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Leben im Hotel: Unterwegs daheim

In gesättigten Märkten achten Hotelentwickler vor allem auf die Lage des Hauses, die Lage des Viertels – und auf die Lage der Gäste.

Nehmen wir das Mandarin Oriental in Hongkong. Hier stehen Gästen der „Captain’s Bar“ sogar noch auf den Toiletten livrierte Diener zur Seite. Service, lautet das Konzept. Es ist ein altes Konzept. Dem steht ein anderes gegenüber, das einen neuen Trend setzt. Wohnen im Hotel war gestern. Heute wird dort gelebt: Das Hotel wird als ein Ort der Sehnsüchte und Hoffnungen inszeniert. Inspiration soll hier vermittelt, Kreativität gefördert, Sinnlichkeit gelebt werden. Es geht um Materialien, Düfte, Aus- und Einblicke. Luxushotelketten verschaffen sich gerne Alleinstellungsmerkmale, indem sie Modedesigner von Weltruf für die Hotelgestaltung gewinnen.

Doch es geht auch eine Nummer kleiner. Und eine Nummer größer zugleich: In Chinas Hauptstadt etwa sind Business- und Boutique-Hotels entstanden, die Prototypen einer neuen Hotelgattung sein können. Ein Hotel als Rückzugsort, aber verwoben mit den räumlichen, kulturellen, zeitlichen Bezügen im Umfeld. Mittendrin. Wie das Opposite House, das erste Haus einer Reihe von Hotelprojekten der neu gegründeten Swire Hotels Gruppe. Das 2008 eröffnete Hotel liegt dem Botschaftsviertel von Peking gegenüber. Ex-Außenminister Joschka Fischer logierte hier im Frühjahr. Das Hotel ist angetreten, „die Norm“ zu brechen (www.theoppositehouse.com). In der Hotel-Lobby gibt es keine Rezeption, die „Zimmer“ sind größer als manche Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin, Wohn- und Sanitärbereich sind nur durch Glas voneinander getrennt. Alles geht ohne Brüche ineinander über – Architektur und Innendesign: Kengo Kuma (Japan). „Ein kleines luxuriöses und modernes Hotel muss die Balance zwischen privaten und öffentlichen Bereichen wahren“, sagt Kuma. „Es muss Zimmer haben, die den gleichen Komfort wie zu Hause bieten, und in die man sich gerne zurückzieht. Gleichzeitig muss ein Hotel Energie und Lebendigkeit ausstrahlen. Sie kommen von den Menschen, die in dem Hotel arbeiten oder unterwegs sind. Um diese schwierige Balance zu halten, haben wir die Grenzen der einzelnen Bereiche fließend gestaltet.“ Und vor dem Hotel geht es so weiter: Hier entsteht ein künstlicher Kiez aus Flagship-Stores der großen Marken. Das „Village South“ entwickelt sich als ein kosmopolitischer Ort, ein Kristallisationspunkt der Globalisierung – ein riesiges KaDeWe ohne Mauern und Etagen. Eine zu ebener Erde in die Breite und Weite gebaute Shopping Mall. Die westliche Welt zeigt vor der Hoteltür, was sie zu bieten hat. Adidas, Starbucks, Nike und Esprit sind schon da, Edelmarken wie Rolex kommen noch. Es wird Piazzen geben, mit Modenschauen auf der Straße (www.sanlitunvillage.com).

Drinnen im Hotel wird es dunkler, wenn es draußen dunkel wird. Die Eingangshalle mutet an wie ein Ausstellungsraum mit Artefakten, die im chinesischen-westlichen Crossover entstanden sind. Auch im Upper House in Hongkong, einem weiteren Hotel der Swire- Gruppe, ist da so: Für das in einem Hochhaus ab dem 33. Stockwerk aufwärts beheimatete Hotel wurde ein Kunstkonzept entwickelt, das sich von Stockwerk zu Stockwerk fortsetzt. Interessant an diesem Hotel ist vor allem ein für alle Gäste offener „Living Room“, wie es ihn sonst nur in VIP-Etagen gibt. Hier können Gäste vor einem Kamin sitzen und atemberaubende Ausblicke genießen. Sie können sich aber auch schlicht an einen Schreibtisch setzen und im Netz surfen.

Mit einem solchen Gemeinschaftsraum – genau besehen einem Wohnzimmer – versucht auch das Hotel Morgans zu punkten (www.morganshotel.com). Es liegt auf der anderen Seite der Welt, in New York. Auch der Living Room im Morgans ist ein lebendiger Mix aus Gemütlichkeit und Funktionalität mit Fernseher, Computer zum Spielen und Arbeiten, einer umfangreichen Bibliothek und einer modernen Business-Ecke mit WLAN und allem Bürokomfort, den man braucht. Ganz so, als säße die ganze Familie in einem Raum, wobei jeder das tut, wonach ihm gerade ist. Interaktion und Individualität, Hotel und Heim zugleich.

