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Grenzübergangstelle Friedrichstraße. So sah es hier 1990 aus.

© imago/imagebroker

Checkpoint Charlie: Mahnmal, Mythos oder Disneyland mit Mauer?

Bei der Bebauung der Brachen am Checkpoint Charlie sind viele Interessen abzuwägen. Zwei Planer beschreiben Szenarien für einen Unort.

Der Checkpoint Charlie ist ein Ort des Touristennepps und Gedenkens gleichermaßen. Wie könnte diese Stätte besser gestaltet werden? Wir haben Matthias Sauerbruch als Beteiligten des laufenden städtebaulichen Verfahrens und Eike Becker – Architekt auch er – um Essays zur Zukunft des ehemaligen Grenzübergangs gebeten.

Bei dem unlängst abgeschlossenen Gutachterverfahren zum „Checkpoint Charlie“ ging es um die Bebauung zweier Grundstücke an der Friedrichstraße, die von 1961–1989 Teil der „Grenzübergangstelle Friedrichstraße“ waren. Für die Öffentlichkeit ging es dabei um drei Themen: ein kulturelles, ein wirtschaftliches und ein politisches.

Die kulturelle Frage ist letztlich die wichtigste, denn was immer dort gebaut oder nicht gebaut werden wird, wird als ein Symbol für den angemessenen gesellschaftlichen Umgang mit dem tragischen Erbe des Kalten Krieges gelesen werden. Sollte der Ort ein Mahnmal sein, das an das historische Unrecht der DDR und seine Opfer erinnert, ein touristischer Ort, der es dem Besucher ermöglicht, an dem „Mythos“ Checkpoint Charlie Anteil zu haben, oder ein normales Stück Berlin-Mitte sein, an dem ein Museum Detailinformationen zur Historie bereit hält? Und wie sollte die Architektur eines Neubaus in diesem diffizilen Minenfeld der Bedeutungen auftreten? Mit expressivem Pathos, mit pflichtbewusstem Zeigefinger oder mit Understatement?

Die wirtschaftliche Seite des Problems handelt von erheblichen Summen, die aufgrund von gescheiterten Plänen und Fehlern aus der Vergangenheit auf den Schultern des Steuerzahlers zu landen drohen.

Die politische Frage handelt schließlich von den demokratischen Planungsinstrumentarien und der Frage, ob sie in einem Fall wie diesem zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ausreichen, oder ob man über die Repräsentanten der Bevölkerung hinaus auch größere Teile der Öffentlichkeit an diesem Prozess beteiligen sollte.

Viele Interessen und neue Pläne

Die Senatsverwaltung hat sich diesen Fragen sehr pflichtbewusst und sorgfältig genähert. Zunächst wurde eine Expertenkommission angehört, um die Wichtigkeit des Ortes auszuloten. Das Ergebnis dieser Anhörung führte unter anderem dazu, den privaten Besitzer der Grundstücke – der bereits eine genehmigungsreife Planung vorliegen hat – zur Änderung seiner Pläne zu bewegen und zunächst einen Workshop zur Erörterung der Lage zu veranstalten. Sieben nationale und internationale Architekturbüros haben sich bereit erklärt, ihre Expertise einzubringen und aus der Diskussion Bebauungsszenarien zu synthetisieren, die konkret diskutiert werden konnten.

Dieses Workshopverfahren wurde ausdrücklich dazu benutzt, die Öffentlichkeit in die Diskussion einzubeziehen. Jedermann, ob Anwohner, Stakeholder oder interessierter Zeitgenosse konnte die Überlegungen aus erster Hand erfahren und seine Meinung einbringen. Die Fachleute konnten den Input des Publikums direkt in ihren Studien verwerten. Darüber hinaus wurden die Vorschläge der beteiligten Büros zweimal mit einem Obergutachtergremium diskutiert und als Ergebnis wurden abschließend Kernthesen formuliert. Diese Thesen werden nun in die Überarbeitung der Pläne für das Ostgrundstück und in die Ausschreibung eines Realisierungswettbewerbs für das Westgrundstück einfließen, den der Grundstückseigner im Herbst ausloben wird.

