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Immobilien: Sie verdienen gut, sie sind jung - und sie lieben ihre Platte

In der gläsernen Empfangshalle sitzt rund um die Uhr ein Concierge.Die Fassade des hohen Hauses schmückt eine blau schimmernde Solarstromanlage.

In der gläsernen Empfangshalle sitzt rund um die Uhr ein Concierge.Die Fassade des hohen Hauses schmückt eine blau schimmernde Solarstromanlage.Wo sind wir? In einem Marzahner Hochhaus, einem Plattenbau am Helene-Weigel-Platz.Empfangshalle und Solarstrom kommen zwar erst nächstes Jahr, aber den Concierge gibt es schon.Im Kampf um die wählerisch gewordenen Mieter verändert sich die einwohnerreichste deutsche Großsiedlung in Riesenschritten.Sogar das Einerlei der standardisierten Wohnungsgrundrisse wollen die Eigentümer beheben.

"Der Concierge ist bei den Mietern unheimlich gut angekommen", sagt Erika Kröber, Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG).Das ist nicht verwunderlich.Die Bewohner des Hochhauses können beim Concierge ihre Schlüssel hinterlegen oder ein Fax abschicken; sie können sich einen Strauß Blumen abholen oder die Wäsche zur Reinigung bringen lassen - alles zum Nulltarif.In der Erprobungsphase werden die Kosten von der WBG getragen.Bewährt sich der neue Service, sollen die Kosten auf die Miete - sie liegt im Schnitt bei 7,50 DM pro Quadratmeter - umgelegt werden.

Wichtiger noch als die kleinen Dienste ist die ständige Anwesenheit des Concierge."Bewohner von Hochhäusern verunsichern die vielen unbekannten Mieter.Der Concierge vermittelt dagegen Sicherheit", sagt die Soziologin Cornelia Cremer.Cremers Büro "Urban Plan" übernahm in Marzahn das sogenannte Quartiersmanagement.Dazu gehören Befragungen von Bewohnern, die Veranstaltung von Diskussionsforen, vor allem aber die Abstimmung der kommunalen Stellen mit Immobilieneigentümern und ortsansässigen Unternehmen.

Trotz dieser Maßnahmen genießt die Platte nicht den besten Ruf.Dabei ist Marzahn keine graue Betonburg mehr.Die Fassaden sind neu, zwischen den Häusern gibt es große Grünanlagen; sogar einige Neubauten entsanden.Inzwischen ist die Sanierung der Hälfte des zu DDR-Zeiten errichteten Plattenbaubestandes abgeschlossen, mit sichtbarem Erfolg.Das ist nicht zuletzt das Verdienst der Landesregierung: Berlin leistete sich nach der Wende als einziges Bundesland ein flächendeckendes Sanierungsprogramm.

Die WBG, die rund 33 000 der 58 500 Marzahner Wohnungen verwaltet, hat seit 1994 rund 18 000 Wohnungen saniert und modernisiert.Das kostete sie rund eine Mrd.DM.Wichtig für die Siedlungen waren auch die zusätzlichen Fördergelder für "Verbesserungen des Wohnumfelds und städtebauliche Maßnahmen" sowie die zinsgünstigen Baugelder der Kreditanstalt für Wiederaufbau.Ohne diese Mittel hätte die WBG das Sanierungstempo nicht durchgehalten.Daß es so weitergeht ist wahrscheinlich: "Diese Fördermittel stehen in den Haushaltsverhandlungen des Senats derzeit nicht zur Diskussion", sagt Monika Schümer-Strucksberg.Sie ist in der Bauverwaltung zuständig für Großsiedlungen und sagt: "Wir werden unser 1993 selbst gestecktes Ziel wahrscheinlich erreichen" - in zehn Jahren, bis 2003, sollen alle Platten in neuem Glanz erstrahlen.

