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Gegen große Bau- und Infrastrukturprojekte regt sich in Deutschland immer häufiger Widerstand. Nicht zuletzt durch soziale Netzwerke ist eine neue Beteiligungskultur entstanden.

© imago

Bürgerbeteiligung: Wenn Wutbürger auf Mitgestalter treffen

Bürgerbeteiligung und Bauvorhaben stehen sich oft im Wege – eine Diskussion in Berlin.

Den Berliner Politikern und Immobilienunternehmern sitzt der Schreck über die Ablehnung der Pläne für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes noch immer in den Knochen. Trotz eines umfangreichen Internetdialogs und trotz zahlreicher Informationsveranstaltungen verweigerten die Berliner bekanntlich dem Bau von Wohnungen am Rand des ehemaligen Flughafens die Zustimmung. Und auch anderswo haben Projektentwickler mit massivem Widerstand von Bürgern zu kämpfen – beispielsweise bei den Plänen für Wohnungsbau am Rand des Mauerparks, auf der Kleingartenkolonie Oeynhausen und in Lichterfelde-Süd.

Diese Beispiele, aber auch der Protest gegen Stuttgart 21 und die Ablehnung der Münchner Olympiabewerbung, haben nach Ansicht des ehemaligen Berliner Stadtentwicklungssenators und SPD-Landesvorsitzenden Peter Strieder deutlich gemacht, „dass eine neue, anders geartete Beteiligungskultur entstanden ist“. Strieder, der sein Geld seit Jahren bei der PR-Agentur Ketchum Pleon verdient, sprach am Dienstag auf einer von der Rechtsanwaltskanzlei Olswang veranstalteten Konferenz, die unter dem Titel „Zwischen Wutbürger und engagiertem Mitgestalter“ stand.

Dass sich gegen zahlreiche große Bau- und Infrastrukturprojekte Widerstand regt, hat laut Strieder mehrere Gründe. Eine wichtige Rolle spielen nach seinen Worten das Internet und die sozialen Netzwerke, die es erlauben, schnell, einfach und kostengünstig Informationen zu verbreiten. Außerdem hätten viele Menschen kein Vertrauen in die Politik mehr. Hinzu komme, dass in den Protestbewegungen die Achtundsechziger-Generation stark vertreten sei, die über Zeit und politische Erfahrung verfüge. Und schließlich, so Strieder, hätten sich die Akteure der Kampagnen professionaliert.

„Die Politik hat der Mut zu Entscheidungen verlassen“

Grundsätzlich stünden „in der individualisierten Gesellschaft mehr die Partikularinteressen im Vordergrund als das Gemeinwohl“, konstatierte der Kommunikationsprofi. Wer sein Projekt erfolgreich umsetzen wolle, müsse deshalb anders kommunizieren und eine „kommunikative Krisenprävention“ betreiben. Denn ob es den Projektentwicklern gefalle oder nicht – „die neuen Formen der Teilhabe werden Bestand haben“.

Seinen mehrheitlich aus der Immobilienwirtschaft stammenden Zuhörern gab Strieder dafür mehrere Tipps mit auf den Weg. Erfolgreich sei, wer gezielt den Kompromiss suche; Einwände von Bürgern müssten also ernst genommen werden. Gleichzeitig verdiene das Projekt eine „klare Haltung“. Das bedeute auch, dass Projektentwickler auf ihrem Recht beharren und bereit sein sollten, ihre Ansprüche notfalls gerichtlich durchzusetzen – die andere Seite tue dies schließlich auch.

Indem der ehemalige SPD-Politiker von „Einmischung“ der Bürger sprach, ließ er durchblicken, dass Bürgerbeteiligung wohl nicht sein Herzensanliegen ist. Offen appellierte Strieder an die Politik, ihre Führungsrolle wahrzunehmen. „Die Politik hat der Mut zu Entscheidungen verlassen“, kritisierte er. An einem bestimmten Punkt müsse „nicht moderiert, sondern entschieden“ werden.

Ähnlich äußerte sich auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Konferenz Stefan Evers, Sprecher für Stadtentwicklung der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: Die Entscheidung müsse letztlich die Politik treffen. Wichtig sei es auch, klare Regeln für die Bürgerbeteiligung zu definieren. „Wenn man die Bürger über Fragen abstimmen lässt, die eigentlich woanders entschieden werden, weckt man enttäuschte Erwartungen“, sagte Evers mit Blick auf den rechtlich äußerst komplizierten Fall der Kleingartenkolonie Oeynhausen, deren Bebauung in einem Bürgerentscheid im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf eine Absage erteilt wurde.

Neue Modelle der Bürgerbeteiligung

„Es muss klar sein, welche Regeln gelten und wer am Ende entscheidet“, betonte auch Marc Weinstock, Geschäftsführer der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK). Dieses Unternehmen hat laut Weinstock bundesweit 60 Beteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene durchgeführt und dabei sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Im Voraus, so Marc Weinstock, könne man nie wissen, gegen welche Projekte sich Protest rege und gegen welche nicht. Und nicht immer sei das Interesse groß: „In vielen Verfahren müssen Sie die Bürger massiv aktivieren, sich zu beteiligen.“

Mit ausgesprochen großem Engagement von Bürgern konfrontiert ist hingegen Henrik Thomsen, Geschäftsführer der Groth-Gruppe, die in Berlin mehrere umstrittene Wohnungsbauvorhaben – beispielsweise am Mauerpark – plant. So wurde für den gestrigen Freitag unter der Überschrift „Bürgerwillen umsetzen“ eine Demonstration vor dem Firmensitz der Groth-Gruppe angemeldet. Im Vorfeld hatten Aktivisten kritisiert, dem Investor würden von der Verwaltung „vor jeder Bürgerbeteiligung weitreichende Zusagen gemacht“, so dass Bürgerbeteiligung zur Farce werde.

„Wir bauen frühzeitig einen Dialog mit den Bürgern auf, um ihre Bedenken zu erfahren“, sagte hingegen Henrik Thomsen in der Podiumsdiskussion. Klar müsse allerdings sein, dass Bürgerbeteiligung nicht das Gleiche wie ein Bürgerentscheid sei, sondern eine „Unterstützung für die Abwägung“ – und abwägen müsse letztlich die Politik.

Bei der Bürgerbeteiligung werden derweil neue Modelle ausprobiert: In Kreuzberg hat ein Projektentwickler alle Interessierten eingeladen, an einem Werkstattverfahren zur Planung eines Gewerbegebiets am nördlichen Rand des Gleisdreieckparks mitzuwirken. Ob dieser Ansatz vorbildhaft wird? Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Strieder zeigte sich auf der Olswang-Veranstaltung skeptisch: „Ich würde mich nicht wundern, wenn am Schluss trotz der intensiven Bürgerbeteiligung der halbe Bezirk moniert, man habe ja gar nichts mitbekommen, und einen Volksentscheid verlangt.“

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