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Immobilien: Parallelwelten im Gulaschkapitalismus

In Budapest findet die soziale Spaltung der Gesellschaft auch im Baugeschehen ihren AusdruckVON RALF SCHÖNBALL Nur einen Augenblick unterbricht die kräftige Hand ihre Arbeit an dem weichen Körper, nimmt rasch den Geldschein entgegen und läßt ihn sodann unter der dünnen Liegematte verschwinden."In Ungarn ist niemand korrupt, es sind alle korrupt", sagt Lajos, lacht und läßt die Wirbel im Genick seines Kunden mit einer schnellen Handbewegung laut knacken.

In Budapest findet die soziale Spaltung der Gesellschaft auch im Baugeschehen ihren AusdruckVON RALF SCHÖNBALL Nur einen Augenblick unterbricht die kräftige Hand ihre Arbeit an dem weichen Körper, nimmt rasch den Geldschein entgegen und läßt ihn sodann unter der dünnen Liegematte verschwinden."In Ungarn ist niemand korrupt, es sind alle korrupt", sagt Lajos, lacht und läßt die Wirbel im Genick seines Kunden mit einer schnellen Handbewegung laut knacken.Für den Masseur des Thermalbades am Gellerthotel sind schlagzeilenträchtige Skandale am Bau und anderswo nur die Spitze so unergründlicher wie zweifelhafter Aktivitäten wirtschaftspolitischer Seilschaften.Von ihnen fühlt er sich, wie eine breite Schicht der Bevölkerung auch, ausgeschlossen. 230 DM verdient Lajos im Monat, für acht Stunden Arbeit täglich.Früher habe er noch Devisen von Touristen tauschen, für 200 harte Dollar nach Kuba reisen und für den ungarischen Forint "etwas kaufen können".Heute kassiert er während der Arbeit hier und da Schwarzgeld und geht danach mit seiner Massagematte auf Hausbesuch.Dennoch galoppieren ihm die Preise davon - für die Waren, die seine Frau in den Einkaufskorb legt, mußte sie 1996 30 Prozent mehr als 1995 zahlen.Und wenn Lajos an einem von zwei arbeitsfreien Wochenden im Monat über die Haupteinkaufsstraße von Budapest läuft, dann erfährt er, was sein Monatslohn wert ist: ein Paar Lederschuhe. Sie werden in der vaci utca allenfalls von Touristen gekauft.Sie flanieren mit Vorliebe über die wenige hundert Meter lange Fußgängerzone, die auch acht Jahre nach Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich als Einzige ein Warenangebot entfaltet, das dem westeuropäischer Städten gleicht.Mittendrin bieten auch Tänzerinnen ihre Körper feil: Hinter der rotbeleuchteten Milchglasscheibe eines "Clubs" ernten sie für stereotype Bewegungen wohlgeformter Leiber hier amüsierte Beachtung dort verstohlene Blicke.Verkauft werden in der vaci utca auch die begehrten Mietverträge; denn wenn die Geldelite "shoppen" geht, dann hier. Der Handel mit den Handelsflächen nimmt verschlungene Pfade.Eigentümer der meisten Immobilien in der vaci utca sind die Bezirke, die auch die Miete kassieren.Wer einen Laden sucht, muß aber die Inserate in der Tageszeitung verfolgen.Wer sein Geschäft aufgibt, sucht hier nach Nachmietern, die die satte Abstandszahlung berappen.Anschließend dreht der Bezirk noch einmal kräftig an der Mietschraube: Bis zu 200 DM müssen Pächter inzwischen pro Quadratmeter berappen.Gegen diese Preisspirale fanden pfiffige Geschäftsleute jüngst ihren eigenen Dreh: Offizielle Mieterin der Räume wird eine eigens gegründete Gesellschaft.Die erwirbt der neue Ladennutzer einfach - und übernimmt damit den Mietvertrag