Im Ergebnis wurden also private Entwickler für die Besonderheit des Standortes sensibilisiert, sie wurden dazu gebracht, ihre bereits mit teurem Geld ausgearbeiteten Pläne zu ändern und für eines der beiden Grundstücke einen Wettbewerb auszuschreiben, der u.a. an prominenter Stelle Raum für ein Museum vorzusehen hat. Darüber hinaus wurden Fachleute und Laien angehört, es wurden Testszenarien ausgearbeitet, die für jedermann im Netz einsehbar sind. Es steht für die Stadt Berlin nun zu erwarten, dass auf beiden Seiten der Friedrichstraße Hochbauentwürfe entstehen werden, die die Besonderheit dieses Ortes in einer intelligenten Weise mit den kommerziellen Verwertungsinteressen in Einklang bringen werden. Gleichzeitig wird die drohende Schuldenlast neutralisiert.

Matthias Sauerbruch ist Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer.
Matthias Sauerbruch ist Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer.

© Kalle Koponen

Was kann die Presse beitragen?

So weit, so gut gemeint, aber wie entsteht in einem solchen Verfahren eine „öffentliche Meinung“? Natürlich gibt es in einer Diskussion mit zehn Fachleuten mindestens zwölf Ansichten zu jedem Thema und auch die Meinungen interessierter Bürger gehen weit auseinander. Hier wäre nun die Arbeit der „Medien“ gefragt. In Zeiten von Fake News wird den „seriösen“ Tageszeitungen immer wieder das Alleinstellungsmerkmal zugesprochen, sauber recherchierte, intelligent abgewogene und vertiefte Berichterstattung bieten zu können, die es dem Leser ermöglicht, sich ein eigenes Bild machen zu können. Dass die Demokratie auf solche ausgewogenen und vollständigen Informationsquellen angewiesen ist, erleben wir gerade überall, und die quality-papers sind zu Recht stolz auf die Verantwortung, die ihnen zukommt.

Was könnte die Presse also zu diesem Prozess beitragen? Nach meiner Meinung sollte sie der Öffentlichkeit durch seriöse Recherche einen vertieften Einblick in die diversen Einzelfragen bieten, sie könnte sich mit den unterschiedlichen Positionen der Stakeholder auseinandersetzen, sie könnte die Syntheseversuche der teilnehmenden Fachleute fundiert kritisieren, sie könnte am Ende eine eigene, vielleicht sogar neue Meinung in den Prozess einbringen.

Stattdessen neigt die Presse allgemein zur Aufregung, nicht nur wenn sie über den „Kampf am Checkpoint Charlie“ schreibt. Gern wird den Beteiligten unterstellt, nur aus Eigeninteresse zu handeln und/oder nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Da ist die Rede von Geheimabkommen mit den Entwicklern, die nur ihre Gewinnmaximierung im Auge haben; Politik und Verwaltung seien implizit korrupt oder inkompetent, Architekten und Gutachter stehen angeblich auf der Payroll der Entwickler und die Organisatoren des Verfahrens ziehen vermeintlich an unsichtbaren Strippen. Wo Vermutungen und Hypothesen in Zitate verpackt und die üblichen Klischees bedient werden, wo die Berichterstattung auf die spektakulärsten Beiträge und ihre Nicht-Machbarkeit fokussiert, wird die Glaubwürdigkeit des ganzen Unterfangens grundsätzlich in Frage gestellt.

Der Berlin-typische Fatalismus

Es mag durchaus Fälle geben, bei denen solche Kritik angebracht ist, aber dieses Verfahren ist wirklich wie eine Fallstudie aus dem Seminar „Public Private Partnership“ abgelaufen und da scheint es doch ein bisschen wohlfeil, wenn die quality papers ihrer Verpflichtung als „vierte Macht im Staate“ nicht nachkommen. Wir reden so viel vom Demokratieabbau und was man dem entgegen setzen könnte. Hier gäbe es meines Erachtens eine Gelegenheit, gute Kritik mit populärer Meinung zu verbinden ohne (zumindest suggestiv) all die niederen Instinkte aufzurufen, die vielleicht das Mediengeschäft anheizen.

Natürlich wird der Planungsprozess am Checkpoint Charlie auch ohne konstruktive Beiträge aus der Öffentlichkeit weiter gehen, und wahrscheinlich ist es die komfortabelste Position, schon immer gegen alles gewesen zu sein. So lange wir aber das Risiko der Identifikation nicht eingehen, werden wir niemals die Stadt gestalten, sondern uns immer nur mit dem Berlin-typischen Fatalismus in dem einrichten, was uns vorangegangene Generationen hinterlassen haben.

