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Immobilien: Die Geschichte aber hat ihren Preis

Baukunst contra Kapital - die IHK öffnet die Debatte über den DenkmalschutzVON RALF SCHÖNBALLWer ein Gut in großen Mengen besitzt, erkennt oft nicht mehr seinen Wert.Erst wenn es knapp wird, rückt es erneut ins Bewußtsein.

Baukunst contra Kapital - die IHK öffnet die Debatte über den DenkmalschutzVON RALF SCHÖNBALLWer ein Gut in großen Mengen besitzt, erkennt oft nicht mehr seinen Wert.Erst wenn es knapp wird, rückt es erneut ins Bewußtsein.Dies gilt auch für Bauten, und so verwundert es wenig, daß architektonischen Meisterleistungen der Vergangenheit trotz Berliner Baurausch nicht immer die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde.Dies gilt besonders für die nicht im Zentrum der Stadt liegenden Produktionsstätten der nach der Wende abgebauten Industrie.Nur die Denkmalschützer schrieben sich stets die (Bau-)Kultur auf die Fahnen und heben mahnend den Finger, wenn es um die Wahrung des steinernen Erbes geht.Da sie dabei auch Investoren mal einen Strich durch die Rechnung machen, eröffnete die Industrie- und Handelskammer eine Diskussion um das Spannungsfeld zwischen Kultur und Kapital.Die erste, lehrreiche Veranstaltung einer Reihe zu diesem Thema fand in dieser Woche statt."Wir haben in Berlin ein stinknormales bundesdeutsches Denkmalschutzgesetz", sagt der Chef der Behörde Jörg Haspel und unterstreicht gar: "stinknormal".Die deutliche Aussprache machte nur zu gut deutlich, daß die Gralshüter der Baukultur der Hauptstadt nicht gar den besten Ruf genießen.An der Rücksichtslosigkeit renditefixierter Investoren allein liegt das nicht.Denn wer über den Tellerrand hinaus, etwa nach Hamburg schaut, hat etwas zu erzählen: "Das Mietniveau in Baudenkmälern ist höher und die Verweildauer der Nutzer länger als bei Neubauten", sagt Gert Lorenz, Makler bei Jones Lang Wootton.Er weiß außerdem, daß sich Investionen ins Baudenkmal deshalb "auch bei ganz nüchternem wirtschaftlichen Kalkül lohnen".Als Beispiel führte er das Chilehaus an.Nach dessen Sanierung seien die Mieten um 300 Prozent gestiegen, und das Objekt zwei mal "mit nennenswerten Margen" weiterverkauft worden.Voraussetzung für diese guten Geschäfte mit dem Baudenkmal war eine umfassende Sanierung für 2200 DM pro Quadratmeter.Daß sich die Investition derart gut refinanzieren ließ, ist auch für Haspel ein Glücksfall, denn "wir sind darauf angewiesen, daß Geld in Denkmäler fließen.Das ist eine wichtige Überlebenshilfe".Ist aber das Beispiel Hamburg übertragbar auf den so Lorenz "gebeutelten Standort Berlin"? Der Makler beantwortete die Frage mit nicht eben rosigen Zahlen zum Immobilienmarkt der Hauptstadt: Der Leerstand von derzeit 1,3 Mill.Quadratmeter steige in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich weiter, weil zusätzlich 875 000 Quadratmeter neuer Büros fertiggestellt würden.Da bis 1999 kaum mit einem nennenswerten Wirtschaftsaufschwung zu rechnen sei, die Bürovermietung aber von den in der Folge entstehenden, neuen Arbeitsplätzen abhängig sei, "ist die Talsohle noch nicht durchschritten".Schlecht auch für die Baudenkmäler.Obwohl sie nämlich durchaus kostengünstig auf zeitgemäße Bürotechnik zu heben seien, genieße der Denkmalschutz nicht einen ähnlich guten Ruf wie in Hamburg - in Berlin habe er "abschreckende Wirkung".Mochte Haspel ob der Schelte auch den Kopf tiefer zwischen die hochgezogenen Schultern senken, die Schuld dafür liegt nicht bei ihm allein.Wie der einstige AL-Baupolitiker Klaus-Martin Groth weiß, sind vielmehr die leeren Kassen der Öffentlichen Hand Schuld an der Misere: "Andere Länder sind deshalb beliebter, weil es für Denkmalschutz mehr Geld gibt, und die Behörden sind gesetzlich verpflichtet, es anzubieten", so der Rechtsanwalt.In der Hauptstadt betrage das Budget gerade mal 3 Mill.DM, "das reicht für ein Gebäude, wenn überhaupt." Doch ohne Zuschüsse sei die Restaurierung vieler Baudenkmäler wirtschaftlich nicht darstellbar.Ein Ausweg aus der mißlichen Lage hatte Groth auch gleich parat: Statt die Wirtschaftsförderung für Gründer- und Handwerkszentren in Neubauten fließen zu lassen, sollte das Geld in ehemalige, denkmalgeschützte Industriehallen investiert werden.Diese seien ebensogut von Existenzgründern und Handwerkern zu nutzen.Volkswirtschaftlich nachgerechnet ist dies keine weltfremde Strategie.Ausgerechnet der Denkmalpfleger zeigte das mit einem umsichtigen Exkurs auf fachfremdes Terrain: Jährlich würden Bauleistungen im Gegenwert von 10 Mrd.DM an Baudenkmälern erbracht, und von dieser Summe erwirtschafteten regionale Handwerksbetriebe 90 Prozent.Während bei Altbauten die Personalkosten 80 Prozent der Gesamtbausumme ausmachten und nur 20 Prozent auf Baumaterialien entfielen, sei