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Immobilien: Ein Architekt bittet zum Tanz

Lange lag die Immobilie brach – nun hat das Alte Pumpwerk am Ostbahnhof einen beeindruckenden Anbau aus Glas und bewegungsfreudige Mieter

Passanten linsen neugierig auf die Baustelle an der Holzmarktstraße, gleich bei der Schillingbrücke: „Bestimmt noch so ein Industriebau, aus dem ein Szenetreff werden soll“, mutmaßen sie und laufen weiter zum Ostbahnhof gleich schräg gegenüber.

Gerhard Spangenberg würde das vehement verneinen. Denn anders als in der gestylten Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg oder dem weitgehend unsanierten Pfefferberg konzipierte der Architekt ein Ensemble aus Altem und Neuem. Um das einstige Abwasserpumpwerk in bester Spreelage hat Spangenberg einen filigranen Neubauriegel „gewickelt“, wie er es nennt; Klinker, Putz und Zinnen neben moderner Glasfassade.

Im Zweiten Weltkrieg war der westliche Teil der Maschinenhalle fast vollständig zerstört worden. Deshalb wollte Spangenberg die Unwucht des abgeschnittenen Gebäudes ausbalancieren, dem schweren Bau „eine zarte Fassung“ geben. So ist jetzt eine zweigeteilte Fassade mit historischem Altbau und transparentem Neubau sichtbar.

Wenn am 9. September im Pumpwerk das Kulturzentrum für modernen Tanz öffnet, werden die Besucher die beiden parallel zur Spree liegenden Aufführungshallen durch das neu gebaute Foyer betreten, das an der Brandwand des Altbaus entlangführt. Gerade Linien, Glas und Beton dominieren. „Ganz ohne Kinkerlitzchen“, so mag’s der Architekt. Das hindert ihn aber nicht am Austüfteln liebevoller Details – etwa die bündig in die Betonwand integrierten Handläufe in den Treppenhäusern.

Die Foyerfenster strecken sich vom Boden bis zur Decke und geben schon vom Eingang den Blick auf die Spree frei. Der Fluss zum Greifen nah, nur eine elf Meter breite Uferpromenade trennt das Haus vom Wasser.

Spangenberg greift lächelnd auf den schmalen Betontresen im Foyer: „Ist das nicht schön? Wie ein Möbelstück.“ Dahinter ragt ein Teil der zerstörten Backsteine des Altbaus hervor. Die wollte er „nicht so aufpolieren, dass die Industrievergangenheit nicht mehr sichtbar“ ist, nein, es sollte kein Edelbau werden. Spangenberg hat an vielen Stellen Patina gerettet, passend zum Werkstattcharakter, den das Haus haben soll.

Entdeckt hatte Spangenberg den denkmalgeschützten Bau schon vor vier Jahren. 1880 war das Pumpwerk als Teil eines sogenannten Radialsystems zur Stadtentwässerung errichtet worden. 1904 wurden Kessel- und Maschinenhaus angebaut. Nach 2000 standen sie wegen Verschleißes der Anlage leer, zuletzt lagerten RTL und die Staatsoper in den Hallen Material.

In diesem Karree, wo die Szene Berlins unterwegs ist – bei Maria am Ostbahnhof oder am Oststrand, wo Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain an der Spree zusammentreffen, wo Universal und MTV nicht weit sind – das wäre doch eine ideale Lage für etwas Neues, dachte Spangenberg. Für was genau, wusste er noch nicht. So machte sich der Architekt, der sich in Berlin auch mit den Treptowers und dem TAZ-Verlagshaus einen Namen gemacht hat, auf die Suche nach Nutzern und nach einem Investor. Und er fand sie – in Jochen Sandig, Produzent, Kulturmanager und Lebensgefährte von Choreografin Sasha Waltz, und Dramaturg Folkert Uhde. Sie bilden gemeinsam mit Tilman Harckensee die „Radialsystem V GmbH“ und haben nun einen Mietvertrag für zehn Jahre in der Tasche. Eine Million Euro steuern sie für den Innenausbau bei. Vorsitzende des künstlerischen Kuratoriums ist Sasha Waltz.

Als Investor gewann Spangenberg die Telamon Vermögensverwaltung aus Bochum. Knapp zehn Millionen Euro musste Geschäftsführer Thomas Durchlaub für Kauf und Entwicklung des Areals in die Hand nehmen. „Die Lage an der Spree, die harmonische Architektur, das wird so viele Besucher locken, dass dieses Pumpwerk ein prominenter Ort wird“, glaubt Durchlaub. Für die Telamon, eine kleine Gesellschaft, die nur eigenes Vermögen verwaltet und sich gern langfristig engagiert, dürfte das Radialsystem eine Überzeugungstat sein. Bei den Objekten achte man auf „Alleinstellungsmerkmale“, bei der Entscheidung für dieses Projekt habe auch der Architekt selbst mit seinem Entwurf eine große Rolle gespielt. In Potsdam hat die Telamon bereits zwei denkmalgeschützte Villen saniert.

Die Nutzer hat Spangenberg in die Planung einbezogen, es wurde „eine harmonische Zusammenarbeit“, sagt der Architekt, auch mit Landeskonservator Jörg Haspel. Die beiden Proben- und Aufführungssäle sind ganz auf die Bedürfnisse der Künstler abgestimmt. Tribünen und Podeste können in der 600 Quadratmeter großen ehemaligen Maschinenhalle flexibel angeordnet werden. Das Publikum kann wahlweise ebenerdig oder auf steil ansteigender Tribüne vor einem Orchestergraben Platz nehmen. Ein schönes Detail unter der zwölf Meter hohen Jugendstildecke: die gusseiserne, hundert Jahre alte Lastenkranbahn. Dort wird die Lichttechnik installiert.

Auch im angrenzenden 400 Quadratmeter großen Kesselhaus sollen sich Tänzer, Musiker und Videokünstler tummeln. Damit’s den Nachbarn nicht zu laut wird, wurden zwar alle Fenster historisch belassen, aber aufgedoppelt – nun bieten sie Schallschutz bis 100 dBA.

Aus verzinktem Stahl, Beton und Asphalt hat Spangenberg über dem Foyer eine zweigeschossige Lounge entworfen – für den Cocktail mit Wasserblick. Viel Licht gibt es hier und einen entsprechend wirksamen Wärmeschutz: Halbtransparente Glaslamellen schützen vor der gröbsten Hitze. Das gilt ebenso für die angrenzenden drei Studios, die als Proben- und Präsentationsräume dienen.

Konsequent Historisches bewahrt hat der Architekt am Uferweg: Die alte Pflasterung und alte Lorenschienen blieben erhalten. Bald sollen an der öffentlichen Promenade, an der auch ein Café vorgesehen ist, Boote anlegen können. Besonders stolz ist Spangenberg auf das 400 Quadratmeter große Sonnendeck über der kleinen Halle. Als Verbindungselement von Alt- und Neubau bildet die mit Holzplanken bestückte Fläche eine Loggia – mit Blick auf die Spree und das Verdi-Gebäude vis-à-vis. Vielleicht schaut Frank Bsirske bald ein bisschen neidisch herüber.

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