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Immobilien: „Milliarden verbaut ohne Sinn und Verstand“

Hanspeter Gondring findet, die Branche hat Nachholbedarf – deshalb lehrt und forscht er über Immobilienökonomie

Ihr schlechtes Image wird die Immobilienbranche noch lange verfolgen, glaubt Hanspeter Gondring. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Akademie der Immobilienwirtschaft, die im Juni ihren Berliner Ableger eröffnet. Im Interview spricht Gondring über geforderte Qualifikationen, schiefe Blicke von Professorenkollegen – und darüber, warum die Wende schlecht für die Entwicklung der Immobilienwirtschaft war.

Herr Gondring, was kann ich in Ihrer Akademie lernen?

Die Immobilienwirtschaft im Gesamtzusammenhang aller Teildisziplinen. Unsere Studenten kommen entweder von der Universität oder sie sind Praktiker. In Sachen Immobilien haben sie immer nur einen ganz engen Ausschnitt kennen gelernt. Aber Sie brauchen heute das Wissen über den ganzen Lebenszyklus. Der Gebäudemanager muss wissen: Was will der Kapitalgeber? Was hat der für Renditeerwartungen? Plant er langfristig oder will er den schnellen Ausstieg? Was sind die Konsequenzen für den Gebäudemanager? Heute reicht es nicht mehr, nur Teilbereiche der Immobilie zu beherrschen, sondern es geht darum, sie als ganzes zu verstehen und zu managen.

Wo sehen Sie die größten Defizite?

Wir haben etwa alle zwölf Monate eine Spezialisierung, die in Mode ist. Wenn wir hier im Jahr 2002 sitzen würden, hätte ich Ihnen gesagt: Gebäudemanagement, das ist die Zukunft. 2003 waren es Investmentbanker für spezielle Immobilienfinanzierungen, 2004 Portfolio Manager, 2005 Marktspezialisten. Nur wer all diese Felder interdisziplinär beherrscht, ist unabhängig von Modeerscheinungen.

Wie kommt es eigentlich, dass die Immobilie als Lehr- oder Forschungsobjekt so lange Stiefkind war?

Sie ist als Wirtschaftsfaktor sehr lange nicht wahrgenommen worden: Wohnimmobilien galten als Sozialgut, Gewerbeimmobilien wurden als Produktionsfaktor gesehen. Die wurden angeschafft, bilanziert und mit zwei Prozent im Jahr abgeschrieben. Und die Banken haben Gebäude immer nur als Sicherheit wahrgenommen. Die haben gesagt: „Wir beleihen mit 60 Prozent, die bekommen wir im Verwertungsfall immer wieder.“ Welche Konsequenzen ein solcher Unsinn für Banken haben kann, haben Sie ja eindrucksvoll in Berlin gesehen. Der Nachteil daran war außerdem, dass sich keine wissenschaftliche Klientel darum gekümmert hat. Und das hat dann zur Folge gehabt, dass sich auch keine Branchenkultur entwickelt hat.

Aber das heißt doch, dass riesige Optimierungs- und Wertschöpfungspotentiale brachlagen. Wie kann es sein, dass das in einer kapitalistischen Welt niemandem aufgefallen ist?

Es gab einfach keinen Bedarf. Wir machen mal eine kurze Zeitreise: In den Fünfziger und Sechziger Jahren hatten wir den Wiederaufbau, weil 70 Prozent der Gebäude zerstört waren – man hatte vor allem das Problem, billigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Mitte der Sechziger Jahre hat man dann gemerkt, dass man Immobilien auch als Teil der privaten Vermögensbildung sehen kann. Deshalb gab es staatliche Förderung, über Abschreibungsmodelle, Vermögensbildungsgesetz, auch mit Bausparverträgen. Das ging so bis Ende der Achtziger Jahre. Da merkte man schon, dass eine gewisse Marktsättigung eingetreten war und der Staat langsam wieder aus der Steuerung heraus wollte. Aber dieser Prozess ist dann durch den Mauerfall unterbrochen worden.

In den neuen Bundesländern war der Mechanismus dann der gleiche: Man hat über Sonderabschreibungen, also staatliche Subventionen, Milliarden mobilisiert, die politisch zwar verständlich, aber ökonomisch ohne Sinn und Verstand in den Aufbau investiert worden sind, weil man in jeder ostdeutschen Stadt Bagger sehen wollte. Das hat nötige wirtschaftliche Prozesse um fünf bis acht Jahre verschoben, so dass die Immobilienwirtschaft jetzt die letzte Branche ist, die in die globalisierte und von Shareholder-Value-Streben durchsetzte Welt eintaucht. Aber während Banken und Industrie zehn bis 15 Jahre Vorbereitungszeit hatten, hatte die Immobilienbranche noch nicht einmal fünf Jahre. Deshalb steckt in den letzten Jahren Hektik drin.

