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Riehmers Hofgarten in Kreuzberg. Dem Bau ging eine heftigen Auseinandersetzung zwischen Behörden und Baumeister Wilhelm Riehmer voran, der zwei Jahre andauerte. Erst 1883 bekam der Bauherr vom Bezirksverwaltungsgericht das Recht zugesprochen, seine Gebäude an der Hagelberger Straße zu errichten. Riehmer setzte seine Vision eines Ensembles mit Licht und Grün sowie mit einer Privatstraße in einer Zeit durch, da in Berlin die gefürchteten Mietskasernen entstanden, mit winziger Lichthöfen und dunklen Hinterhäusern.

© Accentro

Milieuschutzgebiet: „Wir ziehen alle an einem Strang“

Accentro wandelt Teile von Riehmers Hofgarten von Miet- in Eigentumswohnungen um – Mieter befürchten den Verlust von Heimat.

Keine Atempause, Geschichte wird in Kreuzberg gemacht: Es geht voran. Trotz Corona. Allerdings langsamer. Die Accentro Real Estate AG, ein börsennotiertes Immobilienunternehmen mit dem Schwerpunkt auf Wohnimmobilien in Deutschland, tätig vor allem in Berlin, hatte sich 2018 in „Riehmers Hofgarten“ eingekauft und dort viele leerstehende und vermietete Wohnungen erworben. Sie werden nach Sanierung und Modernisierung auf den Markt gebracht. Nun ist es soweit: Der Vertrieb ist startklar, das erste sanierte Treppenhaus vorzeigbar und eine Vier-Zimmer-Wohnung nach allen Regeln der Verkaufs- und Handwerkerkunst auf einen aktuellen Bau- und Ausstattungsstandard gebracht. Nicht alle sind allerdings darüber begeistert.

Kreuzbergs Baustadt Florian Schmidt (Bündnis 90/Grüne) konnte den Kiez im Kiez zwar dem Erhaltungsgebiet Hornstraße zuordnen, mithin am 30. Januar unter Milieuschutz stellen. Dennoch freuen sich die Accentro-Mitarbeiter über das eckige Doppelwaschbecken in einer Vier-Zimmer-Wohnung und das stylische zweite Badezimmer mit großen schwarzen Kacheln: Undinge im Milieuschutzgebiet. Doch Accentro war Schmidt zuvorgekommen und hatte alle Bauvorhaben vor der Deklarierung des denkmalgeschützten Gründerzeitensembles als Milieuschutzgebiet durch dessen Behördenbürokratie manövriert.

Baustadtrat Schmidt: Ein Paradebeispiel für Spekulation

„Kreuzbergs Robin Hood“ twitterte am 5. Februar: „Manche glauben, Eigentumswohnungen könnte man umbauen wie es passt zur Vermarktung und Vermietung. Ist aber nicht so im sozialen Erhaltungsgebiet.“ Auf Tagesspiegel-Anfrage legt er am Donnerstag nach: „Der Riehmers Hofgarten ist ein Paradebeispiel für Spekulation mit Wohnraum. Wir werden weiterhin alle Instrumente nutzen, um hier gegenzusteuern.“ Die Festsetzung des Milieuschutzes mache Sinn, so Schmidt weiter, „weil einige Maßnahmen, die einzig zur besseren Vermarktung dienen, nun nicht mehr möglich sind. Und auch für Käufer*innen von Luxuseigentumswohnungen gilt der Milieuschutz, das muss nun im Verkaufsexposé mitgeteilt werden. Gerüchten zufolge wurden einige Maßnahmen kurz von unserer Besichtigung kurzfristig zurückgebaut. Der Umwandlung des Hotels an der Yorckstraße in Wohnen kann nun nicht die einfache Umwandlung in Eigentumswohnungen erfolgen.“

Fertigstellung im ersten und zweiten Quartal 2021. Das neue Penthouse über Riehmers Hofgarten (links) dürfte etwas später fertig werden. Zu den mit den Denkmalschützern abgestimmten Modernisierungsmaßnahmen zählen auch die Treppenhäuser, in denen nun „Sichtfenster“ den Blick auf frühere Gestaltungsphasen freigeben.
Fertigstellung im ersten und zweiten Quartal 2021. Das neue Penthouse über Riehmers Hofgarten (links) dürfte etwas später fertig werden. Zu den mit den Denkmalschützern abgestimmten Modernisierungsmaßnahmen zählen auch die Treppenhäuser, in denen nun „Sichtfenster“ den Blick auf frühere Gestaltungsphasen freigeben.

© Accentro

Die Verkaufsunterlagen preisen „Riehmers Hofgarten“ zu Recht als „grünen Rückzugsort mit Weitblick“. On top eines Aufgangs wird ein Penthouse realisiert, dass das Erscheinungsbild des Innenhofes aber nicht stört: Durch eine umlaufende Terrasse ist es vom Boden aus nicht zu sehen und dürfte für diskretionsbedürftige Bewohner eine der Top-Immobilien Berlins sein. „Viel Platz für hohe Ansprüche“.

