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In Berlin wurde die Karlsruher Entscheidung am Donnerstag in einer Demonstration mit neuen Forderungen nach der Enteignung großer Wohnungskonzerne quittiert.

© REUTERS/Christian Mang

Mietendeckelurteil: „Alle Akteure an einen Tisch“

Immobilienwirtschaft deutet Karlsruher Entscheidung als Signal für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums

Berlin steht mit der gesamten Republik vor einer Verschärfung der Polarisierung der Immobilien- und Baupolitik im Land. Wie berichtet, hatte das oberste deutsche Gericht die spezielle Mietpreisregulierung in der Hauptstadt (MietenWoG Bln) am Donnerstag für nichtig erklärt. Das Thema bleibt aber auf der politischen Agenda. Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, sagte am Freitag anlässlich der ersten Lesung über das Mietspiegelreformgesetz im Deutschen Bundestag: „Deutschland braucht zuverlässige Mietspiegel, die zu mehr Rechtssicherheit zwischen Vermietern und Mietern beitragen. Statt immer mehr Gegeneinander ist beim Wohnen mehr Miteinander und ein langfristig ausgewogenes Vermieter-Mieter-Verhältnis grundlegend wichtig. Um das zu sichern, sind auch klare und verlässliche Grundsätze zur Erstellung der Mietspiegel notwendig." Sein Verband begrüße, dass mit der Mietspiegelreform die Datenbasis verbreitert und der qualifizierte Mietspiegel gestärkt werden solle.

„Die Debatte fängt jetzt erst richtig an“, sagt auf Anfrage Jan Kehrberg, Rechtsanwalt bei GSK Stockmann in Berlin und Honorarprofessor im Fach „Privatrecht in der Standort- und Projektentwicklung“ an der TU Berlin. Die Debatte werde getrieben durch die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum und hohe Mieten. „Für beides trägt Rot-Rot-Grün einige Verantwortung“, sagt Kehrberg: „Was jetzt kommt, wird interessant und wir haben mal ein richtig spannendes Wahljahr, in dem die Wähler:innen endlich mal wieder vor einer richtigen Wahlentscheidung stehen.“

Heimstaden will keine Nachforderungen in Rechnung stellen

Große Wohnungsunternehmen kündigten unterdessen an, mit Blick auf Nachzahlungen Milde walten zu lassen. So wird Heimstaden keine Mietnachforderungen an seine Mieterinnen und Mieter stellen, kündigte das Unternehmen an. „Wir können allen unseren Mieterinnen und Mietern versichern, dass sie keine Aufforderungen auf Rückzahlung der Miete erhalten werden“, sagte Patrik Hall, Geschäftsführer von Heimstaden einer Mitteilung zufolge.

Die Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka forderte die Wohnungsbaugesellschaften und andere Vermieter auf, nach Möglichkeit auf die Rückforderung von Mieten zu verzichten. Für Betroffene müssten Härtefalllösungen gefunden werden, so Kostka. „Wir arbeiten gerne an Lösungen mit. Es darf nicht sein, dass durch die Rückforderung von Mieten Menschen ihre Wohnung verlieren“, warnte die Chefin des katholischen Wohlfahrtsverbandes im Erzbistum Berlin. Ähnlich ließ sich Mathias Hellriegel, Fachanwalt und Vorstand der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) vernehmen: „Es ist jetzt Zeit, die Feindbilder zu begraben und die Wohnraumversorgung – als die soziale Frage unserer Zeit – gemeinsam anzugehen. Der Berliner Senat muss jetzt dem Beispiel von Hamburg folgen und zu einem Bündnis für Wohnen einladen. Ohne die Privatwirtschaft kann und wird es nicht gelingen, die breiten Schichten der Bevölkerung mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Dafür müssen alle Akteure an einen Tisch!“

Verfassungsgericht erklärt festgelegte Obergrenzen für nichtig

Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag verkündet, dass der in Berlin vor mehr als einem Jahr in Kraft getretene Mietendeckel mit staatlich festgelegten Obergrenzen nichtig ist. Für das Mietrecht sei der Bund zuständig, daneben dürfe es kein Landesgesetz geben. Auf viele Menschen in Wohnungen mit gedeckelter Miete in Berlin kommen nun Nachzahlungen zu. Mit dem Mietendeckel waren die Mieten für 1,5 Millionen Berliner Wohnungen auf dem Stand vom Juni 2019 eingefroren. Das bundesweit einmalige Gesetz wurde am 30. Januar 2020 vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen. Ziel des Gesetzes war es, den Anstieg der Mieten in den nächsten fünf Jahren zu begrenzen. Der Berliner Mietendeckel trat am 23. Februar 2020 rückwirkend zum Stichtag 18. Juni 2019 in Kraft. Danach erfolgte Mieterhöhungen wurden unwirksam Es wurden mehrere Klagen gegen den Mietendeckel eingereicht. Je nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung galten bestimmte Mietobergrenzen. Überhöhte Mieten mussten auf das jeweils zulässige Mietniveau abgesenkt werden können. Verstöße dagegen sollten mit bis zu 500000 Euro bestraft werden. Das Gesetz sah auch mehrere Ausnahmen vor. So durften etwa Mieten unterhalb von den im Gesetz genannten Obergrenzen ab 2022 moderat anziehen.

