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Immobilien: Das Schloß, die Monarchie und die politischenVerhältnisse

Schinkel zwischen Hoffnung und VerzweiflungVON TILMANN BUDDENSIEG Dieser Neu-Fund zwingt uns, Schinkels Nachdenken über eine Residenz des Königs in der Mitte Berlins im Spannungsfeld einer beharrenden Monarchie und eines fortschrittlichen Verfassungsstaates zu überprüfen.Wir müssen die radikalen Vorschläge des Gipsmodells mit dem Schloß am LustgartenSchinkels, mit dem Riesendom des Kronprinzen, mit der idealen Fürstenresidenz in Schinkels nachgelassenem Lehrbuch und mit den Residenzprojekten für die Zarin in Orianda und den griechischen König auf der Akropolis in Beziehungsetzen.

Schinkel zwischen Hoffnung und VerzweiflungVON TILMANN BUDDENSIEG Dieser Neu-Fund zwingt uns, Schinkels Nachdenken über eine Residenz des Königs in der Mitte Berlins im Spannungsfeld einer beharrenden Monarchie und eines fortschrittlichen Verfassungsstaates zu überprüfen.Wir müssen die radikalen Vorschläge des Gipsmodells mit dem Schloß am LustgartenSchinkels, mit dem Riesendom des Kronprinzen, mit der idealen Fürstenresidenz in Schinkels nachgelassenem Lehrbuch und mit den Residenzprojekten für die Zarin in Orianda und den griechischen König auf der Akropolis in Beziehungsetzen.Wir müssen versuchen, die sein "ganzes irdisches Glück" bedrohenden politischen Gedanken Schinkels hinter dem loyalen Dienst an den Bauratspflichten freizulegen. Friedrich Wilhelm III.mochte das Stadtschloß nicht.Schinkels drastische Verkleinerung des Stadtschlosses um ein gutesDrittel hinter Baumreihen und Baumgruppen hat der König ebenso hingenommen, wie die Einrichtung des Lustgartens als Vorplatz des Museums.Schinkel hat den dunklen Koloss, an dem die Linden und die Königstraße wie in einem Sackbahnhof endeten, mit einer ganz anderen Gegenwart und Zukunft, dem Museum und der Bauschule, konfrontiert. Der Kronprinz und spätere König FriedrichWilhelm IV.hat offenbar die gleiche Abneigung für das Schloß empfunden, aber daraus massive Folgerungen gezogen.Seit den zwanziger Jahren hat der begabte Architekturdilettant immer neue Pisaner Domkolosse, frühchristliche Grabes-, Peter- und Paulskirchen mit Friedhöfen erfunden, um das Alte Museum,ja selbst das Stadtschloß zu verdrängen. Des Kronprinzen wichtigstes Bauprojekt während des Museumsbaues ist die maßlose Machtdemonstration eines neuen "Altares" des neuen Domes, noch über dem alten "Thron"des Schlosses und dem "Tempel" des Museums.Ein protestantischer Vatikan, dem nur die Mauer fehlte, wäre aus der Stadt ausgeschieden.Der "heitere" Stadtplatz des Lustgartens, den Schinkel den Berlinern gewonnen hatte, sollte mit einem Riesendom bis zum Rand gefüllt und damitabgeschafft werden.Die Zeichnungen des Kronprinzen sind, in ihrer städtebaulichen Gewaltsamkeit, gegen die liberalen Verfassungsfreunde als "Demagogen" gerichtet.In der Nachbarschaft von Dom und Schloß stellte sich der Königals Hohepriester des Protestantismus und als gottgefälliger Monarch dar: Man mochte sich selbst und seine Familie noch so leutselig geben, Platz und Raum für eine Volksvertretung war da in der Stadtmitte des Staates nicht. Schinkel hat sein Leben lang den von Kant abgelehnten "wörtlichen und tätlichen Widerstand" gegen die urbanen und architektonischenZustände des Absolutismus geleistet.Er empfand "Ekel" vor dem "Uniformwesen", vor der "trivialen Einförmigkeit" der barocken Residenzstadt und hoffte auf die Fülle der neuen bürgerlichenAufgaben.Dennoch hat der Kronprinz Schinkel für seine religiös maßlosen, politisch reaktionären und städtebaulich verhängnisvollen Pläne einesKönigsdomes der Monarchie herangezogen.Der Oberbaurat war loyal, aber defensiv, am Ende verzweifelt über die Instrumentalisierung der Architektur für eine Monarchie des religiösen Absolutismus. Schon Ludwig Dehio hatdiese Gralsburg eines religiösen Absolutismus "gänzlich unabhängig von Schinkel" genannt.Vielleicht hat Schinkel deshalb sechs kolossaleFriedrichsdenkmale entworfen, um den neuen Dom zu verhindern. Schinkel hat aus der "Sackgasse" des Lustgartens in die Freiheit des Idealentwurfs der "Residenz eines Fürsten" fliehen wollen, doch auch hier hatder Kronprinz mit Publikationsversprechen und Eigeninteresse eingegriffen.Schinkels Entwurf ist die konsequente Zerlegung eines barocken Kosmos, wie das Berliner Stadtschloß, in eine Vielzahl von Bestandteilen, die zumeist in öffentlichen Besitz und Nutzen überführt werden sollten.