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Das Erhaltungsgebiet Wilhelmstraße wurde am 28. März 2018 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erlassen. In der damaligen Vorlage heißt es: "Zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt bedürfen in dem in § 1 bezeichneten Gebiet der Rückbau, die Änderung, die Nutzungsänderung oder die Errichtung baulicher Anlagen der Genehmigung. Die Genehmigung zum Rückbau, zur Änderung oder zur Nutzungsänderung baulicher Anlagen darf nur versagt werden, wenn die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt oder sonst von städtebaulicher, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ist."

© Rita Böttcher/Tagesspiegel, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

DDR-Baukultur: Wilhelmstraße bleibt Edelplattenmuseum

OVG erteilt Abbruchüberlegungen eine Absage. Erhaltungsverordnung für die sozialistischen Bauten ist rechtens.

In der Wilhelmstraße in Mitte bleibt alles beim Alten: Die teilweise in der Endphase der DDR errichteten Plattenbauten müssen stehen bleiben, weil nicht zu beanstanden ist, auf welche Art und Weise sie von Berlin unter Schutz gestellt wurden – ihrer „städtebaulichen Eigenart“ wegen. Rückbau, Neubau oder Änderungen der Nutzungen sind weiterhin nicht zulässig.

Es sei denn, sie werden beantragt und genehmigt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg beschloss bereits am 24. Juli auch im Namen des ehemaligen DDR-„Volkes“ gegen eine Normenkontrollklage, die die Besitzer vorgebracht hatten.

Dem Tagesspiegel liegt der Beschluss unter dem Zeichen OVG 2A 6.18 vor. Die Entscheidung wurde bisher weder vom OVG noch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen öffentlich gemacht. Sie hätte allen Grund, sich zu freuen: Die demissionierte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) war es letztlich, die die Verordnung über die Erhaltung des Gebiets Wilhelmstraße in Mitte am 28. März 2018 erließ. Dem war ein Vorstoß des Bezirks Mitte vorangegangen.

Die Plattenbauzeile Wilhelmstraße besticht durch den hier zum Einsatz gebrachten Wohnungsbautyp WBS 70 (für Wohnungsbauserie, die Zahl steht für das Entstehungsjahr der Entwicklung). Wilfried Stallknecht und Achim Felz schufen mit dem Typ WBS 70 eine Bauweise, die auf standardisierten Grundlagen basiert: Die Wohnungen erheben als Funktionseinheiten in ihrer Kombination die Gebäudeteile. Um schnell aus dem Boden und in die Höhe zu kommen, fanden ausschließlich sechs Meter lange Fertigbauteile Verwendung.

WBS 70 ermöglichte die vergleichsweise freie Gestaltung der Grundrisse, weil die Außenwände die Gebäude tragen. Sie ließen sich also variieren – daher war schnell von der „Edelplatte“ die Rede. Wohnungen der WBS 70 waren durchschnittlich in 18 Stunden errichtet. Das wandelbare Fertighauswunder avancierte „zum beliebten und weit verbreiteten Gebäude in der DDR“, wie es auf einer Seite von „Visit Berlin“ unter Hinweis auf eine WBS-70-Musterwohnung heißt, die Besuchern in der Hellersdorfer Straße 179 offensteht.

Mehr noch als der Umstand, dass die DDR-Lieblinge meist wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung sanierungsbedürftig wurden, dürfte den Eigentümern der Häuser in der Wilhelmstraße bewusst sein, dass hier – unweit des Brandenburger Tors – mehr Geld mit Plattenbauten zu verdienen ist, wenn man sie einfach abreißt.

So geschehen in der Wilhelmstraße 56-59, die aus dem Ensemble herausgelöst wurde, ehe es der Erhaltungsverordnung unterlag. Das unweit der Britischen Botschaft geplante Wohnprojekt „Wilhelm“ wird eines der außergewöhnlichsten und luxuriösesten Projekte in Berlin und ein Vorzeigeprojekt der Consus Development GmbH & Co.KG.

Warum sollte man funktionsfähige Wohnungen abreißen?

„Man muss die Plattenbauten an der Wilhelmstraße nicht schön finden. Sie stehen aber für eine gewisse Epoche und sind – wie das Gericht bestätigt hat – erhaltungswürdig“, kommentiert auf Anfrage Mathias Hellriegel, der das Land Berlin in der Rechtssache vertrat.

„Unabhängig davon mutet es in Zeiten des Klimawandels und in einem angespannten Wohnungsmarkt doch recht merkwürdig an“, so Hellriegel weiter, „bestehenden und funktionierenden preisgünstigen Wohnraum mit einer auskömmlichen Dichte abzureißen. Neubauflächen gibt es genug und Nachverdichtungspotenzial auch in der Wilhelmstraße, beispielsweise in den großzügigen Innenhöfen.“

Wie die Eigentümer nun mit ihren Gebäudemassen umgehen, kann man nur erahnen. Eine Revision vor Gericht ist jedenfalls nicht zugelassen. „Ein Weiterverkauf ist möglich“, sagt Hellriegel: „Im Falle eines asset deals besteht dann auch nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 ein Vorkaufsrecht. Eine Aufteilung in Eigentumswohnungen ist noch möglich – ,noch’ mit Blick auf den Entwurf zum Baulandmobilisierungsgesetz, mit dem die Aufteilungsmöglichkeit eingeschränkt werden soll.“

Die Plattenbauten stehen für das Ende der DDR-Baukultur

Die Normenkontrollsache angestrengt hatten die Bär Grundstücksgesellschaft Berlin mbH & Co. KG, die Bärano Gesellschaft für Grundbesitz Berlin GmbH & Co. KG sowie die Bär Grundstücks GmbH & Co. Voß-/Wilhelmstraße KG. Sie hatten ein Gutachten vorgelegt, das den unter Schutz gestellten Bauten einen architektonischen Wert absprechen, gar „ihre Erhaltungswürdigkeit in Abrede stellen“ sollte, so das Gericht.

Aber das alles sei unerheblich. „Die Erhaltungswürdigkeit der hier vorhandenen das Ortsbild und die Stadtgestalt prägenden baulichen Anlagen ist durch den Senat nicht zu überprüfen.“ In jedem Falle prägten die Plattenbauten das Straßenbild der Wilhelmstraße. Dem Land Berlin sei nicht vorzuwerfen, dass es sich für eine Erhaltungssatzung entschieden habe, nachdem der Erlass einer Milieuschutzverordnung verworfen wurde. Berlin habe hierbei in Kauf genommen, dass die Begründung von Wohneigentum so nicht verhindert werden könne.

Das Gebiet weise zu guter Letzt Alleinstellungsmerkmale auf, so das Gericht: „Es dokumentiert letztlich den Abschluss des Städtebaus der DDR vor dem Mauerfall.“

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