Auch das Morgans bricht bereits im Eingangsbereich mit dem Ambiente eines Hotels. Keine Lobby, sondern eine Lounge, so lautet wie im Opposite House in Peking auch hier das Konzept. Während in Peking ein riesiger Vorhang das Erdgeschoss nach oben öffnet und gleichzeitig optisch begrenzt, ist im Morgans die Installation des französischen Künstlerkollektivs Trafik zu bewundern: ein auf einer willkürlichen Programmierung basierendes Lichtspiel wirft tagsüber bunte Muster an die Decke, während abends Experimentierwillige ihre eigenen Kreationen in Echtzeit ausprobieren dürfen. Interaktive Kunst statt Lobby-Langeweile.

Mit anderen Worten: Nicht nur unsere Lebens- und Arbeitswelt entwickelt sich immer mehr zu einer Kreuzung aus Kunst und Kommerz, Online und Offline, Freizeit und Arbeitszeit, Privatheit und Öffentlichkeit, sondern auch die Welt der Gastlichkeit. Die Hotelindustrie greift diesen Trend auf und entwickelt ihn weiter – immer dort wo Märkte scheinbar gesättigt sind.

Vor allem in den USA entstehen Luxus-Wohn-Hotel-Hybride. Hier bieten Investoren eine Hotelsuite als Eigentum mit allem Komfort und Service an. Eigentümer können ihre Suite natürlich bei Bedarf selbst nutzen, aber vor allem dem Hotelmanagement zur Vermietung übergeben und kräftig daran verdienen.

„Projektentwickler mögen das Konzept, weil sie das finanzielle Risiko mit den künftigen Suite-Eigentümern teilen können. Investoren mögen es, weil sie eine Luxussuite in einem Weltklasse-Ressorthotel ihr Eigen nennen können“, erklärt Kevin Tomlinson, Makler aus Miami Beach. Damit sind die sogenannten Condo-Hotels gleichzeitig der neueste Schrei in der Hotellerie und auf dem Ferienimmobilienmarkt. Ein Doppel-Hybrid.

Eine Frage der Zeit, bis die Bewegung auch den deutschen Hotelmarkt erreicht. Er gilt – trotz Einbrüchen in den Hoteltransaktionsvolumen im Jahr 2009 – weiterhin als besonders attraktiver Standort für Hotelneuentwicklungen. Investoren, Projektentwickler und Betreibergesellschaften sind daher stets auf der Suche nach attraktiven Destinationen für neue erfolgversprechende Projektentwicklungen. Berlin steht als prestigeträchtiger Standort im Fokus des Interesses der Investoren.

Die Hotelpreise in der deutschen Hauptstadt sind gegen den europäischen Trend auf einen Höchststand geklettert. Im Juni kostete eine Übernachtung im Standard Doppelzimmer in Berlin gemäß dem Hotelpreis Index des Onlineportals trivago.de 119 Euro – 16 Prozent mehr als im Mai und so viel wie noch nie seit dem Start des Index im Mai 2008.

Hotel-Hybride sind auch in Berlin auf dem Vormarsch. Die Bayerische Bau und Immobilien Gruppe entwickelt und vermarktet den einstigen Zoobogen am Hardenbergplatz als „Bikini Berlin“ und integriert hier nicht nur das Kino Zoo-Palast und das Bürohochhaus mit Gastronomie, Shopping und Wellness im Bikinihaus entlang der Budapester Straße, sondern vor allem ein Hotel. Es wird somit integraler Bestandteil seiner Umgebung, während die Umgebung seine Identität mitbestimmt. Ein Ort, an dem Urbanität auf Stadtgrün trifft, wo persönlicher und kreativer Austausch möglich wird, Berliner auf Besucher treffen und ein Quartier im Quartier sein Flair ausstrahlt. So jedenfalls die Hoffnung der Investoren.

Dagegen wird das nhow am Spreeufer, das Ende 2010 eröffnet, in seinem Inneren fast zur Einzelausstellung von Künstler und Designer Karim Rashid. Hier darf er sich austoben und dabei neue Form-, Farb- und Funktionswelten für die Hotelgäste kreieren, die – so gibt es der Standort zwischen Universal und MTV vor – überwiegend aus der Musik- und Modeszene stammen werden. Auch wer nicht im nhow absteigt, wird sich dieses zum Kunstobjekt mutierte Hotel ansehen. Ein neues Highlight für die Fashionistas und Designfans unter den Berlin-Touristen, eine Neudefinition der Idee „Designhotel“. Leben, Arbeiten, Reisen – die Grenzen verschwimmen.

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