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Hier ist Platz für Neubau - fragt sich nur zu welchem Preis.

© Kai-Uwe Heinrich

Neues Quartier in Berlin: Am Tacheles soll gebaut werden - erst wird gestritten

Entstehen am einstigen Kunsthaus nur teure Eigentumswohnungen? Bezirk und Entwickler sind sich uneins über die soziale Durchmischung. Ein Report.

Rund 42.000 Quadratmeter Wohnraum sollen in den nächsten Jahren auf dem Gelände an der Tacheles-Ruine in Mitte entstehen. Das sind an die 450 Wohnungen in Toplage. Doch können dort später auch Normalverdiener einziehen? Diese Frage birgt Zündstoff, denn die Ansichten der Investoren von Perella Weinberg Real Estate (pwr) und der Bezirksverordneten liegen weit auseinander.

Für das künftige Wohnen, so heißt es in einem Beschluss des Bezirksparlaments, „ist eine soziale Durchmischung, gegebenenfalls eine Inanspruchnahme der Wohnbauförderung, anzustreben“. Die Grünen in Mitte hatten 2014 sogar das „Berliner Modell zur kooperativen Baulandentwicklung“ mit einem Anteil von bis zu 25 Prozent geförderter Mietwohnungen und einer Miete von 6,50 Euro pro Quadratmeter ins Gespräch gebracht. Allerdings, wie sich herausstellte, ohne Aussicht auf Erfolg. Denn, wie Baustadtrat Carsten Spallek erklärt: „Für dieses Grundstück gibt es seit vielen Jahren einen gültigen Bebauungsplan. Das Modell der kooperativen Baulandentwicklung gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.“

Projektentwickler Sebastian Klatt von der pwr development GmbH sagt zu den künftigen Wohnungen nur so viel: „Es wird überwiegend Eigentum.“ Der genaue Mix für die 450 Wohnungen sei aber noch nicht abschließend festgelegt.

Bis zum Spätsommer 2016 muss diese Frage geklärt sein. Denn dann will pwr den konkreten Bauantrag beim Stadtplanungsamt abgeben. Die Genehmigung könnte zum zweiten Quartal 2017 auf dem Tisch liegen. So, wie es aussieht, befürchten die Grünen nun, dass dann ein Projekt bewilligt wird, „in dem nur teure Wohnungen gebaut werden“.

Erst einmal geht es um eine "Tiefenenttrümmerung"

Im April jedenfalls rücken die ersten Bagger hinter der Tacheles-Ruine an der Friedrichstraße an, um das Gelände für das geplante neue Stadtquartier vorzubereiten. Zunächst muss der Untergrund nach Störmaterial abgesucht werden. Und viel später als geplant, nämlich erst im kommenden Jahr, sollen die eigentlichen Bauarbeiten beginnen. Mehr als 500 Millionen Euro will die New Yorker Fondsgesellschaft Perella Weinberg Real Estate investieren. Fertig wird das Viertel mit Wohnungen, Gewerbe, Hotels und Kunsthaus voraussichtlich im Jahr 2020.

Dass es am Tacheles nicht im Eilzugtempo vorangeht, hat auch mit der „schillernden Vorgeschichte“ des Areals zu tun, erläutert Projektentwickler Sebastian Klatt. Als die Ruine der Kaufhauspassage in den 80er Jahren weggesprengt wurde, hatte man die Keller einfach mit Schutt aufgefüllt. Nun sollen diese Räume erst einmal freigelegt werden. Baustadtrat Carsten Spallek spricht von einer „Tiefenenttrümmerung“. Dabei können auch Granaten und Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg zum Vorschein kommen, die unschädlich zu machen sind.

Da man nie so genau weiß, was bei dieser Wühlarbeit zutage tritt, ist hierfür ein Zeitraum von bis zu acht Monaten eingeplant, verrät Klatt. Möglicherweise stoßen die Bagger, ähnlich wie auf anderen Baustellen im Herzen Berlins, auf archäologische Funde oder Materialien aus früheren Besiedlungszeiten.

Die aufwendige Suche nach Relikten dieser Art gibt mehr Zeit für die konkrete Entwurfsgestaltung. Die pwr development hat sich dafür etwas Besonderes einfallen lassen: So sollen neben dem renommierten Schweizer Architektenteam Herzog & de Meuron, das bereits im Herbst einen Generalentwurf für das Grundstück vorgelegt hat, mehrere junge Berliner Büros in das Projekt eingebunden werden. Sie könnten dann einzelne Bestandteile wie etwa die Passage oder das Kunsthaus Tacheles bearbeiten, heißt es.

Nutzung des Tacheles steht noch nicht fest

„Wir wollen die typische städtische Heterogenität in einem der historischen Spandauer Vorstadt angepassten Stil sicherstellen“, betont Klatt. Mit der Einbeziehung von lokalen Architekturbüros kommt er einem Wunsch der Bezirksverordneten entgegen. Die hatten nämlich ein „Beteiligungsverfahren“ in Verbindung mit Herzog & de Meuron angeregt.

Was aus der einstweilen zugesperrten und unansehnlichen, aber denkmalgeschützten Tacheles-Ruine wird, bleibt noch ein Fragezeichen. Nach Lage der Dinge können die Sanierungsarbeiten erst beginnen, wenn der Tiefbau auf dem Gelände zum Abschluss gekommen ist. Das hindert aber schon jetzt verschiedenste Stiftungen und Kulturinitiativen nicht daran, eigene Begehrlichkeiten zu formulieren, wie zu hören ist.

Wegen der über Berlin hinausreichenden Bedeutung des Standortes und der Marke Tacheles ist auch Kulturstaatssekretär Tim Renner eingeschaltet. Man stehe im Kontakt mit Perella Weinberg, hört man aus der Behörde. „Dort, wo dies der Eigentümer wünscht, wird die Kulturverwaltung ihn bei der Entwicklung eines auf den Ort und seine Historie bezogenen kulturellen Konzepts unterstützen und beraten“, sagt Pressesprecher Lars Bahners. Konkrete Entscheidungen stehen einstweilen noch nicht zur Debatte.

Beim gefragten irischen Oscar Wilde Pub an der Friedrichstraße gibt es jedenfalls keinen Grund für Endzeitstimmung. Das Haus gehört zwar auch Perella Weinberg, aber es steht nicht unmittelbar vor der Sanierung. Zunächst müssen Gutachten angefertigt werden, und auch im Anschluss daran besteht kein Zugzwang. Anders sieht es beim kostenpflichtigen Parkplatz zwischen Johannisstraße und Oranienburger Straße aus. Dort gehen Ende April die Lichter aus.

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