Ivo Mokroß, Head of Project & Asset Management bei Accentro, ist stolz auf das bereits Herzeigbare. Die Restaurierung sei eng mit dem Denkmalschutz abgestimmt worden. „Es ist nichts passiert, was nicht genehmigt war“, sagt Mokroß.  Es wurden sogar Türbeschläge und Fensteroliven für die Kastenfenster nachgegossen, originale Bauakten gesichtet. Damit alles wie aus einem Guss wird. Gab es irgendwelche Probleme? Ja, sagt der Accentrist: „Asbest, die Ummantelungen der Steigleitungen waren daraus gemacht.“ Letztlich würden aber alle – nun ja – an einem Strang ziehen. Mit Baustadtrat Schmidt teile man das Interesse, das Ensemble wiederherzustellen. Der Politiker hatte immer wieder einmal die Leerstände in Riehmers Hofgarten beklagt, jedoch nicht erwähnt, dass Immobilienbesitzer Leerstände beantragen und begründen müssen. „Es hat permanent Begehungen mit dem Bezirk gegeben“, sagt Mokroß. Drei Wohnungen seien nach der Errichtung des Milieuschutzgebietes durch Auszüge frei geworden. Was hat Acctentro so vorgefunden 2018? „Teilweise Wohnungen ohne Decken, ohne Wände, ohne Bäder.“ Accentro gehören 98 Einheiten – 114 gehören zur Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) der Accentro-Aufgänge rund um den Innenhof. Einige Wohnungen hat der vorherige Investor Matthias Bahr (Livos Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG) behalten, andere sind unterdessen an andere Eigentümer verkauft worden.

In den restaurierten Aufgängen zeigen so genannte Lichtfenster, wie Wände und Decken einst gestaltet wurden.
In den restaurierten Aufgängen zeigen so genannte Lichtfenster, wie Wände und Decken einst gestaltet wurden.

© www.linus-lintner.de/Accentro

Unter den 98 Einheiten sind sechs Neubauten wie das Penthouse, 25 Wohnungen sind derzeit vermietet, der Rest ist leerstehender Wohn- bzw. Gewerberaum. „Wir wollen die Mieter gar nicht verdrängen“, sagt Mokroß. Abfindungsvereinbarungen hat man nicht angeboten oder abgeschlossen. Die Vermietung hat allerdings keinen Platz in Accentros Geschäftsmodell. Es geht um die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum. Natürlich mussten die Wohnungen zunächst den Mietern angeboten werden. Sie haben ein Vorkaufsrecht. Kostenpunkt? „Vermietet: 4500 Euro pro Quadratmeter“, sagt das Vertriebsteam. Kein Mieter nahm das Vorkaufsrecht wahr. Leerstehende und sanierte Wohnungen kosten 8000 Euro pro Quadratmeter. Das Dachgeschoss ist für 17000 Euro pro Quadratmeter zu haben. Dafür erwirbt der Eigentümer kostenlos die Aussicht über die Dächer auf Florian Schmidts Dienstsitz.

Baumeister Riehmers wollte ein Ensemble ohne dunkle Hinterhäuser

Die verbliebenen Mieter stört verständlicher Weise das emsige Handwerkertreiben in der idyllischen Anlage, die Baumeister Wilhelm Riehmer 1860 erworben hatte, um auf dem Grundstück zwischen Hagelberger-, Großbeeren- und Yorkstraße etwas anders als das damals Übliche zu machen. Hier sollten keine dunklen Hinterhäuser oder winzigen Lichthöfe entstehen – stattdessen realisierte er ein Ensemble mit Blockrandbebauung, das licht und grün ist. Der gärtnerisch gestaltete Hof bezaubert die Mieter bis heute. Sie wohnen hier zum Teil seit Jahrzehnten, fürchten den Wandel und wohl auch die, die da nun mit einem großen Portemonnaie ausgestattet kommen mögen. Ihr Zusammenhalt ist gewachsen. Fünf Instandhaltungs- und Modernisierungsankündigungen habe man bekommen, beklagt einer von ihnen: Fahrstuhl, Treppenhaus, Fenster, Strangsanierung, Keller. In einer Hausmitteilung werden die Neugestaltung des Spielplatzes, die Neubepflanzung gebäudenaher Flächen, die Überarbeitung der Fahrradstellplätze und der Pflasterflächen im Hinterhof angekündigt. In den achtziger Jahren wurde hier zuletzt saniert: „Mit sehr viel Geld und sehr schlecht gemacht“, erinnert sich ein Mieter an die alten West-Berliner Zeiten in der subventionierten Halbstadt. „Die eigentliche Bedrohung ist die Umwandlung für viele, die hier eine Heimat gefunden haben.“ Accentro könne die vermieteten Wohnungen doch auch einfach so belassen, schlägt er vor.

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