zum Hauptinhalt

Immobilien: Kreuzbergs Wege an die Spree

Universal, MTV, Boss – die Friedrichshainer Seite macht Karriere. Aber auch gegenüber will man die Stadt umbauen: Ein Spaziergang mit Planer und Architektin

Wer in der Köpenicker Straße in Kreuzberg die dicht geklebten Plakatwände entlang der verrosteten Zäune und bröckelnden Backsteinmauern betrachtet, könnte meinen, sie führten mit ihren fettgedruckten Werbebotschaften einen kontroversen Dialog über das sie umgebende Areal: Das eine Plakat wirbt für einen Reiseveranstalter und will einfach nur weg von hier. Nebenan beschwichtigt eine Telefongesellschaft den Leser und fordert ihn mit den Worten „feel at home“ auf, es sich hier wie zu Hause bequem zu machen. Versöhnlich schließt ein Plakat eines Wohlfahrtsträgers das „Gespräch“ ab. Es zeigt Abbildungen von fröhlichen Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, der Slogan verspricht dem Betrachter „Leben, Vielfalt, Geborgenheit“.

Die letzte Botschaft könnte das künftige Lebensgefühl der rund 8700 Bewohner zwischen der Schillingbrücke im Westen und der Lohmühleninsel im Osten vorwegnehmen. Die widersprüchlichen Stimmungen der Plakate verdeutlichen allerdings die derzeitige Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit des rund 100 Hektar großen und circa zwei Kilometer langen Areals am Kreuzberger Spreeufer. Im Sommer stellte das Berliner Planungs- und Architekturbüro Herwarth und Holz die „Machbarkeitsstudie zum Stadtumbau Kreuzberger Spreeufer“ vor. Die Planer haben als Gebietsbeauftragte für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Acht-Punkte-Programm erarbeitet. Während eines Spaziergangs durch das Gebiet zeigen sie die Potenziale des Areals und ihre Planungsansätze, die sie mit rund 10 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren umsetzen wollen.

1 Der erste „Aussichtspunkt“ unseres Spaziergangs bringt schon das derzeitige Dilemma des Gebiets hervor: Das Spreeufer liegt versteckt hinter der ehemaligen Heeresbäckerei und meterhoch gestapelten Containern eines Umzugsunternehmens. An vielen Stellen entlang des südlichen Spreeufers zeigen sich noch immer die Spuren der Teilung der Stadt. Sie machte aus dem früher belebten Stadtteil um die einst prächtigen Magistralen der Köpenicker Straße und Schlesische Straße eine innerstädtische Randlage, die dreiseitig von Grenzanlagen eingefasst war. Flächenintensive Gewerbeansiedlungen lösten Läden, Gastronomie- und Kultureinrichtungen ab und trennen noch heute das Spreeufer vom Quartier ab. „Wir wollen diese Struktur umkehren und Kreuzberg bzw. die Stadt an die Spree bringen“, sagt Brigitte Holz.

Durch die Verlagerung der größeren Betriebe auf andere Standorte im Bezirk soll sich das Kreuzberger Spreeufer mit kleinteiligem Gewerbe und Wohnen beleben und sich als urbanes „Entree der Innenstadt“ zum Wasser hin zeigen.

2 Als wir am Ufer stehen, zeigt Carl Herwarth v. Bittenfeld mitten auf die Spree. Das verwaiste Brückenlager der ehemaligen Brommybrücke ragt meterhoch aus dem Wasser. „Eine neue Brücke wird hier wieder eine Verbindung zum Friedrichshainer Ufer schaffen“, verspricht der Stadtplaner.

Während der Abstand der einzelnen Brücken im historischen Innenstadtbereich zwischen 250 und 600 Metern liegt, beträgt dieser zwischen Schillingbrücke und Oberbaumbrücke mehr als 1,3 Kilometer. Nur sie verbindet bisher die beiden Teile des fusionierten Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg miteinander.

3 Wir schlängeln uns immer wieder von der Straße zwischen aufgestapelten Paletten und parkenden Lieferwagen hindurch zu begehbaren Uferpassagen. Eine schmucklose Halle beherbergt bereits ein Clubrestaurant, dumpfe Hip-Hop-Musik dröhnt heraus. Dahinter überspannt ein weißes Sonnensegel ein Holzdeck und verspricht schon heute lauschige Abende am Wasser. „Bald wird man hier entlanggehen können“, erzählt Holz und unterstreicht den Verlauf des künftigen „Wasserweges“ mit einer großzügigen Seitwärtsbewegung. Die Verhandlungen mit den Eigentümern laufen. Ein geschlossenes Wegenetz aus Uferpromenaden, Steganlagen sowie Straßen und Wegen soll den geschlossenen Spreegürtel „perforieren“ und die Spreelage sowohl von der Wasserseite als auch aus dem Stadtteil heraus erlebbar machen. Kompakte Parks sollen über die häufig sehr tiefen Grundstücke hinweg den Spreebezug für Wohnungen wie Arbeitsstätten sichern und insbesondere junge Familien anziehen.

