zum Hauptinhalt
„Revolutionäre Lebensräume auf dem Wasser“. Bei Booten unter 15 Metern muss mit monatlichen Liegekosten in Höhe von 100 bis 500 Euro gerechnet werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Hausboote: Tom Sawyer und Huckleberry Finn lassen grüßen

Hausboote könnten rasch den Immobilienmarkt überschwemmen – wenn sie als Erstwohnsitze zugelassen wären.

Wohnlagen am Wasser sind gefragt und besonders teuer. Leisten kann sie sich nur, wer das nötige Kleingeld hat. Das gilt auch in Berlin. Wem das Wohnen „in der ersten Reihe“ am Wasser unerschwinglich ist, mag über das Wohnen auf dem Wasser nachdenken. Seit einigen Jahren sind auf der Spree auch hausähnliche Boote, sogenannte Floating Homes, zu haben.

Eine glückliche Besitzerin eines solchen „Floating Home“ ist die Künstlerin Michelè Victor Adamski. Sie wohnt seit einem Jahr in einem schwimmenden Einfamilienhaus. Das weitgehend nach ihren Wünschen konzipierte und eingerichtete Wohnboot mit rund 44 Quadratmetern Wohnfläche bietet annähernd alle Annehmlichkeiten eines Hauses auf dem Land, von einem Keller einmal abgesehen. Die naturgegeben beschränkte Wohnfläche zieht eine gewisse Ordnungsdisziplin nach sich. Wer will an Bord schon im Chaos versinken? Der Lohn sei aber ein nie gekanntes positives Lebensgefühl, sagt die Eigentümerin.

Michelè Victor Adamski nutzt ihr schwimmendes Chalet am Stößensee nicht nur in ihrer Freizeit, sondern auch beruflich. Sie gibt Trainingskurse zur mentalen Entschleunigung. Ihre ganz persönliche Arche Noah ist dafür bestens geeignet. Am liebsten würde die Berlinerin das Haus ganzjährig bewohnen. Mit dem bordeigenen Motor gilt das Haus als Motorboot, nicht als Immobilie. Fehlt nur noch der Sportbootführerschein. Der habe aber bereits Fahrt aufgenommen, sagt Adamski. Dann darf sie es auch alleine auf Kurs halten.

Ab 88 000 Euro ist ein schwimmendes Haus zu haben

Die Firma „Floating Houses“ oder der Berliner Hersteller Nautilus bieten in Berlin eine ganze Flotte solcher oder größerer Häuser an. Die größeren Modelle – mit festen landgestützten Entsorgungs- und Versorgungsleitungen an Stegen oder Dalben – haben dann allerdings keine eigenen Antriebe. Diese Objekte sind als „Still-Lieger“ aber noch keine Immobilien. Wären sie es, würde vierteljährlich die Grundsteuer fällig.

Ab 88 000 Euro ist ein solches schwimmendes Haus zu haben. Seit einigen Tagen schwimmt auch ein großer Kaffeeröster im Markt mit. Die Preise können durchaus bis zu einer halben Million Euro gehen, wenn die gewünschte Wohnfläche auch für größere Familien ausreichen und die Zubehörliste – wie beim Autokauf – weitgehend abgehakt werden soll. Fußbodenheizung, umweltschonende Wärmepumpen, Echtholzparkett, Klimaanlage, zentrales Musiksystem, Mikrowelle, Wasch- und Spülmaschine und mehr – fast alles ist zu haben, auch beim Hersteller Rev-House. Selbst Jacuzzi und Sauna wurden schon verbaut. Mit zehn bereits in Berlin ausgelieferten Motor-Hausbooten dieser Art trifft Rev-House den exquisiten Geschmack seiner Freizeitkapitäne. Ganzjährige Wohnhausqualität hat allerdings auch seinen Preis. So verspricht Lars Voigt seinen Kunden „Revolutionäre Lebensräume auf dem Wasser“.

Wer jetzt meint, er könne sich einfach ein solch schwimmendes (Boots-)Haus statt einer Eigentumswohnung oder eines Reihenhauses in der Stadt kaufen, sei gewarnt. Der Realisierung des Traums geht eine komplizierte Standortwahl, teils langwierige Genehmigungsverfahren durch Behörden und ausführliche Gespräche mit Entscheidern bei den Häfen und Marinas voraus. Die Produzenten bieten hier zwar Hilfen an, verweisen jedoch auch auf den nötigen langen Atem der Käufer. Vor allem dann, wenn es darum geht, dauerhaft auf dem Wasser zu wohnen. Daran sind die Berliner Behörden derzeit nämlich – anders als zum Beispiel in Holland – wenig interessiert, so Kenner der Szene.

Auf Berliner Gewässern finden sich neben Neubauten auch viele Oldtimer

So sieht dies auch Kolja Stegemann von „Suite030“, der sich auf das Vermieten von außergewöhnlichen Objekten in Berlin spezialisiert hat. Neben Baumhäusern in Zehlendorf hat Stegemann auch zwei schwimmende und motorisierte Lofts an der Rummelsburger Bucht im Angebot. Bertjan Diphoorn, Eigentümer und Erbauer dieser Flodd = Floating Dutch Design benannten „Motorboote“, hat ein weiteres im Bau und schon verkauft. „Zeitgenössische Nomadenarchitektur“, sagt Diphoorn dazu.

Sachwerte sind aktuell stark nachgefragt. In einer Zeit mit quasi Nullzinsen am Kapitalmarkt sind Objekte zum Vermieten begehrt. Und nicht wenige Berliner chartern gerne solche schwimmenden Häuser, um schöne Sommerwochenenden in der Natur zu verbringen. Der Faszination dieser fahrbaren Wasserhäuser kann sich niemand entziehen. Ulf Baither und Ulf Sybel von „Floating Houses“ bringen es auf den Punkt. Es gehe nicht um das Wohnen in der ersten Reihe, sondern um das Wohnen „vor der ersten Reihe“.

Auf Berliner Gewässern finden sich neben den Neubauten eine ganze Reihe älterer Hausboote – zumeist umgebaute Fahrgastschiffe oder Eigenbauten. Oft liegen sie versteckt in verschwiegenen Buchten. Briefkästen und Namensschilder an den Stegen sprechen dafür, dass sie ganzjährig bewohnt werden. Die Hausboote und Schiffe am Treptower Hafen zum Beispiel sind mit den teils ultraschicken Floating Homes nicht vergleichbar. Hier fehlt etwas Farbe, dort wirkt manches improvisiert. Selbst ein kleiner Hausgarten mit Geranien und wildem Wein fehlt oft nicht an Bord. Es ist schwer, sich diesem ganz besonderen Charme des „Old-Style“ vergangener Jahre zu entziehen. Dass aber auch dort die Zeit nicht stehen blieb, bezeugen Photovoltaik-Module auf dem Oberdeck oder kleine Windkraftanlagen zur Eigenstromerzeugung.

Wasserflächen bieten in Berlin an vielen Stellen die Möglichkeit, auch dauerhaft auf dem Wasser heimisch zu werden. Gleichwohl steht einem kontinuierlichen maritimen Wohnflächenwachstum entgegen, dass die Meldebehörden bisher Erstwohnsitze auf dem Wasser nicht genehmigen. Noch nicht! Zunächst gilt es also, mobil zu bleiben, mit dem Motor zu cruisen, um die Freiheit auf dem Wasser wie Tom Sawyer und Huckleberry Fynn zu genießen. Auch wenn der Mississippi weit entfernt ist.

Peter Sissovics

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false