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Immobilien: Marktplatz für Baumeister

Eine Ausstellung am Potsdamer Platz zeigt anspruchsvolle Architektur des Jahrgangs 2002

Von Insa Lüdtke

Aus aller Welt pilgern Architekturinteressierte Tag und Nacht zum Potsdamer Platz, zu den Fassaden Pianos, Kollhoffs und Jahns. Doch derzeit lohnt sich auch ein Blick in eine andere Richtung. Noch bis zum 8. August lockt die Berliner Architektenkammer mit der Ausstellung: „Da! Architektur in Berlin 2002“. Rund um die Uhr können die Besucher in der Passarelle im Regionalbahnhof 83 Neubauten in Berlin bestaunen – auf liebevoll inszenierten Ausstellungstafeln.

„Wir wollen das gesamte Spektrum Berliner Architektur wie auf einem Marktplatz nebeneinader zeigen“, sagt Andreas Rochholl, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Architektenkammer Berlin zuständig ist. „Und ein Bewusstsein für gute Architektur im Alltag schaffen.“ Man wolle die Leistungsfähigkeit des Berufsstandes präsentieren und Bauherrn ermuntern, sich bei der Planung Rat vom Architekten zu holen. Architektur sei schließlich kein Selbstzweck, ihre Qualität zeige sich im Gebrauch. Erst da entscheide sich, ob der Planer die jeweiligen Bedürfnisse des Bauherrn als Grundlage für seinen Entwurf ernst genommen hat.

Nicht den spektakulären Wurf, aber anspruchsvolle Architektur, beispielsweise Wohnhäuser, ein Altenheim oder einen Dessousladen hat die Jury der Architektenkammer für die Ausstellung ausgewählt:

Großzügig und preiswert

Oft übersteigt die individuelle Ausführung nicht einmal den Preis einer Standardlösung. Statt teurem Naturstein verwendete der Architekt Thomas Hillig für einen Neubau von vier Mietwohnungen in Zehlendorf beispielsweise den günstigeren Betonwerkstein. Er wählte die Holzfenster zum Preis von Kunststofffenstern. Die Brutto-Baukosten von 1020 Euro pro Quadratmeter sind sehr günstig für die Ausstattung der 4-Zimmer-Wohnungen. Der 43-Jährige hat den Kopfbau in einer 50er-Jahre-Siedlung mit 124 Quadratmertern Wohnfläche bewusst großzügig konzipiert. „Ich wollte die 1- und 2-Zimmerwohnungen des Bestands um zeitgemäßen und familiengerechten Wohnraum erweitern“, sagt Hillig.

So gibt es neben dem großen Wohnbereich mit Kamin auch drei gleich große Zimmer. Nicht selbstverständlich für einen Neubau habe man auch einen ausreichenden Schallschutz bedacht, berichtet Jörg Geißler. Er wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern im zweiten Obergeschoss. Die Familie schätzt die Detailgenauigkeit des Architekten. Der Abstand der Holzlamellen zur Verschattung des Balkons lässt in geschlossenem Zustand noch genug Licht in den Wohnraum und Platz zum Hindurchgucken. So können sie selbst bei schlechtem Wetter den Balkon benutzen. Jedoch dominierte beim Entwurf des Badezimmers wohl doch der architektonische Gestaltungswille über die Zweckmäßigkeit. Ein raumhohes Fenster mit durchsichtigem Glas gab zunächst von außen den Blick frei auf den Toilettensitz. Die Mieter haben mit einer selbstklebenden und mattierten Folie für Abhilfe gesorgt.

Plattenumbau

Für einen alten Menschen gewinnt eine gut durchdachte Gestaltung des Wohnraumes noch an Bedeutung, und Fehlplanungen offenbaren sich schneller. Hildegard Heyden verbringt die meiste Zeit in ihrem Zimmer im Seniorenpflegeheim der Seniorenstiftung Prenzlauer Berg. Nach dem Umbau des Plattenbaus „SK Berlin“ von 1976 durch Feddersen Architekten haben sich die Zimmer um die ehemalige Loggiatiefe von 1 Meter 50 vergrößert. Die Planer haben trotz des fehlenden Austritts raumhohe Fenster einbauen lassen. „So kann ich auch aus dem Bett nach draußen sehen“, freut sich die 92-Jährige. Den Balkon hätte sie sowieso selten genutzt. Jetzt vermisst die Heimbeiratsvorsitzende allerdings eine Jalousie vor ihrem großen Fenster. Denn eine Straßenlaterne wirft nachts Licht ins Zimmer.

Neben der neuen Fassade aus 235 farbigen Betonfertigteilen lag der Schwerpunkt der Umgestaltung besonders im Innern des Plattenbaus. Die ehemals schmalen Flure weiten sich auf den Pflegeetagen zu zentralen Wohnküchen aus. Den Speisesaal im Erdgeschoss können die Bewohner jetzt mehrfach mit Schiebewänden unterteilen und für Feierlichkeiten oder Ergotherapie nutzen.

Klar formulierte Bedürfnisse

Wer im „Blush“ den blickdichten Vorhang zuzieht, kann im Nu sein Erröten verbergen. Der Dessousladen in Mitte will mit einer intimen Schlafzimmeratmosphäre die Kundin zum Kaufen verführen. Die Bauherrin ist Modedesignerin und ließ sich auf die ungewöhnlichen Ideen des Architekten ein. „Architektur ist nur so gut wie das Vertrauensverhältnis zwischen Bauherr und Architekt,“ sagt Carsten Wiewiorra. Der 34-jährige Architekt wünschst sich klar formulierte Bedürfnisse des Bauherrn. Claudia Kleinert verhehlt jedoch auch ihre Verkaufsinteressen nicht. Schließlich verspreche sie sich von der außergewöhnlichen Gestaltung des Verkaufsraumes einen steigenden Absatz ihrer Wäsche. Einen verstohlenen Blick kann man schon am Potsdamer Platz riskieren.

Katalog: „Architektur in Berlin 2002“, Junius Verlag, 19,90 Euro, www.ak-berlin.de

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