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Immobilien: „Dauerkippen geht gar nicht“

Im Märkischen Viertel geben Scouts Mietern Tipps, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann.

Das Thema ist der große Aufreger dieser Tage: die steigenden Strom- und Energiepreise. Eine Abwrackprämie für alte Elektrogeräte fordert Linken-Vorsitzende Katja Kipping, Sozialverbände warnen davor, dass immer mehr Einkommensschwache ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, und sogar Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat das Thema entdeckt: „Privaten Haushalten, insbesondere auch einkommensschwachen“, heißt es in seinem Zehn-Punkte-Programm zur Energiepolitik, „soll durch kostenlose Energieberatung geholfen werden, Einsparmöglichkeiten zu realisieren.“

Wer wissen will, wie eine solche Energieberatung aussehen könnte, braucht nicht weit zu suchen: Im Märkischen Viertel im Norden Berlins läuft seit April dieses Jahres ein entsprechendes Pilotprojekt. Getragen wird dieser Energiespar-Check von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, dem Caritasverband für das Erzbistum Berlin und der Berliner Energieagentur.

Eine der ersten Mieterinnen, die vom Angebot Gebrauch gemacht haben, ist Evelyn Schechner. An ihrem Haushalt demonstriert Energiespar-Scout Stefan Becker, wie sich Strom, Heizenergie und Wasser einsparen lassen. So misst Becker zum Beispiel, wie viel Strom der Fernseher im Standby-Betrieb verschlingt. Das Ergebnis: sehr wenig – hier herrscht kein Handlungsbedarf. Dagegen fällt dem Berater auf, dass der Kühlschrank nur halb gefüllt und eigentlich zu groß ist. Beckers Empfehlung: Bei nächster Gelegenheit sollte Frau Schechner die Anschaffung eines kleineren Kühlschranks von höchster Energieeffizienz ins Auge fassen.

Insgesamt aber zeigt der Check, dass Evelyn Schechner sich bereits jetzt umweltschonend verhält. Das ist nicht bei allen Mietern der Fall. „Oft sieht man in Haushalten, dass etwas sorglos mit Energie umgegangen wird“, sagte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD), als er sich den Energiespar-Check unlängst im Märkischen Viertel vorstellen ließ. Die gleiche Erfahrung machte die Gesobau: „Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, die Wohnhäuser zu sanieren“, sagt Gesobau-Vorstand Jörg Franzen. „Es müssen auch die Verhaltensmuster der Kunden durchbrochen werden.“

Deutlich geworden ist dies dem Wohnungsunternehmen, weil es derzeit 13 000 Wohnungen in der Großsiedlung Märkisches Viertel energetisch modernisiert. Als Folge davon müssten der Energieverbrauch und damit die Betriebskosten eigentlich deutlich sinken. Bei vielen Mietern tun sie dies auch – aber eben nicht bei allen. Genau diese Mieter will die Gesobau laut Franzen jetzt darin unterstützen, „die Potenziale zur Energieeinsparung durch kleine Verhaltensänderungen beim Heizen, Lüften, Wasser- und Stromverbrauch zu heben“.

Am meisten sparen lässt sich beim Heizen. Vor der Modernisierung gab es im Märkischen Viertel nämlich eine völlig veraltete Einrohrheizung, bei der sich die Raumtemperatur nur durch das Öffnen der Fenster regulieren ließ. Wer jetzt, nach Einbau einer modernen Heizungsanlage mit Thermostat, diese Methode beibehält, bezahlt dies mit extrem hohen Betriebskosten. „Dauerkippen geht gar nicht“, stellt Energieberater Becker klar. Er empfiehlt stattdessen, täglich mehrmals einige Minuten durch Querlüftung die Luft auszutauschen. Maßnahmen wie das richtige Lüften, der sparsame Umgang mit Wasser und das Ausschalten von Elektrogeräten können sich richtig lohnen. Laut Michael Geißler, Geschäftsführer der Berliner Energieagentur, ist pro Haushalt ein jährliches Einsparvolumen von 30 Euro beim Strom sowie 120 Euro bei Heizung und Warmwasser realistisch. Verifizieren lässt sich das im Märkischen Viertel noch nicht, weil das Projekt ja erst vor wenigen Monaten angelaufen ist. In Bremen, wo die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba ihren Mietern ein ähnliches Angebot unterbreitet, bewirkte der Energiespar-Check im Durchschnitt pro Haushalt eine jährliche Kostenentlastung von 110 Euro. Eingespart wurden dabei 197 Kilowattstunden Strom, 9,1 Kubikmeter Wasser und 318 Kilowattstunden Wärme zur Warmwasserbereitung.

Im Märkischen Viertel spricht die Gesobau diejenigen Haushalte an, die eine hohe Betriebskostennachzahlung zu leisten haben. Wenn diese Mieter es wünschen, erhalten sie zweimal Besuch von einem Energiesparberater: Beim ersten Besuch nimmt er eine Bestandsaufnahme vor; diese wertet er dann aus, um beim zweiten Besuch praktische Tipps für Verhaltensänderungen zu geben. Sieben solche Berater sind im Märkischen Viertel tätig – sie sind ehemalige Langzeitarbeitslose, die von der Caritas betreut werden.

Finanziert wird der Energiespar-Check über das EU-Programm EC-Linc. Ganz so eng gezogen ist der Kreis der Teilnehmer im Märkischen Viertel aber nicht: Mitmachen kann jeder Mieterhaushalt, der in einem bereits modernisierten Wohngebäude lebt. 1700 Haushalte, so das Ziel der Projektträger, sollen bis Ende 2013 in den Genuss der Gratis-Beratung kommen.

Ein Problem allerdings kann auch das Berliner Pilotprojekt nicht lösen: Einkommensschwächere Haushalte haben nicht die Mittel, sich energieeffiziente, in der Anschaffung teure Haushaltsgeräte zu leisten. Christian Hunziker

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