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Immobilien: Billig ist nicht gleich preiswert

Wer denkt beim Neubau schon an den Abriß in ferner Zukunft? Die Architekten der Heinrich-Böll-Siedlung in Pankow.

Wer denkt beim Neubau schon an den Abriß in ferner Zukunft? Die Architekten der Heinrich-Böll-Siedlung in Pankow.Und sie haben dafür gleich auch einen Kostenvoranschlag erstellen lassen.Als Vergleichsobjekte dienen ein Ökohaus und ein konventionelles Referenzhaus, beide benachbart und mit identischen Grundrissen.Diese Versuchsanordnung soll vor allem eine Frage klären helfen: Ist ökologisches Bauen wirklich teurer als konventionelles?

Aufsehen erregte die Heinrich-Böll-Siedlung bereits 1993.Die GSW als Bauherrin wollte auf dem Gelände, auf dem unter anderem früher einmal die Gärtnerei "Blühende Zukunft" residiert hatte, einen umweltgerechten sozialen Wohnungsbau im Ersten Förderweg errichten."Bauen für die Frösche" spottete man damals in der Bauverwaltung.Später ließ sich die Bauverwaltung doch von der Idee begeistern - und so realisierten die Bauherren in Pankow ökologische Baustandards im Kostenrahmen des sozialen Wohnungsbaus.

"Wir wollen wissen, welche herkömmlichen Standards wir zu vertretbaren Kosten durch natürliche Baustoffe und Verfahren ersetzen können", sagt Waldemar Achtnich, Leiter der Abteilung Bauplanung in der GSW.Nun weist die Siedlung drei verschiedene Haustypen auf: Im ersten Bauabschnitt errichtete die GSW 114 Wohnungen im konventionellen sozialen Wohnungsbau, komplett in Ziegelbauweise.Im zweiten Abschnitt entstehen 192 Wohnungen des ersten Förderwegs und 24 Eigentumswohnungen mit ökologisch höherem Standard und naturnahen Materialwahl.Und als Maß aller Dinge entstand ein umwelttechnisch optimiertes Ökohaus: Lehmputz als baubiologisch und ökologisch beste Wahl, Massivholzdecken und erstmals eine Wandflächenheizung als technisches Novum.

Das Ökohaus entspricht in Größe, Grundriß und Lage einer der konventionellen Bauten - eine ideale Grundlage für vergleichende Studien.Sie wird mit Unterstützung der Bauverwaltung von den Architekten der Heinrich-Böll-Siedlung, Winfried Brenne, Joachim Eble und Franz Jaschke, durchgeführt."Eine wirklich konsequente ökologische Bauweise ist langfristig billiger", war sich Architekt Franz Jaschke von Anfang an sicher.Der bisherige Stand der Untersuchungen belegt dies.Zumindest am Ende der Rechnung.Doch zunächst kostete der Bau des Ökohauses acht Prozent mehr als die Errichtung der Referenzhäuser mit geringerem Ökostandard.Andererseits stellten bessere Dämmung sowie Speicherfähigkeit der Außenwände und eine konsequent nach Süden orientierte "Zonierung" des Gebäudes einen um rund 30 Prozent geringeren Energieverbrauch sicher.Konstruktiv verzichteten die Architekten auf Kunststoff- und Alufenster und andere Fertigprodukte; denn diese sind im Schadensfall nicht reparierbar, müssen also ausgetauscht werden und kosten so zusätzlich.So kostet der Unterhalt des Ökohauses auf 80 Jahre gerechnet nur 1300 DM, so die Schätzung der Architekten, das konventionelle Objekt kommt mit 1700 DM pro Quadratmeter deutlich teurer.Weiteres Plus des Ökohauses: Die Entsorgung der Baumaterialien nach dessen Abriß ist deutlich billiger: um fast 40 Prozent.

