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Immobilien: Feuer und Flamme

Wohnungsbrände fordern in Deutschland jährlich rund 600 Opfer. Wer auf die Beschaffenheit seines Mobiliars achtet, kann das Brandrisiko verringern

Der Herbst ist da – man verbringt mehr Zeit zu Hause, die Abende womöglich bei gemütlichem Kerzenlicht. Von diesem romantischen Bild zum Thema Schadensfeuer zu gelangen, mag gedanklich ein großer Sprung sein, physikalisch und chemisch betrachtet ist es jedoch nur ein kurzer Weg: Eine ungeschickte Handbewegung, und schon setzt die Kerze erst das Tischtuch in Flammen, dann in Windeseile die gesamte Einrichtung.

Jährlich sterben in der Bundesrepublik rund 600 Menschen bei Wohnungs- oder Hausbränden. Sorgloser Umgang mit offenem Licht ist dabei nur eine der Ursachen. In vielen Fällen sind die Opfer mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen oder unbeaufsichtigte Kinder haben gezündelt.

Doch das wird immer gefährlicher: Die Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, wurde in den vergangenen Jahrzehnten deutlich knapper. Waren es in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch mehr als 15 Minuten, bleiben nun vielleicht noch fünf. Möbelpolster enthalten kaum noch Materialien wie Rosshaar, das sich nicht so leicht entzünden lässt, sondern Schaumstoff. Schwerer entflammbare Schaf- und Baumwolle wurde oft durch Kunstfasern ersetzt, und die können wie Zunder abfackeln. Gehäuse von elektrischen und elektronischen Haushaltsgeräten sind ebenfalls aus Kunststoff. Nicht zuletzt werden unsere Wohnungen insgesamt immer voller.

Aber es sind nicht die Flammen selbst, die töten, sondern meistens die Gase, die im Brandfall freigesetzt werden, vor allem Kohlenmonoxid (CO). Es entsteht bei unvollständiger Verbrennung – also bei jedem Schadensfeuer – und bindet den roten Blutfarbstoff, der für den Sauerstofftransport im Körper zuständig ist. Das CO-gesättigte Hämoglobin ist auch dann nicht mehr funktionstüchtig, wenn der Betroffene noch lebend an die frische Luft gebracht werden kann.

Doch welche Möglichkeiten der Vorsorge gibt es? Während in England nur Möbel verkauft werden dürfen, die schwer entflammbar sind, wird der deutsche Verbraucher noch weitgehend allein gelassen. Hier gibt es kein Prüfsiegel für Einrichtungsgegenstände, bedauert auch Jens-Peter Wilke vom vorbeugenden Brandschutz der Berliner Feuerwehr. Man kann nur selbst auf das Material seiner Möbel achten.

Allerdings zeigt die Industrie bereits Ansätze, die weiterhelfen. Da stellt die Interglas AG Glasgewebe her (siehe Kasten), das nach Auskunft ihres Mitarbeiters Rolf Thiele bereits für Gardinen, Sitzmöbel und Lampenschirme verwendet wird. Das Gewebe ist in mehreren Farben erhältlich und besteht aus dünnen gläsernen Endlosfäden, die zu Garn versponnen und verwebt werden.

Der Sitzmöbel-Hersteller „Kusch+Co“ setzt das Material – nach eigenen Angaben als einziger Produzent in Deutschland – auf Wunsch ein, um den Kunststoff der Polster damit einzukapseln. Die Glut einer Zigarette oder die Flamme einer Kerze kann dann zwar ein Loch in den darüber liegenden Bezugsstoff brennen, an den Schaumstoffkern des Polsterverbundes komme die Hitze aber nicht heran. Produziert werde vorrangig für öffentliche Bereiche, die verpflichtet sind, besonders auf Brandschutz zu achten: Altenheime, Krankenhäuser, Behörden mit Publikumsverkehr. Verkauft wird aber auch an Privatleute. Ein Besuch in den Ausstellungsräumen der Firma zeigt, dass so manches gemütliche Möbelstück dabei ist. So gibt es zum Beispiel Essecken und Sitzgruppen – wenngleich nicht in üppigem Plüsch, sondern eher zurückhaltendem Chrom-Leder-Chic. Man kann sich aber auch nur das Gewebe beschaffen und damit die Polster seiner Möbel selbst einkapseln, sofern die Deko-Überzüge von Sitz- und Rückenkissen abnehmbar sind.