zu alten Preisen. Zog der Bezirk gegen "Private" den Kürzeren, setzen sich die 23 Bezirke gegenüber der Stadtregierung öfters durch.Wie in Berlin sorgt auch in Budapest die Rivalität in dieser "zweistufigen Verwaltung" für Verzögerungen von Bauprojekten und sonderbare Planungen: Das "Pollus Center", eines von drei neuen, großflächigen Einkaufszentren, entstand vor den Toren der Stadt ohne Anbindung ans Öffentliche Verkehrsnetz - offenkundig im Widerspruch zu allen Richtlinien der Stadtplaner im Rathaus.Sie wollen die Innenstadt stärken und den Automobilverkehr eindämmen."Warum diese Genehmigung erteilt wurde, ist mir unerklärlich", sagt Eva Beleznay, Planerin im Rathaus.Die Mittel, das Kaufhaus gegen den Bezirk zu verhindern, hätte die Stadtregierung gehabt: Sie legt die Nutzungen in den Bezirken fest, die auf dieser Grundlage nur die Baugenehmigungen erteilen. "So darf man doch nicht bauen", sagt der alte Mann mit den buschigen, weißen Augenbrauen und deutet auf den voluminösen Block der Magyar Bank.Das Gebäude liegt in der Seitenstraße vom Szabadsag Platz, in unmittelbarer Nachbarschaft eines der wohl gelungensten Bauten im Sezessionsstil der Jahrhundertwende: der Ehemaligen Postsparkasse.Errichtet wurde sie von Ödon Lechner, der die orientalisierenden Formen und Farben in dieser ungarischen Variante des Jugendstils mit den ruhigen Reihungen der Neorenaissance vermählte - reizvoller als seine Nachfolger etwa beim klobigen Gellert-Hotel.Die Sezessionsbauten suchten einst nach einem Formenrepertoire, das die Identität der Ungarn - geprägt von Orient wie Okzident durch Feldzüge und Völkerwanderungen - repräsentiert hätte.Die ungarischen Bankenneubauten heute sprechen die kosmopolite Sprache der rationalistischen Moderne.Über einem massiven Soêkel, der die Distanz zum Fußweg durch enge, steile Treppenstufen betont, ragt ein halbrunder, stahlfarbener Anbau aus der Bauflucht hervor - massive, aufdringliche Wehrhaftigkeit.Keinen Steinwurf entfernt und wiederum im scharfen Kontrast zu einem neobarocken Geschäftshaus der Jahrhundertwende wich ein Park dem monumentalen Neubau der Orzaga Bank."Das Haus ist so tief wie hoch", versichert der alte Mann weiter.Als es gebaut wurde, hätten die Keller im ganzen Viertel unter Wasser gestanden.Das Grundwasser war im Bankenviertel unweit des berühmten, neogothischen Parlamentsgebäude an der Donau ein offenbar unterschätztes Problem der Bauherren.Auch von Gestaltungssatzungen ist hier nichts zu sehen. Das ist keineswegs die Regel; und die Architekten entwickeln ein erstaunliches Gespür für das bauliche Umfeld.Ursache dafür könnte ein planerischer Rahmen sein, der weit weniger dogmatisch gestalterische Einzelaspekte festlegt als in Berlin.So interpretiert ein Geschäftshaus in der Sichtachse der Sankt-Stephans-Basilika einige Formen dieses Neorenaissance-Baus wie den Turm und überragt ihn auch nicht in der Höhe.Das Volumen historischer Bauten sowie dessen Aufteilung auf einer Grundfläche wird - weiteres Kennzeichen zeitgenössischer Architektur - häufig "gespiegelt" von angrenzenden Neubauten, die bei der Wahl ihrer Materialien aber frei sind.Als fast kunstfertig darf das Hilton Hotel im historischen Burgviertel gelten, das mit modernen Mitteln einen spätgotischen Turm, sowie bauliche Relikte eines Dominikanerklosters