Alles in allem schneidet das Ökohaus - Baukosten, bauliche Unterhaltung und Entsorgung zusammengefaßt - deutlich besser ab als das konventionelle Vergleichshaus.Voraussetzung ist, daß die gesamte Lebenszeit berücksichtigt wird.Nach 80 Jahren hat der Quadratmeter Ökobau 5526 DM gekostet, der Quadratmeter im Referenzobjekt 6250 DM."Wir haben die Baustoffe bilanziert und optimiert", sagt Architekt Winfried Brenne.Beim Ökohaus verzichtete er konsequent auf solche Materialien und Verbundstoffe, die beim Abriß nur noch als Sondermüll zu entsorgen sind."Gipsputz auf Kalksandsteinwänden wird später zu Sondermüll, dagegen kann Lehm mit Wasser neu angerührt und wieder verwendet werden", wirbt Jaschke für die "regenerativen Baustoffe".Deshalb statteten die Architekten ihr Ökohaus auch nicht mit einer Thermohülle aus Kunststoff aus, wie sie sonst häufig zum Erreichen des Niedrigenergiestandards verwendet wird.

Ein Vergleich von Kosten war nicht das einzige Ziel dieses Projektes: "Bauen soll nicht nur ökologisch sein, sondern auch gesund", meint Joachim Eble, Dritter im Bund der Arbeitsgemeinschaft.Eble bemüht sich seit Jahren um die Harmonisierung von Architektur und Baubiologie.Wie notwendig dies sei, zeige der enorme Anstieg von baubedingten Allergien seit dem Fall der Mauer in den Neuen Bundesländern.Eble setzt gegen dieses "Sick-Building-Syndrome" den konsequenten Einsatz baubiologisch unbedenklicher "Zutaten".Neben Lehm und Massivholz trägt im Ökohaus vor allem die Wandflächenheizung dazu bei.

Diese macht Heizkörper überflüssig, denn die Kupferrohre sind in den Lehmputz eingebettet und heizen die Wand wie einen riesigen Kachelofen an.Dadurch gibt die Heizung vor allem Strahlungswärme ab.Konventionelle Heizkörpersysteme erzeugen dagegen Konvektionswärme: Sie erhitzen die Luft, die daraufhin in Bewegung gerät und eine Menge Staub aufwirbelt.Das ist schlecht für Allergiker, kleine Kinder und Menschen mit empfindlichen Atemwegen.Außerdem dringt Strahlungswärme tiefer in den Körper ein, und dadurch stellt sich Wohlbehagen schon bei Temperaturen unter 20 Grad ein.

Eine Überheizung ist nicht zu befürchten: "Die Heizung läßt sich raumweise per Thermostatfühler regulieren.Wärmequelle ist ein zentral beheiztes Nahwärmenetz", so Peter Zeschke, dessen "Energiekontor" die Heizung geplant hat.Allerdings darf der Mieter keine Nägel mehr in die unteren Teile der Hauswände schlagen, um nicht die Heizschlangen zu durchlöchern."Wir erhoffen von dieser neuartigen Heizung vor allem die Erwärmung kritischer Hauspartien, die bei konventioneller Beheizung regelmäßig zu Schimmelbildung neigen", so Achtnich über das Interesse der Wohnungsbaugesellschaft an der neuen Technik.

Komplexe technische Vorrichtungen wie Lüftungssysteme halten Brenne und seine Kollegen unisono mit der GSW für den falschen Weg.Brenne: "Wir wollen geringen Energieverbrauch und andere Standards nicht mit High Tech erreichen.Uns geht es um begreifbare Alltagsökologie." Dazu hat er neben den Kostenvergleichen und der Analyse ökologischer Bausteine auch die Bauabläufe selbst genau untersucht mit dem Ziel, handfeste Zahlen für eine Ökobilanz zu liefern."Wir werden nachweisen, daß ein ökologisch bewertender Produktkatalog genauso wichtig für umweltschonendes Bauen ist wie die Berechnung von Energieverbräuchen.Standardbauweisen produzieren gewaltige Mengen an Sondermüll", sagt er.

CHRISTOF HARDEBUSCH

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