Deutsche Wohnen und Akelius wollen fällige Nachzahlungen nicht erlassen

Der Konzern Deutsche Wohnen versprach: „Keine Mieterin und kein Mieter der Deutsche Wohnen wird durch die Entscheidung die Wohnung verlieren, wir werden mit dem größten sozialen Verantwortungsbewusstsein vorgehen.“ Für die Begleichung des Restbetrags der fälligen Miete bietet die Deutsche Wohnen unterschiedliche Möglichkeiten an, von Einmal- über Ratenzahlungen bis hin zu Stundungen. Bei sozialen Härtefällen wolle das Unternehmen gemeinsam mit den Mieter:innen individuelle Lösungen finden, hieß es in einer Stellungnahme.

Diese Linie verfolgt auch der Konzern Akelius. „Unsere Mieter haben nichts zu befürchten. Kein Mieter muss wegen des Urteils des Verfassungsgerichtes ausziehen“, sagte Jordan Milewicz, Geschäftsführer von Akelius. Das Unternehmen werde keine Kündigungen aussprechen, wenn sich Mietrückstände wegen des Mietendeckels ergeben haben, die höher als zwei Nettokaltmieten sind. „ Ein Verzicht auf die Rückzahlung ist jedoch nicht möglich“, sagte Milewicz. Zur Begleichung des Differenzbetrages hatte Akelius seinen Mietern empfohlen, den gesparten Betrag zurückzulegen. Man werde in Härtefällen individuelle Vereinbarungen treffen.

In Kreuzberg zieht der Zug einer Demonstration des Bündnisses "Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn" gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel in Berlin zieht über die Schönleinstraße. Das Gericht hatte den Mietendeckel gekippt.
In Kreuzberg zieht der Zug einer Demonstration des Bündnisses "Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn" gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel in Berlin zieht über die Schönleinstraße. Das Gericht hatte den Mietendeckel gekippt.

© dpa/Christoph Soeder

Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen plädiert in diesem Zusammenhang für sozial ausgewogene Lösungen. „Niemand wird einfach Menschen aus ihrer Wohnung werfen, gerade jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie“, sagte BFW-Präsident Andreas Ibel. Susanne Klabe, Geschäftsführerin des BFW Landesverbandes Berlin/Brandenburg sagte: „Seit mehr als zwei Jahren wird in Berlin über den Mietendeckel gestritten, aber das Wohnraumproblem bleibt ungelöst. Bei der Modernisierung und der energetischen Sanierung hat das Gesetz zum Stillstand geführt, ebenso wie im Neubau. Die mittelständischen Unternehmen haben ihre Investitionen gestoppt. Der angespannte Markt kann aber nur durch Neubau entlastet werden. Deshalb braucht die Politik die mittelständische Immobilienwirtschaft als Partner. Wir stehen bereit, um das Wohnraumproblem zu lösen – das funktioniert aber nur ohne den Mietendeckel.“

Maren Kern, Vorständin des BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen glaubt, dass „sich Nachzahlungsforderungen bei unseren Mitgliedsunternehmen sehr in Grenzen halten“. Nur bei rund zwölf Prozent der Wohnungen von BBU-assoziierten Unternehmen mussten die Mietzahlungen absenkt werden, und auch das nur in geringem Umfang.

Bündnis junge Genossenschaften fordert Rot-Rot-Grün zu personellen Konsequenzen auf

Das Bündnis junge Genossenschaften forderte politische Konsequenzen aus dem Karlsruher Urteil in den Reihen von Rot-Rot-Grün. „Wer mit seinem Kernthema vollständig scheitert, muss politische Konsequenzen ziehen“, schrieben die Sprecher Ulf Heitmann und Andreas Barz in einer Pressemitteilung. Berlins Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel, will trotz der Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Mietendeckel nicht zurücktreten. „Jetzt müssen wir erstmal die Konsequenzen, die aus dem Urteil ergehen, bearbeiten“, sagte der Linke-Politiker am Donnerstag im Inforadio des RBB. „Ich glaube, da hilft es jetzt auch niemandem weiter, wenn irgendjemand zurücktritt.“ Scheel sagte weiter: „Ich glaube, die Mieterinnen und Mieter haben auch wahrgenommen, dass wir zumindest mal etwas wagen, um ihre Nöte und Ängste zu lindern. Und das wird meines Erachtens auch honoriert werden.“

„Ich hoffe, dass die CDU und FDP nicht die Zeche als Spielverderber für die Mieter:innen zahlen müssen“, sagte Kehrberg, „sondern dass die Menschen verstehen, dass ihre Befürchtungen vor allem durch die Ignoranz der Verantwortlichen für den Deckel befeuert worden sind.“ Gebaut habe das Land Berlin zuletzt auch immer weniger. Jetzt werde man nach einem Bundesdeckel rufen.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sagte, seine Partei werde sich für einen Notfallhilfefonds für besonders bedürftige Betroffene einsetzen.

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