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Immobilien: Las Vegas in der Schlossstraße

Immer mehr neue Einkaufscenter buhlen um die Gunst der klammen Berliner Konsumenten. Viele der neuen Häuser entstehen im Westen der Stadt und locken die Kunden durch ein volles Sortiment – und Show-Einlagen wie in den USA

Der Himmel über Berlin wird sich um 12 Uhr mittags verdunkeln. Dann wird der Mond aufgehen und die Schaufenster im Rathaus Steglitz in ein milchiges Licht tauchen. In der Passage beginnt die lange Nacht des Shopping – draußen steht die Sonne im Zenith. Derartige Sinnestäuschungen kennt man sonst nur in den Konsumtempeln von Las Vegas – nun sollen sie auch hier zu Lande konsummüde Berliner wieder in Kauflaune versetzen.

In der Schloßstraße, eine der drei wichtigsten Einkaufsmeilen der Stadt, wird trotz der schweren Krise im Einzelhandel mächtig investiert. Kräne drehen sich auch in der Berliner „Tütenmeile“: wie die Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg genannt wird. Millionen riskieren Investoren auch im Süden von Neukölln: Dort laufen die Arbeiten für den vierten Bauabschnitt der Gropius-Passagen.

Federführend bei diesem Bauboom sind Firmen, die auf die Entwicklung und das Management von Kaufcenter spezialisiert sind. Sind die Kauftempel erbaut und vermietet, werden die Häuser an Fonds oder große Kapitalsammelstellen verkauft. Diese greifen gerne zu, weil Einkaufscenter derzeit stattliche Rendite von sechs bis sieben Prozent einbringen – und mit weniger geben sich große und kleine Anleger nicht gerne zufrieden. Doch überdurchschnittliche Renditen gibt es nicht ohne ein höheres Risiko: Einzelhändler schließen schnell mal die Rolläden, wenn die Kauflust erlahmt. Bei den neuen Projekten soll das durch cleveres Management und gute Sortimente verhindert werden.

Eine leichte Übung wird das für die Manager der neuen Kaufmaschinen nicht. Denn der Einzelhandel steckt seit Jahren in der Krise. In Berlin ganz besonders. Das statistische Landesamt meldete zwar für den März höhere Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat (plus 2,1 Prozent), dennoch war die Bilanz im ersten Quartal negativ (- 0,4 Prozent). Dabei ließen die Berliner schon in den vergangenen zwei Jahren sieben Prozent weniger Geld in den Geschäften als im Jahr 2000. Weil Arbeitslosigkeit droht, wird mehr Geld auf die hohe Kante gelegt, und weil die Haushaltseinkommen schrumpfen, bleibt kaum etwas zum Einkaufen übrig.

Dass der Bauboom dennoch anhält, ist so zu erklären: „Es findet eine Kannibalisierung statt“, sagt Rüdiger Thräne, „die guten Center machen den schlechten das Geschäft streitig“. Was ein gutes Center ist, entscheidet derzeit vor allem die Lage. Der geschäftsführende Gesellschafter des auf Einzelhandel spezialisierten Maklers Kemper’s beobachtet vor allem eine rege Bautätigkeit in den Bezirkszentren. Und nachdem jahrelang im Osten der Stadt neue Kaufcenter wie Pilze aus dem Boden schossen, besinnen sich die Investoren nun auf den alten Westen.

Das beste Beispiel ist die Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg. War diese vor dem Fall der Mauer neben dem Kurfürstendamm und der Schloßstraße eine der wichtigsten Einkaufsmeile West-Berlins, zählte sie in den 1990er Jahren zu den Verlierern der Einheit. Seit einiger Zeit haben die Entwickler sie wieder entdeckt. Die Kaufhaus-Ketten C&A sowie P&C errichten Ecke Kantstraße gemeinsam Neubauten. Weiter oben in der Fußgängerzone plant der Kaufcenter-Spezialist „mfi“ eine Passage mit einer Fläche von 20000 Quadratmetern und will dort 150 Millionen Euro investieren.

Das hat die Investoren neugierig gemacht: Die Fonds-Gesellschaft der Sparkassen-Gruppe deka hat Interesse am Erwerb einer Immobilie in dieser Lage. Und auch die Hypovereinsbank-Tochter HFS schließt den Erwerb eines Kaufcenters in der Wilmersdorfer nicht aus.