dieses Verhältnis bei Neubauten fünfzig zu fünfzig.Daraus folge, daß Denkmalpflege und Altbausanierung eine gezielte Wirtschaftsförderung der kleinen regionalen Handwerks- und Baubetriebe sei.Weitere positive Nebeneffekte einer Bevorzugung des Bestandes: 60 Prozent des deutschen Müllaufkommen sei Bauschutt und auf jede Tonne Bauabfall kämen sieben Tonnen Neubaumaterialien Das kostet: Energie für die Entsorgung - Abriß, Abtransport bis zur Bauschuttvernichtung - und für die Herstellung neuer Werkstoffe.Dieses Plädoyer für eine Vogelperspektive auf die Denkmalpflege traf einen neuralgischen Punkt der Debatte, stellen Investoren naturgemäß eher nüchtern auf die Rendite ihres konkreten Objektes ab.Das müssen sie wohl auch, denn die Bank oder die Kapitalanleger wollen schließlich Zinsen für das Bauträgern anvertrautes Geld.Deshalb findet im konkreten, letztlich politisch geführten Entscheidungsprozeß für oder gegen Abriß ein solche "Draufsicht" selten Beachtung.Die Verwaltungen setzen eher noch die Aufhebung des Denkmalschutzes durch und begründen dies mit einem "überwiegendem öffentlichen Interesse".Das ist etwa der Fall, wenn der Investor Arbeitsplätze verspricht, oder wenn Planer die Neuordnung eines Stadtquartieres vorsehen.Daß sie damit dem Standort im Zweifelsfall eher nur kurzfristig einen Gefallen tun, liegt auf der Hand.Wie unwiederstehlich historische Ensembles Touristen anziehen, ist aus Rom und Paris bekannt.Daß Einzelhandel und Gaststättengewerbe daran über die Maße profitieren, ist unstrittig.Hätten also nicht auch Vertreter dieser, nur auf den ersten Blick mittelbar betroffenen Wirtschaftszweige an der Debatte über Baudenkmäler beteiligt werden müssen?Daß in Berlin aber die Abrißbirne bedenkenlos geschwungen würde, das ist angesichts des gegenwärtigen Staatssekretärs für Stadtentwicklung kaum wahrscheinlich: Hans Stimmann beteiligte sich an der Diskussion mit seinem bekannten Plädoyer für die "Qualität historischer Bausubstanz".Er erinnerte daran, daß wir - Denkmäler sei Dank - "eine Geschichte haben, und ohne sie sind wir alle nichts".Berlin stehe ein umfassender Transformationsprozeß bevor.Er werde eine Fülle ihrer Funktionen entleerter Gebäudehüllen hinterlassen, Zeugen der gewandelten Industriegesellschaft.Wie tief der Einschnitt ist, zeige die Zahl der Berliner Industriebeschäftigten.Arbeiteten von 1930 bis 1989 noch 1,4 Mill.Menschen in der Produktion, so seien es heute nur noch 150 000.Sie haben nicht nur Teile der Siemensstadt oder vom Narva-Gelände verwaist, sondern auch deren "Versorgungsstätten": Hafenanlagen, Flughäfen und Bahngelände.Für diese Areale - Haspel zufolge "oft von den Heroen der Architektur-Geschichte errichtet, die sich in Berlin die Klinke in die Hand gaben" - seien neue Nutzungen zu suchen.Was aber abreißen und was erhalten? Thomas Hertz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, legte hier den Finger in die Wunde: "Auch der Städtebau entkommt nicht dem Wandel der Ideologien, und manche Bauten tragen diesen politischen Ballast mit sich".Daß diese Frage in der Folge unbeantwortet blieb, war zu erwarten.Zerbrachen sich doch schon Meisterdenker kurz vor der letzten Jahrhundertwende den Kopf darüber, was denn wohl "Wert" sei, erhalten zu bleiben.Das Terrain, auf dem die Frage zu beantworten wäre, steckte Friedrich Nietzsche in einer seiner "Unzeitgemäßen Betrachtungen" ab.Darin unterschied er zwischen der antiquarischen, der kritischen und der monumentalen Geschichtsschreibung.Erstere erkenne den genuinen Wert alles Geschichtlichen, weil sie wisse, wie eine Kultur aus der anderen hervorgehe - wie weit also die Wurzeln reichten.Die kritische Geschichtsschreibung dagegen treffe ihr Werturteil über die Kulturen und ihre Bauten und leite daraus eine "Rangordnung" ab.Antiquarisch oder kritisch, beiden gemeinsam sei, die Erhaltung nicht aber die Erschaffung neuer Kultur.Das allein obliege der monumentalen Geschichtsschreibung.Diese aber müsse im Schöpfungsprozeß selbst blind sein gegenüber der Geschichte - wenn sie den Keim neuer (baukultureller) Blüten nicht vom Ballast des gewichtigen Schatzes erdrücken lassen wolle.Wer aufmerksam der Debatte etwa um den Stadtgrundriß in Mitte verfolgte, der weiß, daß diese Unterscheidung des Pudels Kerns ist.Die Fragen nämlich lauten: Wie anknüpfen an das reiche bauliche Erbe einer alten (industriellen) Zeit, ohne daß das Ergebnis sich der neuen (Informations-)Gesellschaft verweigerte - und sei es durch die blasse Nachahmung von Bau(-Kunst-)Werken der Vergangenheit.Ein weites, politisches und ökonomisches Feld, das einzig mit Kultur erfolgreich bestellt werden kann.Mit Diskussionskultur zumal - die IHK hat mit ihrer Veranstaltungsreihe die Saat ausgebracht.

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