Bei anderen Möbeln, etwa Bücherschränken oder Truhen, lässt sich die Gefahr nicht genau angeben, die Entflammbarkeit wird hier von den verwendeten Werkstoffen bestimmt. Massives Eichenholz etwa lässt sich nur schwer entzünden, für Bücher gilt Ähnliches. Schwer einzuschätzen sind Möbel aus Spanplatten: Welcher Kleber wurde verwendet, welche Beschichtung?

In Sachen Kunststoffe gilt: Sie umhüllen im Haushalt vor allem Elektro- und Elektronikgeräte. Zwar hat sich auch konstruktionsbedingt viel getan, die E-Technik löst heute so gut wie keinen Brand mehr aus. Doch was, wenn eine brennende Kerze auf den Fernsehapparat gestellt wird? In ihrem Urzustand brennen die meisten Kunststoffe sehr gut, insbesondere die im Haushalt verwendeten. Das Material zersetzt sich dabei in seine Bestandteile, die verdampfen und die Flammen hervorragend nähren. Deshalb wurden schon vor Jahrzehnten Flammschutzmittel eingesetzt – vor allem chlor- und bromhaltige Substanzen. Ihr erwünschter Effekt: Die Kunststoffe brennen erst mit einiger Verzögerung und nur dann, wenn sie von Flammen in ihrer Umgebung dazu gebracht werden. Wird das „Stützfeuer“ entfernt, verlöschen auch sie. Der Fachmann spricht von „Flammwidrigkeit“. Ein Problem sind jedoch die unterschiedlichen nationalen Normen. In den USA zum Beispiel müssen Gehäuse von Fernsehapparaten „flammwidrig“ sein, in der EU nicht. In Deutschland werden sie somit nur auf freiwilliger Basis eingesetzt.

Früher achtete man nur darauf, dass diese halogenhaltigen Stoffe die Brandrisiken verringern. Dass sie beim Feuer Rauch und Kohlenmonoxid entwickeln, wurde hingenommen. Dass sie aber schon im Normalbetrieb des jeweiligen Geräts eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen können, wurde erst spät erkannt. Inzwischen sind einige von ihnen in der EU verboten. Bernhard Schartel, Leiter der Arbeitsgruppe Flammschutz von Polymeren an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), rät in Sachen Flammschutzmittel allerdings zu einer differenzierten Betrachtungsweise. Denn auf sie kann man schwerlich verzichten. Sie finden nicht nur in der Elektro- und Elektronikindustrie Verwendung, sondern auch auf dem Bau und bei der Herstellung von Autos, Bahnen und Flugzeugen. Ihre Produktionsmengen steigen daher weltweit um drei bis fünf Prozent jährlich.

Doch Fakt ist: Es müssen Substanzen sein, die auf Dauer unbedenklich sind. Der Trend geht – jedenfalls in Deutschland – weg von halogenhaltigen Flammschutzmitteln hin zu Phosphorverbindungen. Ammoniumpolyphosphat spaltet sich im Brandfall in Ammoniakgas, das die Flammen ersticken soll, und in Phosphorsäure auf. Sie bildet eine kohlenstoffhaltige Kruste, die das Ausdampfen brennbarer Substanzen aus dem Kunststoff verhindert. Treibmittel wie Melamin werden dafür verwendet, eine wärmeisolierende Schutzschicht aufzuschäumen. Und Metallhydroxide geben unter Hitzeeinwirkung Wasser ab, kühlen also den darunter liegenden Werkstoff.

Die Fachleute sind freilich mit solchen Ergebnissen noch nicht zufrieden: „Es gibt Anwendungsgebiete, in denen sind 80 Prozent der flammgeschützten Kunststoffe erst in den vergangenen fünf Jahren entwickelt worden“, sagt BAM-Wissenschaftler Schartel. „Ein Forschungsbereich mit hoher Innovationskraft, auf dem deutsche Firmen führend sind.“

Aber wie erfährt der Verbraucher, welche Substanzen etwa im Computer oder im TV-Gerät verwendet wurden? Vor allem kann er sich an Gütesiegeln wie dem Umweltengel oder an Untersuchungen der Stiftung Warentest orientieren. Die Warentester weisen nämlich in ihren TV-Geräte-Vergleichen auf die Verwendung gefährlicher Flammschutzmittel hin, sobald sie fündig werden. Das geschieht jedoch immer seltener, denn moderne Apparate mit Flachbildschirmen sind längst nicht mehr so gefährlich wie jene mit Bildröhren, sagt Testerin Jenny Braune. Und Flachgeräte mit Plasmatechnik ruhen fast ausschließlich in Metallgehäusen.

Gideon Heimann

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