4 Als Vorbild für solche Stadt-Oasen könnte der „Spreehof“ – entstanden durch eine private Eigentümer- bzw. Selbsthilfegemeinschaft – dienen: Hinter dem Vorderhaus weitet sich der Hof, gefasst von einer weinbewachsenen Remise mit Kleingewerbe, um einem grünen Platz auf. Kinder spielen mit ihren Kaninchen, der Ort erinnert beinahe an einen Dorfanger … und tatsächlich hören wir auch einen Hahn krähen. Die Spree klatscht rhythmisch gegen die Uferkante, ein Fahrgastschiff schippert vorbei, gegenüber zeigen sich die bunten Graffiti der East-Side-Gallery. Zurück auf der Straße holen uns – umrahmt vom Wechselspiel aus verwitterten und sanierten Fassaden – ein Fahrradladen und ein Weingeschäft zurück ins Stadtleben. „Die Öffnung des Spreeufers soll bis in das Quartier ausstrahlen“, sagt Architektin Holz. Neue Baumreihen bis zum Lausitzer Platz sollen das Gründefizit des Kiezes mindern. Die Aufwertung der Wrangelstraße als Geschäftsstraße und der angrenzenden Straßen erfolgt in enger Abstimmung mit den Projekten des Quartiersmanagements Wrangelkiez und des Stadtteilmanagementverfahrens Mariannenplatz. Die Markthalle zwischen Pückler- und Eisenbahnstraße soll als Nahversorgungsschwerpunkt für das gesamte südöstliche Kreuzberg dienen. Herwarth prognostiziert bis zu 6000 neue Arbeitsplätze im Quartier. „Dabei rechnen wir mit einem Bedarf, der sowohl im einfachen als auch im hochqualifizierten Dienstleistungsbereich liegen wird“, sagt der Planer.

5 Die Achse Köpenicker Straße–Schlesische Straße soll sich als Magistrale von einer trennenden Hauptverkehrsstraße zu einem Straßenraum mit Aufenthaltsqualität und hoher Nutzungsdichte wandeln – und dadurch weitere Investitionen im Einzelhandels- und Dienstleistungssektor bringen. Immer wieder erlauben Toreinfahrten Einblicke in Gewerbehöfe: mal begrünt und einladend, mal asphaltiert und unwirtlich. Durch einen Seitenarm eines Hofes gelangen wir wieder ans Wasser. Auf der verwitterten Treppe der ehemaligen Anlegestelle am Gröbenufer hat sich schon ein Grüppchen junger Leute zum Picknick niedergelassen. „Ab 2007 können hier wie in Venedig Wassertaxen verkehren“, freut sich Holz.

6 Neue Gastronomiebetriebe sollen das Gröbenufer wieder beleben, das eine Schnittstelle des öffentlichen Nahverkehrs zwischen Schiene und Wasser bilden wird. Daneben will man auch die Umgebung des U-Bahnhofs Schlesisches Tor aufwerten.

Jenseits der Oberbaumbrücke wandelt sich plötzlich das Bild: Belebte Straßencafés, Schaufenster, bestückt mit jungen Modelabels, und Designbüros prägen das Straßenbild. „Wir kennen es hier auch noch anders“, erzählt Holz, die mit ihrem Kollegen ihr Architekturbüro um die Ecke betreibt, „bis vor ein paar Jahren war die ‚Mittagsfrage’ hier ein echtes Problem.“

Im Zuge des Stadtumbauprozesses könnte sich im gesamten Gebiet solch eine kreative Kreuzberger Mischung etablieren. Gemeinsam mit lokalen Akteuren sollen Anreize und Angebote für innovative Startup-Firmen geschaffen und kleinteilige Angebote für Wohnen und Arbeiten entwickelt werden. In die Arbeit an der Machbarkeitsstudie wurden auch die lokalen Akteure einbezogen“, zählt Herwarth auf: „die Entwickler der Media Spree e.V., das Quartiersmanagement Wrangelkiez und der Stadtteilausschuss e.V. sowie die Eigentümer und Unternehmen im Gebiet legten gemeinsam den Grundstein.“ Ein Netzwerk vermittelt den Stadtumbau mit Informationsveranstaltungen der Öffentlichkeit.

7 Am Ufer der Lohmühleninsel endet unser Spaziergang. Auf dieser Landzunge in der Spree künden derzeit nur ein paar wilde Blumen am Straßenrand vom Potenzial dieses Ortes. „Zukünftig kann hier zum Beispiel autoarmes Wohnen entstehen mit einem großzügigen öffentlichem Zugang zum Wasser“, sagt Architektin Brigitte Holz. Noch graben sich die Reifenprofile eines Lastwagens in den sandigen Grund des Kieswerks. Zurück auf der Straße preist auf dem benachbarten Grundstück ein buntes Schild freie Loftflächen im markanten Gewerbeklinkerbau der ehemaligen Plattenfirma Lindström-Odeon an: „Werden Sie Schlossherr.“

Insa Lüdtke

Zur Startseite