„Geld gibt es immer genug“, sagt HFS-Mann Gerome Huth, „aber erst mal müssen die Projekte vermietet sein und sich bewähren.“ Huth hat für die HFS die Gropius-Passagen in Rudow entwickelt. Ausgerechnet im Süden von Neukölln steht die größte und umsatzstärkste Berliner Kaufmaschine: Läden auf 90000 Quadratmetern bietet sie, weitere 8000 Quadratmeter kommen nun neu dazu. Die Berliner kaufen dort jährlich für 400 Millionen Euro ein. Das Geheimnis des Erfolges: In das Center strömen die bürgerlichen Haushalte aus den südöstlichen Berliner Bezirken ein – aber auch Anlieger der Karl-Marx-Allee. Für die Einzelhändler dort hat dies einen Aderlass zur Folge: Viele mussten ihre Läden schließen. Die Geschäfte stehen nun leer oder haben Ramschläden Platz gemacht.

Zu den Opfern des neuen Baubooms im Einzelhandel zählen nach Angaben von Dietrich Flicke auch die kleinen Straßen in den Gebieten, wo man mit Quartiersmanagement urbanen Abstieg und soziale Ghettoisierung zu verhindern sucht. Nach Angaben des Abteilungsleiters Stadtplanung zählen die Boxhagener Straße in Friedrichshain dazu, die Wrangelstraße in Kreuzberg und die obere Müllerstraße in Wedding. Doch die Verwaisung kleiner Geschäfte und Ladenflächen, die auch in der Charlottenburger Kantstraße zu beobachten ist, muss nicht das Ende der Entwicklung sein. In Kreuzberg ist der Leerstand auch eine Chance: Künstler, Grafiker oder Modemacher mieten die Läden zu billigen Preisen und machen den Kiez wieder schick.

Diese Entwicklung war zuvor bereits am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte zu beobachten. Dort schlägt das Pendel aber schon wieder um. Wegen der hohen Mieten werden „Szene-Läden“ teilweise wieder durch zahlungskräftige Handelsketten verdrängt. Ein Vorzeichen der Wende: Der Sportkonzern Adidas hat ein Trend-Shop mit Turnschuhen im Retro-Look eröffnet. „Reines Marketing“, sagt ein Experte: Der Kultwert der Marke soll steigen – wer nicht Kult ist, kann sich wenigstens ein Stück davon kaufen.

Unter dem Strich ist man bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit dem Zentrenboom zufrieden: Dank der vielen neuen Häuser lassen die Berliner ihr Geld in der Stadt – und geben es nicht wie früher befürchtet im Umland aus. Bei der Industrie- und Handelskammer geht man sogar noch weiter: „Wenn man Berlin genau betrachtet,“ sagt der zuständige Referent Lothar Niemann, „gibt es noch reichlich Potenzial für zusätzliche Projekte.“ Zum Beispiel in Tegel-Mitte, wo nicht nur die Kaufkraft gut ist, sondern auch Grundstücke zur Verfügung stehen.

Das ist auch der Trend bei den neuen Projekten: Sie entstehen mitten in den Bezirken, und machen den Anwohner das Einkaufen leicht. Zum Beispiel das East-Gate-Center in Marzahn. Das Großprojekt mit 32000 Quadratmetern Verkaufsfläche wird von dem Centerspezialisten ECE gebaut. Die Firma der Versandhaus-Familie Otto hat die Potsdamer Platz-Arkaden errichtet und gilt als Erfinder der modernen Einkaufspassagen.

Das Konzept ist immer dasselbe: An den Eingängen der geschlossenen Passagen gibt es so genannte Magneten: Unterhaltungs- und Elektromultis oder Textil-Kaufhäuser. Der Rest der mindestens 25000 Quadratmeter großen Galerien werden mit Fach- und Einzelhandelsgeschäften „aufgefüllt“, wobei auch Lebensmittelhändler meistens nicht fehlen dürfen. Der Grundgedanke: Der Kunde bekommt hier alles und kauft neben dem, was er braucht, auch noch irgendeinen Tinnef im Vorbeigehen dazu – weil es so schön ist.

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