Überallwird Schinkels Eintreten für das öffentliche Interesse der Volksbildung und des Volksgenusses erkennbar.Diese "ideale" Residenz muß für ihren Schöpfer ideal bleiben, weil er sie kompromißlos als die Residenzeiner konstitutionellen Monarchie komponierte.Das widersprach eklatant der Zitadellen- und Vatikan-Mentalität des Kronprinzen.Darum scheitert das Projekt.Dem Souverän bleibt am Rande der Anlage ein privater Wohnbereich mit einem "Gärtchen", das "den Augen der Welt verborgen,nur vom Fürstenpaar benutzbar" war.Die Stiftung von allem alten Kulturbesitz an "das Volk", die Einrichtung von öffentlichen "Instituten des Palastes" (Schinkel) definierte das Amt des Souveräns bis zu jenemkritischen Punkt der Hergabe, wo der Monarch mit dem "Thronsaal" und der "Schloßkirche" die unverfaßte Hingabe des Volkes an Thron und Altar der Monarchie verlangte.Was immer zum Scheitern aller vierResidenzprojekte geführt haben mag, der Kronprinz hat sie als "mächtiger Bauherr-Befehlshaber" mit einem "kiss of death" in Gang und auf Sand gesetzt."Das Ganze blieb nichts weiter als ein schöner Traum"(Schinkel). Schinkels frühe Parteinahme für die Verfechter einer konstitutionellen Monarchie in Preußen manifestiert sich in einem erstaunlichen, nicht realisierten Frühwerk, dem "Denkmalsbrunnen" auf dem Schloßplatz von 1813-15.Sein Inhalt nennt die Grundpfeiler jener Reformen, die der Königin am 22.Mai 1815 der "Preußischen Nation" in dem berühmten quot;Verfassungsversprechen"ankündigte: eine schriftliche Verfassungsurkunde und die Neueinrichtung von Provinzialständen, wohl als Vorläufer einer gewählten Volksvertretung.Das könnte die "Corporation von Ständen" sein, die Schinkel"gleich nach dem Kriege im Jahre 1814" den Auftrag für den Brunnen erteilt hat. Der thronende Koloss des "Genius Preußens" sieht einer achrevolutionären "R publique" ähnlicher als einem Bild der Monarchie.Unter ihm lagern vier figürliche Zweiergruppen, die eine bürgerliche Gesellschaft als Zweckverband zur Sicherung von Freiheit, Gesetz, Bildung und Handel umschreiben: die Wissenschaft und die Kriegskunst; die Religion und die Schöne Kunst; das Gesetz und die Freiheit; der Ackerbau und der Handel.In den Reliefs sind Kampf, siegreiche Heimkehr und die Früchte des Friedens dargestellt, darunter auch die Verfassung? Der König, die Monarchie, die Preußische Armee fehlen wie auf den Reliefs der Neuen Wache.Der "Genius Preußens" ist von kolossaler Größe, weil er sich an das ganze Volk jener Nation wendet, die in der versprochenen Verfassungdie gleichen Rechte für Alle erhoffte.Schinkel hat in der idealen Nacktheit seiner selbstbestimmt handelnden griechischen Jünglinge und Familienväter die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit des Volkes idealistisch vorweggenommen.Diese Hoffnungen Schinkels waren in den dreißiger Jahren so gründlich erschüttert, daß er verzweifelt in seine "Lehrbuch"-Notizen einen Satz schreibt, der hier ganz zitiert werden muß: "Der Künstlermuß sich gefallen lassen, daß sein mächtiger Bauherr-Befehlshaber das bequem mit einem Strich durchstreicht, dagegen das trivialste an die Stelle setzt.Nur mitder Aufopferung seines ganzen irdischen Glücks und seiner Stellung kann er durch Wagstücke seine Gedanken, mit Gefahr der Entdeckung und der Ungnade einschwärzen. Ein solches "Wagstück", dessen Entdeckung ihn"seine Stellung" gekostet hätte, ist jetzt aufgetaucht.Die "fortwährendeSehnsucht", die er Klenze gesteht, "der unwiderstehliche Hang seiner Einbildungskraft", die er Hittorf beichtet, setzen die Kraft zu einem regelrechten Befreiungsschlag frei.Das Schloß reduziert er auf den bewunderten Schlüterteil, den jugendlich erdachten Verfassungsbrunnen setzt er in die Mitte des neuen großen Friedensplatzes.Dem Museums-Tempelfür die Bildung aller Klassen des Volkes stellt er die Akademie der Wissenschaften gegenüber.Endlich hat das Schloß seinen Partner in jener "Halle des Volkes" gefunden, die Schinkel in allen Residenzentwürfen als Symbol der unabhängigen Rechte des Volkes einzuführen versuchte: "Ein Platz und eine Residenz des eingelösten Verfassungsversprechens, vielleicht mit einem Friedrichsdenkmal zwischen Dom und Schloß, mit einer neuen Bibliothekneben der Bauschule und einem Kaufhaus am Werderschen Markt.Handel und Wandel, die Wissenschaften und die Künste, verfaßte Monarchie und souveränes Volk finden Wurzeln in dem zentralen Platz und wachsen in die Stadt und den Staat hinaus. Vielleicht haben die Baukonduktoren Wilhelm Berger, der Schinkels Schwager war, Heinrich Bürde, der ab 1848 sämtliche PreußischenParlamentsbauten entwarf, oder der Lieblingsschüler Schinkels, August Soller, dem Meister bei dem Gipsmodell geholfen, es verborgen und gerettet. Am 8.September 1840, am Tage vor seinem Zusammenbruch, geht Schinkel mit Carl Wilhelm Gropius spazieren.Sie besprechen neue Panoramen.Schinkels Panorama seiner neuen Hauptstadt einer konstitutionellen Monarchie war nicht anders,denn als heimliches "Wagstück" in Gips zu erfinden. Der Autor ist Professor em.für Kunstgeschichte in Bonn und Honorarprofessor an der Berliner Humboldt-Universität.

TILMANN BUDDENSIEG

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