Trotzdem: Gerade den Eigentümern großer Immobilienbestände muss doch aufgefallen sein, dass sich dort noch Schätze heben lassen...

Das brauchten die nicht. Nehmen wir zum Beispiel ein Unternehmen wie BASF, das in 160 Ländern Standorte unterhält. Das ist ein Milliardenvermögen. In der alten Zeit des Industriekapitalismus hat dann der Vorstand entschieden: Wir brauchen in Singapur Grundstücke, da kommt eine Fertigung hin. Wenn man dann unter dem Strich Gewinn gemacht hatte, hat keiner weiter gefragt. Inzwischen haben wir aber den Börsenkapitalismus. Der sagt: „In der Bilanz sind 20 Prozent des Kapitals in Immobilien gebunden. Auch die müssen zehn Prozent Rendite bringen. Also, Vorstand, verkauf alles, was nicht betriebsnotwendig ist. Am besten verkauf alles und lease es dann wieder zurück.“ Sonst kann die Gesamtrendite nicht oder nur sehr schwer erreicht werden. Solche Unternehmen werden über die Börse bestraft.

Wie kann man denn vor diesem Hintergrund überhaupt noch ein Bürohaus bauen? Die Investition rechnet sich ja auch erst nach Jahren.

Ganz einfach: Entweder ich habe das Haus schon verkauft, während auf dem Grundstück noch Löwenzahn wächst, oder ich habe es schon vollständig vermietet. Früher hat man auf Vorrat gebaut und erst in der Bauphase begonnen, die Flächen zu vermarkten. Dafür würde man heute keine Finanzierung mehr bekommen.

Neben dem Nachholbedarf in Sachen Professionalität plagt die Immobilienbranche auch ein gewisses Image-Problem...

Wenn der Ruf erst ruiniert ist... Aber es entwickelt sich. Als ich Professor geworden bin, galt ich bei meinen Kollegen noch als ein bisschen als unakademisch. Professor wurde man für Steuerwesen, Bankwirtschaft oder Marketing, aber nicht im Immobilienbereich. Auch mein Büro, das hätte normalerweise der Pförtner nicht genommen. Heute haben wir für den Studiengang pro Jahr 2000 Bewerbungen und jede Woche gibt es Anfragen von Medien. Aber in einem Punkt haben Sie Recht: Es ist nur ein relativ kleiner Kreis, innerhalb dessen das Image gestiegen ist. Draußen auf der Straße kann Ihnen noch jeder eine Geschichte erzählen, wie er von einem Makler reingelegt worden ist. Und leider nimmt die Presse nur die wenigen Negativschlagzeilen auf. Bis wir in der breiten Bevölkerung anerkannt sind, wird es deshalb mit Sicherheit noch Jahrzehnte dauern. Im internationalen Vergleich ist das anders: Die RICS, eine Organisation von Immobilien-Sachverständigen in Großbritannien ist 130 Jahre alt. Wenn dort Gesetze verabschiedet werden, die deren Themen berühren, muss die RICS angehört werden. Wir haben das jetzt erst durch die Gründung des Zentralen Immobilienausschusses ZIA versucht nachzuholen.

Sind die Glücksritter denn raus aus der Immobilienwirtschaft?

Kapitalgeber haben heute eine so hohe Professionalität, dass die Deals eines Dr. Jürgen Schneider nicht mehr funktionieren würden. Auch an der ADI kommen ja 30 bis 40 Prozent der Studenten aus dem Bankenbereich, um durch uns auch Immobilienleute zu werden. Der Deutschen Bank Flächen in großem Maß vorzugaukeln, die es nicht gibt, wie es Schneider in den Neunzigern getan hat, würde heute durch eine einfache Plausibilitätsberechnung scheitern.

Auch Sie selbst kommen ja aus dem Banken-Bereich. Wie baut man als Quereinsteiger eigentlich einen Studiengang Immobilienökonomie auf?

Alle Professoren über 50 im Immobilienbereich sind Quereinsteiger. Auch das hängt damit zusammen, dass das Thema nie ein Erkenntnisobjekt der deutschen Betriebswirtschaftslehre war. Aber die wissenschaftliche Methodik gibt es ja. Was ich mir noch aneignen musste, waren die 20 Prozent Spezialwissen im Immobilienbereich. Nach einem Jahr bin ich dann bei Vorträgen vor Praktikern nicht mehr schief angesehen worden.

Die Fragen stellte Kai Kolwitz.

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