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Dunkle Wolken über den Türmen der Leipziger Liebfrauenkirche. Ob „Hypezig“ seinem Ruf wirklich gerecht wird, wollen drei Neuleipziger in ihrem Projekt „einundleipzig“ hinterfragen.

© Hendrik Schmidt/dpa

Leipzig: Das bessere Berlin?

Schöne Stadt, günstige Mieten, gute Partys: Leipzig ist in. Drei Studenten gehen dem Hype auf den Grund – und suchen Helfer.

Leipzig eilt mittlerweile ein guter Ruf voraus: Die Stadt sei schön, die Mieten günstig, die Partys angesagt. Doch ist das alles? Diese Frage haben sich die drei Studenten Carolyn Wißing (27), Christina Schmitt (25) und Wolfgang Amann (25) gestellt. Um sie zu beantworten, starteten die Neuleipziger ein wissenschaftsjournalistisches Projekt rund um die Internetplattform einundleipzig.de.

Sie stellen nüchtern fest: „Leipzig ist mehr als illegale Partys und schöne Altbauviertel. Leipzig ist auch, wenn Wohnraum luxussaniert wird und die Bewohner ausziehen müssen.“ Auf ihrer Plattform wollen sie die Sachsenmetropole und ihre Bewohner vorstellen, das Thema diskutieren und mit Zahlen die gefühlte Entwicklung belegen. Kurz gesagt geht es darum, ob Leipzig wirklich „Hypezig“, gar das bessere Berlin ist. Zahlreiche Medien hatten das in den vergangenen Monaten behauptet.

Immerhin: Die Mieten steigen mittlerweile auch in Leipzig, und eine positive Prognose sieht für die Stadt in 20 Jahren einen Einwohnerzuwachs um bis zu 25 Prozent. Auch die drei Initiatoren von „einundleipzig“, die sich an der Uni kennengelernt haben, folgten dem guten Ruf der Stadt – ein Ruf, der auch negative Folgen haben kann.

15 Mitbewohner müssen ihre Bleiben räumen

Zum Beispiel für Steffen Balmer. Der 50-Jährige wohnt in Leipzig-Schleußig. Der Stadtteil entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer der gefragtesten Wohnlagen. Investoren legen ihr Geld gern in Immobilien im Quartier an. „Das ehemalige Fabrikgebäude, in dem ich wohne, soll nun modernisiert werden“, erzählt Steffen Balmer. Er und 15 Mitbewohner müssen ihre Bleiben räumen, es sollen moderne Lofts entstehen. Die Kündigungen liegen schon auf dem Tisch. Dabei waren es Leute wie Balmer, die dabei geholfen haben, aus der Stadt das zu machen, was sie jetzt ist. Der Programmierer organisiert seit Jahren das sogenannte Westpaket, ein Straßenfest, mit dessen Hilfe das Wohngebiet attraktiver wurde.

„Mittlerweile müssen wir uns unser Eigenverschulden eingestehen“, räumt er heute ein. Engagierte und Künstler hätten sich bereits vor zehn Jahren daransetzen müssen, jene Freiräume, die sie erschlossen haben, auch für sich zu sichern. „Der Trend war absehbar. Wir hätten etwa Genossenschaften gründen sollen, um selbst zu investieren“, sagt Balmer. Nun sei es zu spät. Seine Geschichte ist eine von denen, die die Studenten ausführlich erzählen wollen.

Um Freiräume geht es auch Sebastian Lentz. Er ist Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde (ifl), erforscht Lebensräume wie Leipzig und betreut die drei Studenten von wissenschaftlicher Seite. Die Frage, ob an „Hypezig“ mehr dran ist als eine Medienmeldung, findet er spannend. „Was an Leipzig nach wie vor toll ist, sind seine Möglichkeitsräume.“ Genau davon wurde die Kultur- und Kreativszene in den vergangenen Jahren angezogen. Lentz bezeichnet das gern als den „Luxus der Leere“. Die Nachfrage nach Immobilien war in Leipzig viele Jahre lang nicht so groß wie in anderen Metropolen Deutschlands. Das gab Freiraum zum Probieren und Neugestalten. Gefahren der Entwicklung, etwa steigende Mieten, nennt der Wissenschaftler jedoch „relativ“.

Die Plattform einundleipzig.de ist bereits online

Man müsse dabei sehen, von welchem Niveau die Entwicklung ausgegangen sei. Und: „Es mangelt bei dieser Diskussion an historischem Bewusstsein.“ Leipzig zählte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den wirtschaftlich bedeutendsten deutschen Städten. Diese Substanz werde derzeit teilweise wieder „in Wert gesetzt“.

Die Plattform einundleipzig.de ist bereits online, allerdings erst einmal als Entwicklungsblog. Dort stellen die Studenten ihr Projekt vor und rufen zum Mitmachen auf. Entstehen sollen jedoch nicht nur Porträts und Geschichten von Leipzigern, sondern auch eine journalistische Aufarbeitung von Daten wie etwa Mietpreisen. Geplant ist beispielsweise eine interaktive Karte, in der jeder seine Miethöhe eintragen kann. „So soll ein Mietspiegel entstehen, der die Wirklichkeit abbildet“, sagt Christina Schmitt. Sie und ihre Kommilitonin Carolyn Wißing kümmern sich um den journalistischen Inhalt, Wolfgang Amann um die technischen Fragen der Programmierung der Seite.

Finanziell wird das Projekt von der Robert-Bosch-Stiftung sowie dem Stipendienprogramm Vocer unterstützt. Doch ist Leipzig nun das bessere Berlin? „Ein Ergebnis haben wir noch nicht“, sagt Wißing. Sie stünden noch am Anfang. Es bleibt spannend. (dpa)

Mehr im Internet: www.einundleipzig.de, www.ifl-leipzig.de

Björn Menzel

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