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Nur noch wenige Wohnungen von den 474 Einheiten sind frei.

© Loomilux Berlin

Der Möckernkiez in Kreuzberg: Und mittendrin wächst ein Dorf heran

Im Kreuzberger Möckernkiez an der Grenze zu Schöneberg entsteht ein komplett neues Stadtquartier mit Arztpraxen, Ökomarkt und Jugendzentrum. Auch 464 neue Wohnungen werden hier entstehen.

Lange wurde es mit Argwohn betrachtet, das genossenschaftliche Wohnungsbauprojekt Möckernkiez an der Schnittstelle zwischen Schöneberg und Kreuzberg. Doch seit sich von Jahresbeginn an vier große Baukräne über dem einstigen Anhalter Güterbahnhof drehen, sind die Zweifel verflogen. Die ersten vier sechsgeschossigen Häuser wachsen zwischen Yorck- und Möckernstraße in die Höhe. Bis zum Herbst 2016 sollen die neuen Bewohner eingezogen sein.

Mit den geplanten 464 neuen Wohnungen, Hotel, Jugendzentrum und Biomarkt markiert das Projekt Möckernkiez nicht nur eine der größten Baustellen in der Innenstadt, von seinem genossenschaftlichen Ansatz her kann es auch weiterhin als eines der anspruchsvollsten gelten. Etwa 55 Wohnungen sind derzeit noch zu vergeben. Bei Flächen zwischen 27 und 148 Quadratmetern bietet das Quartier Platz für Singles und für Wohngemeinschaften. Auf die Mischung wird großer Wert gelegt.

Die Genossenschaft hat derzeit etwa 1370 Mitglieder, doch es dürfen noch mehr werden. Wer sich eine Bleibe im Möckernkiez sichern möchte, muss für jeden Quadratmeter Wohnfläche eine Einlage von 920 Euro einzahlen. Das spätere Wohnen schlägt abhängig von der Lage nach momentaner Einschätzung mit etwa sieben bis elf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter im Monat zu Buche.

Die Genossenschaft ist nicht renditeorientiert

Ulrich Haneke, gelernter Industriekaufmann, hat 2007 den Anstoß für das Projekt Möckernkiez gegeben. Jetzt ist er Vorstand der Genossenschaft. „Unser Ziel sind langfristig stabile Mieten für die Bewohner, denn die Genossenschaft ist nicht renditeorientiert“, erklärt Haneke. Der energiegeladene Ur-Kreuzberger „brennt“ für sein Projekt mit Gesamtkosten von immerhin rund 121 Millionen Euro. Beim genossenschaftlichen Bauen gibt es landauf, landab nichts Ähnliches in vergleichbarer Größe. Für Haneke ist das Quartier an den Yorckbrücken eine gute Investition in die Zukunft: „Sicheres und bezahlbares Wohnen in der Innenstadt ist marktgerecht. Das ist genau das, was gebraucht wird.“

Von Anfang an war der Möckernkiez als Modell für mitbestimmtes und gemeinschaftliches Bauen gedacht. Vollständige Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, Solarmodule auf den Dächern, eigene Energieversorgung mit Biogas-Blockheizkraftwerk, Autofreiheit auf dem Gelände und Mitsprache durch die Genossenschaftsmitglieder sind angesagt. „Es war der Glaube an die Idee“, berichtet eine Mitstreiterin, „der die Genossenschaft getragen hat und weiter trägt, lange vor dem Bezug.“

Dabei kam die Gestaltung des Wohnraums nicht zu kurz. Fünf in einem Wettbewerbsverfahren ermittelte Architektenbüros planten sehr flexible Wohneinheiten, für jede stehen entweder Balkon oder Terrasse ebenso wie Abstellflächen im Keller zur Verfügung. In den Treppenhäusern und auf den Dachterrassen sind eigens „Begegnungsräume“ konzipiert.

Die Bewohner sollen möglichst lange im Kiez wohnen

Integration ist ein weiteres Stichwort. Derzeit gibt es Gespräche mit Trägern wie der Lebenshilfe Berlin. Geprüft wird, ob „Integrativ-Wohngemeinschaften“ für Menschen mit Handicaps eingerichtet werden können. Umweltfreundlich, generationsübergreifend und kiezorientiert soll sich das kleine Städtchen mit seinen etwa 1000 Bewohnern dereinst präsentieren: Dazu zählen Stellplätze für Fahrräder und Kinderwagen, eine abgestimmte Grünplanung auf dem Areal und freie Zugänge von allen Seiten.

Kernidee der Genossenschaft ist, dass die Bewohner möglichst lange im Kiez wohnen können. Um eine gute medizinische Versorgung zu gewährleisten, sollen im vorgelagerten Gewerbeteil an der Yorckstraße Arztpraxen und ein Physiotherapeut einziehen. Wohnungstausch bei veränderten Lebensumständen ist ebenso möglich wie mit der Genossenschaft abgestimmte befristete Untervermietung bei längerer Abwesenheit. Grundsätzlich sind die Genossenschaftsanteile vererblich.

„Wir bieten hier größtmögliche Flexibilität an“, sagt die Vorstandsassistentin Sonja Steberl, „der Möckernkiez passt sich an das Leben an.“ Zu den Besonderheiten des Projekts zählt das geplante Hotel mit rund 100 Zimmern, auch alle barrierefrei. Der Betreiber ist schon gefunden. Es ist der Integrationsbetrieb Proclusio, ein Tochterunternehmen des Evangelischen Johannesstifts aus Berlin-Spandau. Die Tiefgarage mit 100 Autostellplätzen ist für das Gewerbe und für Menschen gedacht, die auf ein Fahrzeug angewiesen sind. Eventuell könnte auch ein Car-Sharing-Anbieter einziehen.

Auch die Stadtimker sind auf dem Gelände unterwegs

Für den geplanten Ökomarkt gibt es bereits Verhandlungen mit einem möglichen Partner, ebenfalls eine Genossenschaft. Da auf dem drei Hektar großen Baufeld auch einige alte Pappeln gefällt werden mussten, ist ein entsprechender Ausgleich vorgeschrieben. Rund 50 Laubbäume – Eichen, Linden sowie auch verschiedene Obstsorten – sollen zwischen den Gebäuden für grüne Tupfer sorgen. Nistkästen bieten der Vogelwelt sicheren Unterschlupf.

Und auch die Stadtimker sind schon auf dem Gelände unterwegs und schauen sich nach möglichen Standplätzen für Bienenvölker um. Viele Anregungen für das neue Quartier kommen aus dem Verein Möckernkiez, der gleich gegenüber von der Baustelle in einem Ladenraum neben Gesprächen über das Bauprojekt auch noch Lesungen, Konzerte und Stammtische veranstaltet.

Es gibt sogar einen Chor, der regelmäßig in der Nachbarschaft auftritt. Zum Repertoire gehören traditionelle Lieder wie „Hab mein’ Wagen vollgeladen“ in einer leicht umgetexteten Version, Gospels und „Barbara Ann“ von den Beach Boys. Der Verein mit mehr als 350 Mitgliedern hat sich zum Ziel gesetzt, das „soziale Miteinander“ auch in der Nachbarschaft und ganz allgemein das bürgerschaftliche Engagement zu fördern.

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