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Immobilien: Dem Wedding aufs Dach

Wohnen, wo’s wehtut? In der Schererstraße werden gleich drei Gebäude nebeneinander zu Niedrigenergiehäusern

Mitte ist weit weg – Postleitzahl hin und Bezirksreform her. Und Wedding ist Wedding: Ladengeschäfte, die Bistro Türkiyem heißen oder Osmali Market, Clubs, die Norebang Karaoke anpreisen oder den „Gap Kulturverein Kültür Merkezi“ beherbergen – Eintritt nur für Mitglieder. Der nördlichste Ortsteil von Mitte hat noch immer seine eigene Identität.

Gutes Wedding, schlechtes Wedding? So heißt nicht nur die über die Bezirksgrenzen hinaus beliebte Bühnen-Serie, die im Primetime-Theater läuft. Diese Frage stellen sich auch Investoren. Lohnt es sich, Altbauten hochwertig zu sanieren? Mit Dachgeschoss, Fahrstuhl, Parkett, teuren Markenküchen und allem Pipapo? „Klar, der Bezirk hat Potenzial.“ So sieht es Jörg-Christian Dreyer, Geschäftsführer der GD Real. Gemeinsam mit einer britischen Familie hat er den Bezirk für zukunftsfähig befunden – nach einigem Zögern. Deshalb werden in der Schererstraße 9 bis 11 gerade drei Altbauten liebevoll saniert, mehr noch, sie werden gleich zum Niedrigenergiehaus umgerüstet. Berlinweit ist so etwas immer noch eine Rarität im Altbaubestand.

Noch während die letzten Bauarbeiten laufen, sind erste Mieter eingezogen. „Mehr als 30 Prozent Energieersparnis sind für viele Interessenten ein gutes Argument“, sagt Lars Strotmann. Er vermietet für die GD Real die rund 80 Wohnungen und Läden und ist selbst in ein Apartment gezogen. Zwei Drittel seien schon vermietet, sicherlich auch, weil die Optik mitspielt: Mit der Sanierung gleich drei nebeneinanderstehender Häuser hat sich das Straßenbild komplett verändert.

Für das Architekturbüro hmp war die Sanierung nach der sogenannten Energieeinsparverordnung (EnEV) eine knifflige Sache. Die größte Sorge von Siegfried Hertfelder und Fernando Montojo war, dass das Haus mit einer glatten gedämmten Fassade nicht mehr wie ein Altbau aussehen würde. „So haben wir nach der Dämmung neu aufgestuckt“. Ein aufwendiges Verfahren, bei dem vorgefertigte Teile auf die Fassade geklebt werden. Dafür hat das Haus den Energiestandard „Minus 30 Prozent“ erreicht – der Energiebedarf des Gebäudes liegt also 30 Prozent unter dem, was der Gesetzgeber für Neubauten fordert.

Auch hinter der Fassade haben die Architekten versucht, möglichst viele der schönen Details zu erhalten. Die Treppenbeläge und Geländer sind Originale – jetzt sind sie natürlich repariert und renoviert. Türen und alte Dielen wurden aufgearbeitet. Nur die Fenster mussten wegen des Energiekonzepts gegen neue mit Zwei-Scheiben-Isolierverglasung getauscht werden. „Aber wir haben die alte Teilung der Fensterkreuze beibehalten“, sagt Fernando Montojo. Komplett neu ist nur der Dachstuhl, der alte war nicht mehr zu halten. Dafür gibt’s jetzt stehende Fenster, große Terrassen und offene Grundrisse mit jeder Menge Licht.

Energieberater und Architekt Martin Liebl hat den Umbau begleitet – Pflicht, wenn man günstig Geld aus dem Topf des CO2-Gebäudesanierungsprogramms der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) haben möchte (siehe Kasten). Liebl erklärt, wo Gefahren im Altbau lauern. Beim Neubau sei es einfach, da könne man alle Bauteile leicht erreichen. Aber um in einem Altbau alle Teile „gut einzupacken“ und gleichzeitig die Optik zu erhalten, arbeite man mit Tricks. „Oberstes Gebot ist die Vermeidung von Wärmebrücken.“ Solche gefährlichen Schnittstellen zwischen kalten und warmen Bereichen lauern bei Anschlüssen an den Keller, im Sockel oder in den Laibungen. „Aber man kann neue Fenster einen Tick schmaler bemessen, damit Platz für die Dämmung ist.“ Wird bei den Wärmebrücken geschludert, drohen Feuchtigkeitsschäden und Schimmel.

Für die Miete in den Niedrigenergiehäusern müssen die Bewohner allerdings etwas tiefer in die Tasche greifen als in Wedding üblich. So kostet eine 98-Quadratmeter-Wohnung mit drei Zimmern 960 Euro warm, ein 110-Quadratmeter-Dachgeschoss gut 1300 warm. Zuzug von finanzkräftigem Publikum kann dem Kiez nur guttun, findet Volker Devermann vom Immounternehmen IMQ Nordverbund. Sein Team verwaltet Wohnungen von drei großen Baugenossenschaften und die etlicher privater Investoren. „Vor einigen Jahren hatten wir viele sozial schwache Mieter. Die Bausubstanz war heruntergekommen. Aber der Wedding ist im Wandel.“ Das verdanke er auch auswärtigen Zuzüglern; darunter Studenten, Künstler und Berufspendler.

Die seien nicht voreingenommen und schätzten die Nähe von City und Hauptbahnhof, sagt Devermann. „Gerade habe ich Mietverträge mit zwei Ärzten unterschrieben, die im nahe gelegenen Virchow-Klinikum arbeiten werden.“ Der richtige Wedding-Hype werde noch kommen – schließlich entstehen rund um die BND-Zentrale 8000 Arbeitsplätze. In den Erdgeschoss-Läden der Schererstraße sollen sich jetzt Künstler ansiedeln. Deshalb hat die GD Real die Kulturprojekt-Managerin Petra Prahl ins Boot geholt. Sie bemüht sich, Galeristen und Kreative in das Quartier zu locken, Interessenten für die Schererstraße und für die Oudenarder Straße 30/31 gebe es bereits. Letztere gehört zu den Sanierungsobjekten der GD Real und wird mit der Schererstraße unter dem Titel „second home“ vermarktet.

„Wedding ist ein Ortsteil, der von vielen Migranten und sozial Schwächeren und Personen mit geringem Einkommen bewohnt wird“, heißt es bei Wikipedia. „Na und? Man muss Zeichen setzen, damit sich was entwickeln kann“, glaubt Investor Dreyer. Er ist sich sicher, dass sich im Heimatbezirk von Roland Kaiser und Knut-Ziehvater Thomas Dörflein was entwickelt. „Nicht heute und vielleicht nicht morgen. Aber dann bestimmt.“

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