Matthias Sauerbruch ist Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer. Er gründete 1989 zusammen mit Louisa Hutton sein in Berlin beheimatetes Büro für Architektur, Städtebau und Gestaltung.

Eike Becker: "Der Checkpoint eine fast mystische Aura"

Eike Becker ist Architektin Berlin.
Eike Becker ist Architektin Berlin.

© Dirk Weiß

Vor einer Woche besuchte mich mein amerikanischer Freund Ed. Er ist zum ersten Mal in Berlin und wir absolvierten das klassische Programm: Eine Führung durch den Reichstag, eine Bootstour auf der Spree – und einen Abstecher zum Checkpoint Charlie. Gerne hätte ich einen Bogen um dieses fettige Knäuel aus Bussen, Radfahrern, Fußgängern, Bauzäunen, Staub, Currywurst, Trabbi-Safari und patrouillierenden Statisten in Phantasieuniformen gemacht. Mir ist das dortige kleinkapitalistische Treibgut jahrzehntelanger Agonie zum Symbol für die Ideenarmut in der selbsternannten Kreativmetropole geworden.

Und doch hat mir unser kurzer Besuch wieder gezeigt, dass der Checkpoint eine fast mystische Aura besitzt, die auch auf Menschen von weit her eine große Anziehungskraft ausübt. Hier ist in den Jahren ein magischer Ort erwacht, ein Gigant, ein mythischer Fluchtpunkt des Kalten Krieges, den die Berliner vor lauter Spektakel in seiner Bedeutung nicht ausreichend erkannt und angenommen haben.

Es ist nicht so, dass das Land Berlin gar nicht versucht hätte, diesen historischen Ort angemessen zu gestalten: Gleich nach der Maueröffnung sollte mit Unterstützung des amerikanischen Kosmetik-Milliardärs Ronald Lauder ein American Business Center entstehen. Auf den Brachen rechts und links der Friedrichstraße waren fünf Bürogebäude mit insgesamt 160000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche geplant. So richtig Business eben. Als kompakte Blockrandbebauung, dem städtebaulichen Prinzip der gesamten Friedrichstadt, wurden dann auch drei der Gebäude realisiert. Danach brach der Berliner Büromarkt zusammen. Lauder stieg aus und der für den Gebäudekomplex gegründete Immobilienfonds meldete 2005 Insolvenz an.

Die Jahrzehnte lange Tatenlosigkeit

Damit waren die amerikanischen Business-Pläne Geschichte, aber die enormen Bürgschaften des Berliner Senats blieben bestehen. Das Grundstück wurde zu einem Spekulationsobjekt. Das Land Berlin ließ es geschehen. Letztendlich landete das Gelände beim Insolvenzverwalter, der es zur Zwischennutzung an Budenbetreiber vermietete. Das ist verständlich, denn Stadtplanung ist nicht seine Aufgabe. Und so verkam der Checkpoint Charlie zum ganzjährigen Klamaukmarkt und touristischen Rummelplatz. 2007 erwarb eine irische Investorengruppe die Insolvenzforderungen und Grundschulden, tat auch wieder nichts und verkaufte 2015 mit sattem Gewinn an Trockland. Die wollen nun wirklich dort bauen und haben damit den Senat fast 30 Jahre nach dem Mauerfall völlig überrascht.

Unverständlich bleibt die Jahrzehnte lange Tatenlosigkeit. Es wurden weder zukunftsweisende Visionen noch pragmatische Ideen entwickelt. Das ist nur durch einen Mangel an geschichtlicher Verantwortung für diesen Ort zu erklären. Hier fühlen gerade ausländische Besucher die schaurige Wunde einer Stadt, in der die feindlichen Panzer einander gegenüber standen, in einer politischen Eiszeit, die Menschen auf der ganzen Welt noch heute erschaudern lässt.

Erst die Untätigkeit des Berliner Senats hat den Checkpoint Charlie zu dem werden lassen, was er heute ist. Ein einzigartiger Ort der Geschichte auf einem ungeliebten Rummelplatz.

Stand heute sollen im Keller ein Museum des Kalten Krieges, eine Open Air Ausstellung, ein Hotel sowie eine Mischung aus Geschäften, Büros und Wohnungen - davon 30 Prozent mit Mietpreisbindung- gebaut werden. Also für alle etwas. Wer kann sich da noch beschweren?

