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Early Adopter. Norman Ohler zog in den 90er Jahren an die Spree. Damals fuhr noch keine U-Bahn über die Oberbaumbrücke. Heute beobachtet er, wie hier ein abstoßendes, das kulturelle Leben verödende Großprojekt nach dem anderen hochgezogen wird. Foto: DAVIDS/Sven Darmer

© DAVIDS/Sven Darmer

Gentrifizierung in Kreuzberg: Wo das Kapital gesiegt hat

Unser Autor wohnt an der Oberbaumbrücke – und sieht zu, wie Freiheit, Demokratie und Natur in diesem Teil Berlins zerstört werden.

Norman Ohler, 1970 geboren, ist Schriftsteller und Journalist. Bekannt wurde er 2015 mit dem ersten Sachbuch über die bisher kaum aufgearbeitete Rolle von Drogen im Dritten Reich  („Der totale Rausch“). Ohler ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschlands. Er wohnt heute in Kreuzberg, zuvor in Mitte, in einem kurz vor der Entkernung stehenden Altbau am Hackeschen Markt. Die Wohnung wurde Ausgangspunkt für seinen zweiten Roman „Mitte“ (2001), eine Geistergeschichte über die zunehmende Kommerzialisierung Berlins. Gerade ist sein historischer Kriminalroman „Die Gleichung des Lebens“ als Taschenbuch bei Kiwi erschienen.

Als ich Mitte der 90er Jahre an die Spree in der Nähe der Oberbaumbrücke zog, gab es um die Ecke eine Spelunke, über der in großen Lettern stand: „Cafe im Grenzbereich“. Der Name bezog sich auf die Zeiten vor der Maueröffnung, als dieser Teil West-Berlins als hinterster Winkel von Kreuzberg SO 36 vollkommen abgeschnitten vom Rest der westlichen Welt vor sich hindümpelte. So ähnlich war es noch immer, als ich hier ankam: billige Mieten, auf der anderen Flussseite die alten verrosteten Kräne des Osthafens, kaum Bootsverkehr auf dem Fluss und noch keine U-Bahn über die Oberbaumbrücke.

Abends traf ich mich mit meinem Kumpel Gregor, er spielte Saxophon am Ufer vor dem alten Omnibusbetriebsbahnhof, der mittlerweile das multifunktionelle Veranstaltungsgelände Arena ist. Und im ehemaligen Eierkühlhaus der DDR, meiner Wohnung direkt gegenüber am anderen Spreeufer positioniert, hat heute Universal Music seine Deutschlandzentrale.

Von meinem Schreibzimmer aus kann ich sehen, wie sich die urbane Flusslandschaft im Zeitraffer wandelt. Meine Miete hat sich mittlerweile mehr als verdoppelt, und häufig wünsche ich mir, es gebe neben dem Lichtschalter auch einen Zeitschalter, und ich könnte in die Vergangenheit reisen, in jene Neunzigerjahre, die eine Freiheit der Räume versprachen, die aufgrund der Kommerzialisierung Berlins im Zuge der Hauptstadtwerdung verloren gegangen ist – besonders augenscheinlich entlang seines Hauptflusses, der Spree.

Heute streift mein Blick von Ost nach West einen neuen Luxus-Wohnungsturm, für den sogar ein Stück historischer Berliner Mauer an der East Side Gallery abgerissen wurde, als nächstes das Event-Monstrum „Mercedes Benz-Arena“, schließlich das mit einem Gitarrenlieferservice prunkende nhow-„Musik- und Lifestyle“-Hotel im früheren Osthafen sowie die Riesenbürobaustelle Cuvrybrache, wo früher einmal das Yaam beheimatet war und danach Hunderte von Menschen jahrelang wild campierten.

Dass Berlin gentrifiziert wird und die letzten Freiräume verloren gehen – also genau das abhanden kommt, was die Stadt seit dem Mauerfall attraktiv gemacht hat –, ist eine Binsenweisheit. Doch leider ist es noch mehr als das, nämlich ein Trauerfall. Ich kann mich erinnern, wie ich vor über zehn Jahren an dem Bürgerentscheid „Mediaspree versenken“ teilnahm, bei der über 90 Prozent der Anwohner dafür votierten, einen fünfzig Meter breiten Uferstreifen von künftiger Bebauung freizuhalten und die maximale Bauhöhe auf 22 Meter zu begrenzen. Die Realität sieht anders aus. Der Senat der Stadt hat sich für die Wünsche seiner Bürger nicht eingesetzt, auf der Cuvrybrache beispielsweise wird bis direkt ans Wasser gebaut – und deutlich höher als die sonst so heilige Traufhöhe.

