht, was in der Zukunft funktioniert.

Wissen Ihre Kollegen in Australien, was Sie tun sollen?
Nein. Sie wissen, dass sie eine Versteppung bekommen werden. Es wird wieder Vegetation kommen. Im Kleinklima entsteht etwas. Ein Gärtner muss sein Umfeld neu strukturieren, nach diesem Gesichtspunkt: Im Schatten wächst etwas unter einem Blätterschirm – wenn die Stauden etwas geschützter stehen mit solchen, die in der Sonne stehen können. Diese Kombination müssen wir erlernen. Bisher holten wir uns ein Kilogramm Rasen, streuten den aus und dann wuchs der schon. Wir müssen umdenken.

Sollten die Frischvermählten gleich eine Klimaanlage in die Gartenhütte bauen?
Der Baum ist die Klimaanlage!

Dann brauchen die Beiden aber eine Regenbewässerungsanlage?
Nein, sie brauchen Zisternen im Garten. Es ist ja nicht so, dass es nicht regnet im Garten. Aber es regnet zum falschen Zeitpunkt, und der Wassersspeicher ist nicht aufgefüllt. Das Wasser vom Dach müssen wir zurückhalten. Das fließt jetzt ungenutzt in die Kanalisation. Bei Starkregenereignissen ist in Berlin „Land unter“.

Ihr Rat ist also: Berliner, baut Zisternen.
Ja, es gibt ja auch schon riesige Zisternen in Berlin. Wir können das!

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