Diese Zielstrebigkeit dürfte auch dazu beigetragen haben, Marzahn sozial zu befrieden.Umfragen zufolge leben 80 Prozent der Marzahner gern hier.Unvermutet hoch sind auch die durchschnittlichen Einkommen: Nur in vier anderen Bezirken ist die Kaufkraft stärker.Auch ist die Bevölkerungsstruktur zukunftsträchtig: 22 Prozent der Marzahner sind 18 Jahre oder jünger - das liegt deutlich unter dem Berliner Durchschnitt (17 Prozent)."Unsere Mieterstruktur ist das Pfand, das wir aus der ehemaligen DDR übernommen haben und nun verteidigen müssen", sagt Kröber.Die WBG ist stolz darauf, daß in einem Viertel ihrer Haushalte mindestens eine Person einen Hochschulabschluß hat.Der Trend ist allerdings rückläufig: 1993 waren es noch doppelt so viele.Wer es sich leisten kann - oft zählen Akademiker dazu -, erfüllt sich den Wunsch nach dem Eigenheim im Umland Berlins.

Die WBG zieht daraus ihre Konsequenzen: Mietwohnungen will das Unternehmen vorerst nicht mehr bauen.Dabei erhielt das letztes Projekt, das Niedrigenergiehaus in der Flämingstraße, jüngst den Bauherrenpreis des Bundes Deutscher Architekten.Weil aber Eigentum gefragt ist, will die WBG nun Reihenhäuser erstellen.

Über diese Neubaupläne will das Unternehmen die Pflege ihres Bestand nicht vergessen.Der neueste Schachzug im Kampf um die Mietergunst ist die Änderung der Grundrisse.Das Wohnungsangebot der industriell vorgefertigten Gebäude leidet unter der geringen Zahl an Varianten, oft schlecht durchdachter und zu kleinteiliger Räume."Konsumgewohnheiten und Lebensstile ändern sich.Das uniforme Wohnungsangebot paßt nicht mehr zu den sich differenzierenden Einkommen der Mieter", sagt Cremer.Sie hat die Bewohner nach ihren Wünschen befragt.Nun soll das Angebot der veränderten Nachfrage angepaßt werden.So sollen die ungeliebten Einzimmerwohnungen - immerhin 18 Prozent des Marzahner Wohnungsbestandes - zu größeren Einheiten zusammengelegt.Bei den ebenfalls wenig gefragten Fünfzimmerwohnungen legen die Planer die vielen kleineren Räume zu größeren zusammen.Innenliegende und deshalb nur künstlich zu beleuchtende Küchen werden aufgebrochen.So entstehen große, helle Wohnküchen.Weil die konstruktive Spannweite des gängigsten Plattenbautyps WBS 70 sechs Meter beträgt, sind manche Varianten möglich.Bauten mit einem Stahlskelett - sie prägen die Marzahner Silhouette - sind noch flexibler.

Natürlich fallen durch die Umbauten Kosten an.Sie drohen die Mieten in die Höhe zu treiben.Deshalb geht die WBG behutsam vor: "Wir testen die vertretbaren Miethöhen", sagt Kröber.Die innenliegenden, fensterlosen Bäder, wie die Küchen für viele Bewohner ein Ärgernis, würden wohl oft bleiben, wie sie sind.Auch andere Mißstände ließen sich in Marzahn wohl so schnell nicht beheben.Zwar nahm die Zahl der Geschäfte und Dienstleister deutlich zu, aber nicht jede Unternehmung ist auch ein Publikumsmagnet.Die Kilometer lange Ladenzeile an der Marzahner Promenade ist nicht gerade ein Eldorado für Gewerbetreibende: Weil früher Lagerhaltung üblich war, sind die Gewerberäume viel zu groß bemessen und deshalb zu teuer.Die Straße ist zudem eher zugig als einladend.

"Größere Eingriffe ins Straßenbild werden durch die Baumschutzverordnung verhindert", bemängelt Kröber.Aber auch ohne Baumschutz widersetzen sich die als reine Zubringer ohne öffentliche Räume angelegten Straßen Marzahns grundlegenden Veränderungen.Ein den Altbauquartieren vergleichbares, urbanes Ambiente ist hier kaum zu verwirklichen.Das weiß auch Kröber.So wird die größte Siedlung der Republik trotz aller Innovationen und Verbesserungen jene Wohnstadt bleiben, die ihre Planer einst gezeichnet haben.Damit scheinen sich aber viele Marzahner, das legen die guten Vermietungzahlen nahe, zufrieden zu geben.

CHRISTOPH HARDEBUSCH

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