unaufdringlich zusammenfaßt.Ausnahmen bestätigen diese Regeln: In einer Seitenstraße der Innenstadt sprengt eine Glasfassade mit einer Neigung von etwa 10 Grad die Bauflucht - ähnlich diskutabel wie die Neubauten im Bankenviertel. "Budapest entwickelt sich zu einem fiskalischen Zentrum für die Region", sagt Bürgermeister Gabor Demszky.Hier würden 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes und 55 Prozent aller Steuern erwirtschaftet.Und von den umgerechnet zwei Mrd.DM, die davon in Stadt und Bezirke zurückflössen, investierten sie dreißig Prozent.Gebaut wurde südlich der Stadt eine neue Brücke.Sie schließt einen Straßenring, wodurch die Blechlawinen von Berlin-Kreuzberg nach Istanbul oder von Kiev nach Wien künftig an der Innenstadt vorbeirollen können.Außerdem sei eine vierte U-Bahn-Linie geplant.Zusammen mit einer drastischen Erhöhung der Parkgebühren werde man so das "wichtigste Problem der wachsenden Motorisierung" lösen, sagt Demszky. Ungewiß bleibt, ob die Maßnahmen greifen; in Budapest funktioniert das Auto wie das Handy als Markzeichen für die Überwindung von Klassengrenzen.Die Symbole des Wohlstands sind umso begehrter, als das Vertrauen in die neue Wirtschaftsordnung erschüttert ist.Allein um sich der galoppierenden Entwertung des Geldes zu erwehren, muß jeder seine Strategie entwickeln.Im "makroskopischen" Wirtschaftsverkehr wird in harter Währung gerechnet, Mieten wie andere Renditen von Kapitalinvestitionen in DM festgelegt.Ausgezahlt wird in Forint, aber jeden Monat ein neuer, höherer Betrag.Im "mikroskopischen" Tauschgeschäft floriert der Schwarzmarkt.Der bekannteste von drei Märkten liegt am Güterbahnhof.Hier türmen sich dunkelgraue Container, vor deren geöffneten Klappen meist Asiaten mit Kunden um jeden Forint feilschen.An U-Bahnhöfen bieten Hausfrauen Selbstgestricktes, Landwirte Obst und junge Männer Quartzuhren an.So wird "Schwarzgeld" gemacht, das die statistische Kaufkraft pro Kopf um dreißig Prozent erhöht. Wo der wirtschaftliche Ausnahmezustand solcherart zur Regel wurde, ist das Vertrauen in die Ökonomie nachhaltig gestört.Bloße Gerüchte über Liquiditätsengpässe lösten einen Run der Sparer auf die Schalterstellen der drittgrößten ungarischen Bank aus - obgleich die "Postabank" zu 35 Prozent in Staatsbesitz ist.Ein anderes Geldhaus verweigerte die Bereitstellung von Krediten.Der so geworfene Schneeball wäre zu einer Lawine geworden, die das Geldhaus zerstört hätte, wenn sich andere an der Blockade beteiligt hätten: Banken benötigen für laufende Geschäfte täglich, kurzfristig Kapital, das sie bei anderen Instituten aufnehmen. Die Quelle für diese Gerüchte wurden dem "Budapest Business Journal" zufolge vorsätzlich gestreut, in politischen oder wirtschaftlichen Kreisen.Für die Kleinanleger blieben die Schalter der Postabank - sie saß die Krise einfach aus - geschlossen.Ihr Sparbuch war so unzugänglich wie die monumentalen Neubauten im Bankenviertel.Und die werden wohl noch auf lange Zeit hin Fremdkörper zwischen verwitterten Zeugnissen einer unwiederbringlichen Baukunst unter Habsburgern und K.u.K-Monarchen bleiben - bauliche Parallelwelten, so fremd und unvereinbar wie die zwei Wirtschaftskreisläufe im realexistierenden Gulaschkapitalismus.

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