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Immobilien: Gierig nach weiß blühenden Rosskastanien

Eine Motte vernichtet europaweit die Blätter. Noch gibt es keine wirksame Methode, ihre Verbreitung zu stoppen

Von Waltraud Hennig-Krebs

Noch ist Hochsommer. Doch wenn man auf Berlins Straßen, in Parks, Gärten oder in Hinterhöfen die Rosskastanien betrachtet, denkt man unwillkürlich der Herbst sei da. Mit ihren braun gefleckten Blättern bieten die einstmals prächtigen Bäume einen trostlosen Anblick. Doch was ist die Ursache? Weder Wassermangel oder winterliche Folgeschäden haben die starken Verfärbungen hervorgerufen, sondern ein winziges Insekt ns Cameraria ohridella, die Rosskastanien-Minimiermotte. Die Larven des Falters bohren sich ausschließlich in die Blätter der weiß blühenden Kastanien (Aesculus hippocastanum) und fressen das Innere. Das Laub wird braun, rollt sich ein und fällt ab. Noch ist nicht geklärt, warum die Motten nicht auch an rot blühende Kastanien (Aesculus carnea) gehen. Wissenschaftler nehmen an, dass bestimmte Inhaltsstoffe die Insekten abschrecken.

„Extrem befallene Bäume", prognostiziert Hartmut Balder vom Berliner Pflanzenschutzamt, „werden im Laufe der Jahre so geschwächt, dass sie immer anfälliger gegen andere Schädlinge werden" und möglicherweise dadurch absterben oder gefällt werden müssen. In Berlin wären, nach Angaben des Pflanzenschützers, allein 22000 Straßenbäume betroffen. Denn ein wirksames wissenschaftlich fundiertes Mittel gegen die Motte gibt es bislang nicht. Das ergaben die bisherigen Forschungen von Wissenschaftlern am Lehrstuhl für Tierökologie der Technischen Universität München. Auch das zur Zeit laufende europäische Projekt „Controcam" zur Bekämpfung der Minimiermotte hat noch nicht den Durchbruch gebracht. Mit den ersten greifbaren Ergebnissen ist frühestens im nächsten Jahr zu rechnen.

Für die Ausbreitung von Cameraria ohridella gibt es, wie berichtet, verschiedene Ursachen. Klimatische Veränderungen können eine natürliche Wanderung auslösen. Aber auch der Warenverkehr zwischen den einzelnen Ländern oder Regionen unterstützt die Verbreitung. So entdeckten die Bayern beispielsweise die ersten Exemplare an isoliert stehenden Rosskastanien an der Autobahn.

Nur etwa fünf Millimeter ist der erwachsene Falter lang. Er gehört zu der kleinen Schmetterlingsfamilie Gracillariidae, zu deutsch Blattmotten, Tütenmotten oder auch Minimiermotten. Die Grundfarbe der circa 3,5 Millimeter langen Flügel ist metallisch-ocker mit außen schwarz gerandeten weißen Querstreifen.

Die extrem starke Verbreitung hat ihre Ursache in der raffinierten Überlebensstrategie der Tiere. 20 bis 40 Eier legt ein einziges Weibchen ab, und zwar stets auf die Oberseite des Rosskastanienblattes. Nach etwa zwei bis drei Wochen schlüpfen die Junglarven und bohren sich ins Blattgewebe ein und hinterlassen dort Fraßgänge, die so genannten Minen.

Drei Generationen bringt eine Motte pro Jahr hervor. Wenn nun alle Falter schlüpfen würden, hätten diese nicht genügend Nahrung, würden sich selbst dezimieren und müssten mit der Vermehrung jedes Jahr bei Null anfangen. Also überwintert ein großer Prozentsatz der ersten und zweiten Generation der Puppen in den herabgefallenen Blättern der Kastanien.

Um das Schlüpfen zu unterbinden, muss das Laub vernichtet werden, und zwar nicht nur das des betroffenen Baumes, sondern auch das in der Umgebung. Damit wird verhindert, dass der Wind befallene Blätter verweht. Das mag bei Einzelbäumen bedingt möglich sein. Bei den tausenden Kastanien in der Stadt und in öffentlichen Gärten wäre es eine Sisyphus-Arbeit. Denn eine völlige Herbstlaub-Entfernung ist kaum möglich. Doch auf alle Fälle senkt die Vernichtung des Laubes deutlich den Befall im Folgejahr, so dass die Blattschäden in den Spätsommer oder Herbst hinein verschoben werden. Der Baum hat dann mehr Zeit für den Aufbau von Reservestoffen. Das ist die bisher einzige gangbare Methode für private Gärtner.

Geforscht wird auf allen in Frage kommenden Gebieten. So werden auch mittelfristige Verfahren mit Sexualpheromonen erprobt, um die männlichen Falter wegzufangen. Auch andere Substanzen haben sich in der Theorie als wirksam erwiesen. Doch die Entwicklung und Zulassung vollkommen neuer Präparate ist sehr teuer. In naher Zukunft ist also nicht mit einem ultimativen Wundermittel zu rechnen. Und die natürlichen Feinde, wie beispielsweise Blaumeisen oder Kohlmeisen? Sie werden nie in der Lage sein, die Unmengen an Larven und Puppen zu vernichten, um den hohen Schädlingsbefall einzudämmen. So konzentriert sich die Forschung auch darauf, den wirklichen Ursprungsort von Cameraria ohridella zu entdecken. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Schädling aus Asien stammt. Sie hoffen, dort auf natürlich wirksame Parasiten zu stoßen, die auch bei uns als geeignete Nützlinge eingeführt werden können. Dann könnte der Befall so stark eingedämmt werden, dass er kein Problem mehr darstellt. Denn umgefallen ist wegen des Mottenbefalls bislang noch keine Rosskastanie

Nach Überzeugung der Experten werden wir Cameraria ohridella nicht mehr los, es sei denn, die Bäume werden gefällt. Diese Tierchen sind somit ein Bestandteil unserer Fauna geworden. Bleibt die Hoffnung auf den wissenschaftlichen Erfolg. Bis dahin müssen wir im Sommer mit dem trostlosen Anblick braunblättriger Kastanien leben.

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