Arm, aber sexy? Berlin ist teuer und uncool

Tatsache ist, dass sich die Stadtregierung mitnichten um die Anliegen der Flussanrainer, der Menschen, die hier leben, kümmert, sondern dem Kapital die Bahn frei macht. Wer architektonisch abstoßende, das kulturelle Leben verödende Großprojekte realisieren möchte, hat wenig Probleme. Doch Ralf Steeg beispielsweise, der mit „Spree 2011“ ein Konzept entwickelte, wie der Fluss in diesem Innenstadtabschnitt binnen weniger Jahre schwimmbar gemacht werden kann (nämlich durch die Einrichtung von Auffangbecken, damit die Kanalisation bei starkem Niederschlag nicht in den Fluss geleitet wird), steht vor unüberwindbaren bürokratischen Hürden. Für sein kongeniales, vergleichsweise günstiges Projekt, das gekoppelt ist an die Einrichtung von Cafes und Open Air-Kinos auf den Auffangbecken, ist kein Geld vorhanden, dabei würde es die Lebensqualität unweigerlich steigern, könnte man in der Spree baden.

Was andere Städte wie etwa Zürich geschafft haben, daran scheitert Berlin. Dort kann man in die Limmat springen, die als lebendige Arterie durch das Zentrum führt. In der deutschen Hauptstadt starrt man auf eine Kloake, um die herum seelenlose Betonneubauten stehen, in denen Menschen entfremdete Büroarbeit ausüben sollen. Berlin war mal „arm, aber sexy“, heute ist es teuer und uncool.

Berlin fehlt ein Konzept, eine Vision

Gerade an den Ufern, am Wasser, wird deutlich, wie der entfesselte Kapitalismus Leben, Freiheit und Demokratie zerstört: wie Mieten steigen, die Natur stirbt, zum Anschauungsobjekt aus klimatisierten Räumen degradiert wird. Wo wächst Gras, wo gedeiht Natur an den Ufern zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke? Was ist mit dem durchgehenden Uferwanderweg, der geplant war? Längst vergessen, zerrieben zwischen den Investitionszahlen jener Unternehmen, denen die Spree als Lebensraum egal ist und die dabei von den visionslosen Regionalpolitikern der Rot-Rot-Grün-Koalition noch unterstützt werden.

Was Berlin fehlt, ist ein Konzept, eine Vision, wie die Spree im Herzen der Stadt lebenswert bleibt. Derzeit ist Verödung angesagt, und die Stadt verliert ihren Geist, direkt hier an der Spree.

Neben mir wohnt beispielsweise einer der erfolgreichsten Werbefilmer Deutschlands. Auch er zieht demnächst weg, in Richtung Oberschöneweide. Kreuzberg, an der Oberbaumbrücke, ist selbst ihm zu teuer geworden. Und als ich letztens mit einem alten Holzboot über die Spree fuhr und von der Wasserschutzpolizei angehalten wurde, weil mein Positionslicht nicht hoch genug angebracht war, musste ich mir anhören, dass „die alten Zeiten, wo auf dem Fluss noch alles möglich war“, endgültig der Vergangenheit angehören. Sie, die Polizisten, hätten Anweisung erhalten, nun strikt auf die penible Einhaltung aller Regeln zu achten – was früher längst nicht der Fall war.

Der Fluss ist vom Kapital heiß umkämpft – und verliert genau deshalb an Attraktivität. Nur ein Projekt macht noch Hoffnung, der Holzmarkt in der Nähe der Jannowitzbrücke. Hervorgegangen aus der Bar 25 entsteht dort ein Viertel am Wasser, das dem Druck des Kapitals standhalten will, mit Restaurants, Büros, Clubs, einer Kita. Doch auch der Holzmarkt muss sich permanent wehren gegen jene, die ihn verdrängen wollen. So hängt derzeit ein riesiges Spruchband an der Fassade des Holzmarktes: „Wenn niemand mehr in Berlin leben kann, ist es auch endlich ruhig.“ Früher war hier mal Grenzbereich. Heute ist Ausgrenzung angesagt.

Norman Ohler

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