Platz für Höhe

Doch kaum liegt das Konzept auf dem Tisch, regt sich Protest. Weniger am Museumsprojekt, das diesen Hort der Ideenlosigkeit in einen Bildungs- und Erlebnisort verwandeln soll. Es ist die Bebauung der Brachen durch den Investor, die jetzt Widerstand weckt. Die Interessen der Öffentlichkeit werden Renditen geopfert, so der Vorwurf der Kritiker. An der Öffentlichkeit vorbei, soll das Land Berlin bereits einen „Letter of Intend“ mit dem Investor unterzeichnet haben. Es geht also nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.

Vor zwei Monaten lobte das Land noch schnell einen städtebaulichen Wettbewerb aus, der die Grundlage für einen Architektur-Wettbewerb bilden soll. Sieben Architekturbüros wurden eingeladen, Entwürfe für die Bebauung der Brachen zu machen.

Eine völlige Überraschung ist dabei die kürzlich erteilte Auflage des Denkmalschutzes, die noch vorhandenen Brandwände der Nachbargebäude als markante Zeichen des historischen Ortes nicht zu bebauen. Dadurch ist eine kompakte, niedrige Blockrandbebauung, wie im Planwerk Innere Stadt und in der Erhaltungssatzung Friedrichstadt seit Jahrzehnten gefordert, nicht mehr möglich. Das könnte ein faszinierender Ausgangspunkt für bedeutende Entwürfe sein, wenn die darauf geplanten Baumassen entsprechend reduziert würden. Das geschieht aber nicht. Um die bereits zugesicherte Baumasse zu erreichen (und um Schadenersatzzahlungen zu vermeiden). Nun kann sich die Senatsverwaltung auch zwei 60 Meter hohe Türme vorstellen. Auch ohne Hochhausrahmenplan. Das ist mal eine pragmatische Lösung: Platz für Höhe. Aber souveräne Lenker des Verfahrens würden andere Entscheidungen treffen.

Zwischen Wünschen und Zwängen

In so einem Wirrwarr aus Partikularinteressen, Wünschen und Zwängen arbeiten Architekten häufig. Aber können sie all diesen Anforderungen überhaupt gerecht werden? Ein 60 Meter hoher Turm wirft große Abstandsflächen, die kaum auf den vorhandenen Grundstücken abgetragen werden können. Schon das Baurecht kann dabei nicht eingehalten werden.

- Ist dies wirklich ein besonders geeigneter Ort für Sozialwohnungen, also lauter Balkonen in Kieskratzputz?

- Sind die Brandwände der Nachbarhäuser wirklich so bestimmend für diesen Ort? Droht da nicht eine derartige Vorfestlegung das Gesamtensemble kaputt zu machen?

- Ist die Bedeutung dieses Erinnerungsortes für die Welt nicht deutlich vorrangig zu bewerten? Überstrahlt diese Funktion nicht die anderen Nutzungen und Anforderungen?

Zu beurteilen, welcher Entwurf letztendlich diese Fragen am Besten beantwortet, ist Sache der Jury – und der Bürgerinnen und Bürger, die aufgefordert waren, ihre Meinung einzubringen.

Bürgerbeteiligung nicht erwünscht

Auch hier setzt meine Kritik an. Denn wie so häufig in Berlin war auch die Bürgerbeteiligung am Checkpoint Charlie nicht mehr als ein Versuch. Die Berliner*innen konnten die Entwürfe sage und schreibe ganze drei Tage in Augenschein nehmen – und das mitten in den Sommerferien. Die Kürze der öffentlichen Ausstellung legt die Vermutung nahe, dass Anregungen und Kritik nicht wirklich erwünscht sind. Die Angst vor der Kollision der gegensätzlichen ökonomischen und kulturellen Bedürfnisse ist zu groß. Bei 3,9 Millionen Einwohnern sind ganze 100 Meinungen und Anregungen eingegangen. So wird die als „ergebnisoffener Dialog“ gepriesene Bürgerbeteiligung zum reinen Partizitainment.

Das Ringen mit den Umständen und immer wieder zu zögerliches, unkoordiniertes und ausschließlich reagierendes Verhalten drohen einmal mehr einen magischen Ort der Berliner Geschichte zu ruinieren. Ein Ort, der in seiner Bedeutung für Besucher und Bürger Gefahr läuft, übersehen und vergessen zu werden.

Eike Becker ist Architekt in Berlin. Sein 1999 mit Helge Schmidt gegründetes Büro an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung und hat die soziale Verantwortung im Blick.

Matthias Sauerbruch, Eike Becker

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